Thüringische Landeszeitung (Gera)
Die Mama als beste Psychologin
Der Kontakt nach Gera war über eine einfache Mail zustande gekommen. Zwei Gymnastinnen aus der Zwötzener Trainingsgruppe hatten die WahlStuttgarterin kontaktiert. „Ich wusste davon, hätte aber nie gedacht, dass es klappt mit einem Training bei uns in Gera“, war auch TSV-Abteilungsleiterin Kathrin Kirmse überrascht, als eine positive Antwort ins elektronische Postfach flatterte.
„Solche Besuche bei Vereinen mache ich gern. Ich habe selbst in einem ganz kleinen Verein begonnen. Wir hatten keinen Gymnastikteppich und die Hallenhöhe war nur die Hälfte von hier“, erinnerte sich Laura Jung, der in ihrer Laufbahn eine Olympia-Teilnahme versagt blieb. 2007 war sie als Zwölfjährige aus St. Wendel im Saarland zum Bundesstützpunkt Fellbach-Schmiden gewechselt. Nach einer Bronzemedaille bei der Junioren-EM in Bremen 2010 mit der Gruppe knüpfte sie im Erwachsenenbereich zunächst fast nahtlos an die Erfolge an. Als 19. bei der Mehrkampf-WM 2011 im französischen Montpellier eroberte sie einen DTB-Startplatz für den Qualifikationswettkampf für die Olympischen Spiele 2012, der dann allerdings von den Verbandsverantwortlichen an die bei der Weltmeisterschaft verletzte Jana Berezko-Marggrander vergeben wurde. „Da wollte ich eigentlich mit dem Leistungssport aufhören. Ich war nach Schmiden gegangen, um bei Olympia dabei zu sein. Nur für deutsche Meistertitel hätte ich meine Familie im Saarland nicht so früh verlassen“, erzählte sie den gespannt zuhörenden Mädchen in der Turnhallenumkleide beim gemeinsamen gesunden Mittagessen.
Bei der Heim-WM 2015 in Stuttgart als auch bei den PreOlympics 2016 in Brasilien verpasste Laura Jung das OlympiaTicket für Rio de Janeiro. „Ich war noch nie so fit wie 2015. Es war mein Traum, bei Olympia dabei zu sein. Mit der Gruppe wäre es wahrscheinlich einfacher gewesen. Ich hatte mich für den schwierigeren Weg entschieden“, so Laura Jung ohne Zorn. Ihr Karriereende hatte sie schon für Ende 2016 geplant.
Ihre Laufbahn beschloss sie mit einem stimmungsvollen Auftritt bei den Berlin-Masters. „Dort habe ich die Anerkennung erfahren, nach der ich oft gesucht habe. Berlin war mein Lieblingswettkampf. Dort bin ich aufgeblüht. Das Publikum war einfach toll“, erinnerte sich Laura Jung, die ein Jahr später beim Hauptstadt-Wettkampf auch als Moderatorin fungierte.
Hochinteressant waren auch die vermeintlichen Geschichten am Rande, die sie zum Besten gab. „Beim Essen war meist weniger mehr. Die Waage stand viele Jahre bei uns in der Trainingshalle. Viermal stand ich manchmal am Tag drauf. Mittlerweile ist das abgeschafft. Heute sage ich, es ist sinnvoll, wenn ich auf Weltniveau trainiere. Als 16-Jährige denkt man natürlich, der Trainer ist böse. Aber schon ein halbes Kilogramm Körpergewicht mehr bedeutet, dass die Körperachse bei den Drehungen verloren geht“, erzählte Laura Jung. Auch der Umzug ins Internat sei ihr mit zwölf Jahren nicht leicht gefallen. „Erst war es cool, dann kam das Heimweh. Meine Mutter hat mich aber jedes Wochenende besucht. Wenn ich Freizeit hatte, bin ich in die Stadt gegangen oder habe regeneriert. Auch an Sonntagen wurde trainiert“, so Laura Jung, die zwischen den zwei täglichen Trainingseinheiten 20 Minuten im Bett lag und eine Stunde an der frischen Luft spazieren ging.
Von großen Verletzungen blieb sie verschont. „Einmal ist mir im Training beim Überspagat die Kniescheibe herausgesprungen, als das hintere Bein wegrutschte. Das sah so schlimm aus, das habe ich vor Schreck gleich selbst wieder gerichtet“, erklärte die Gymnastin, die in ihrer Laufbahn mehr den Physiotherapeuten und Osteopathen als den Orthopäden vertraute. Auch mit Sportpsychologen arbeitete sie zusammen. „Die beste Psychologin war aber meine Mama. Vor den PreOlympics in Rio habe ich vor Anspannung so geweint. Erst meine Mutter, mit der ich lange geskypt habe, konnte mich da wieder runterholen“, verriet sie. Im Sommer schließt Laura Jung ihre Ausbildung zur Personaldienstleistungskauffrau ab.
Selbst tritt sie noch in Shows auf, leitet selbst Lehrgänge. Manchmal übernimmt sie auch das Training der Gymnastinnen am Leistungszentrum in Stuttgart. In Gera hat sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „So natürlich, so nahbar – das hatte ich nicht erwartet. Der Tag verging wie im Flug. Nun können die Landesmeisterschaften kommen“, sagte Abteilungsleiterin Kathrin Kirmse.