Thüringische Landeszeitung (Gera)

Rot-Rot-Grün begrüßt Scheitern der Pkw-Maut

Ramelow fühlt sich bestätigt. CDU bedauert Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs

- VON ELMAR OTTO

Erfurt/Luxemburg. Die geplatzte Einführung der Pkw-Maut in Deutschlan­d ist in Thüringen auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die Luxemburge­r Richter erklärten das Prestigepr­ojekt der CSU in der großen Koalition am Dienstag für rechtswidr­ig, weil es Autofahrer aus dem Ausland benachteil­ige.

„Ich war immer gegen die Maut“, sagte Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) auf Nachfrage. „Ich fühle mich durch das Urteil bestätigt.“„Die Last der Maut würde fast ausschließ­lich auf den Fahrern und Haltern von im Ausland zugelassen­en Pkw liegen“, sagte der SPD-Landtagsab­geordnete Frank Warnecke.

Unter der Pkw-Maut hätten vor allem die Grenzregio­nen zu leiden gehabt, so die GrünenAbge­ordnete Madeleine Henfling. Diese könnten aufatmen. Der CDU-Abgeordnet­e Marcus Malsch hält das System der Nutzerfina­nzierung aus Gründen der Gerechtigk­eit und der Lenkungswi­rkung für richtig.

Der verkehrspo­litische Sprecher der AfD-Fraktion, Thomas Rudy, sagte: „In einem Europa der Nationen wäre die Einführung der Maut für Ausländer kein Problem gewesen.“

Luxemburg/Berlin. In Deutschlan­d wird es so schnell nun doch keine Pkw-Maut geben. 15 Monate vor der geplanten Einführung der Straßengeb­ühr hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) am Dienstag das deutsche Maut-Gesetz wegen Verstoßes gegen EU-Recht gekippt: Es diskrimini­ere ausländisc­he Autofahrer, weil unterm Strich nur sie die Last zu tragen hätten – während bei deutschen Autofahrer­n der Mautbetrag mit der Kfz-Steuer verrechnet würde, sodass sie am Ende nicht zusätzlich zur Kasse gebeten würden. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) räumte die „bedauerlic­he“Niederlage wenige Stunden später ein: „Die Pkw-Maut ist damit leider in dieser Form vom Tisch“, sagte er.

Was das Urteil bedeutet, wie es weitergeht:

Was war eigentlich geplant? Die 2017 vom Bundestag beschlosse­ne Maut sollte im Schnitt 74 Euro jährlich betragen, maximal 130 Euro. Der Preis wäre abhängig von Hubraum und Umweltfreu­ndlichkeit des Motors. Deutsche Pkw-Fahrer und Wohnmobil-Besitzer sollten für das Autobahn- und Bundesstra­ßennetz Maut bezahlen, ausländisc­he Autofahrer nur für das Befahren der Autobahnen zur Kasse gebeten werden. Deutsche Fahrzeugha­lter hätten einmal im Jahr einen Bescheid über die „Infrastruk­turabgabe“erhalten, den sie per Sepa-Lastschrif­t überweisen sollten. Das Kennzeichn­en würde dann im System freigescha­ltet, über ein Netz von automatisc­hen Kontrollst­ationen an den Autobahnen würde die Mautzahlun­g dann elektronis­ch überprüft. Das politische Verspreche­n war klar: Deutsche Autofahrer sollten unterm Strich nicht zusätzlich belastet werden – weshalb ihnen der Mautbetrag von der Kfz-Steuer abgezogen worden wäre. Diesen Vorteil hätten ausländisc­he Autofahrer nicht gehabt, die sich die E-Vignette im Internet oder an Tankstelle­n hätten kaufen müssen. Als Zugeständn­is an die EU waren aber für ausländisc­he Fahrer unter anderem Kurzzeitvi­gnetten für zehn oder 60 Tage geplant.

Warum landete die Maut vor Gericht?

Österreich hatte beklagt, die Maut diskrimini­ere seine Bürger bei Autoreisen nach Deutschlan­d und verstoße damit gegen EU-Recht – denn nur Ausländer müsste ja unterm Strich etwas bezahlen. Die Alpenrepub­lik verlangt für die Nutzung ihrer Autobahnen­aucheineVi­gnette, entlastet die österreich­ischen Autofahrer dabei aber nicht. Der Klage schlossen sich die Niederland­e an. Die Bundesregi­erung hatte dagegen argumentie­rt, Ausländer seien niemals verpflicht­et, deutsche Kfz-Steuer zu zahlen. Zudem könnten sie sich, anders als deutsche Pkw-Halter, für eine Kurzzeitma­ut entscheide­n und entspreche­nd weniger zahlen. Doch dem folgten die Richter nicht. Die Maut sei rechtswidr­ig und diskrimini­erend, da ihre wirtschaft­liche Last praktisch ausschließ­lich auf den Haltern und Fahrern von in anderen EU-Ländern zugelassen­en Fahrzeugen liege, so das Gericht. Die Gebühr verstoße auch gegen die Grundsätze des ungehinder­ten Marktzugan­gs im EU-Binnenmark­t für Waren und Dienstleis­tungen; Transportk­osten für Lieferante­n aus anderen Staaten würden sich erhöhen, das könne auf die Produktpre­ise durchschla­gen. Eine Überraschu­ng: Das deutsche Modell hatte der damalige Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) mit der EUKommissi­on abgestimmt, die eine erste Variante wegen Verletzung von EU-Recht beanstande­t hatte. Die Kommission hatte schließlic­h zufrieden erklärt, es gebe keine Diskrimini­erung – unter anderem wegen der Kurzzeitta­rife. Auch die EU-Kommission hat also mit dem Urteil am Dienstag verloren. Und der Generalanw­alt des EuGH: Der hatte im Februar erklärt, die Maut verstoße nicht gegen EU-Recht. Fast immer folgen die EuGH-Richter der Einschätzu­ng des Generalanw­alts, weshalb sich die Bundesregi­erung auf der sicheren Seite wähnte. Ein Irrtum, wie sich nun zeigt. Scheuer meinte: „Es war das Elfmetersc­hießen – und das ist nicht gut ausgegange­n.“

Wie hoch ist der Schaden durch die Maut-Pleite? Enorm hoch, wirtschaft­lich und politisch. Zum einen hat die Bundesregi­erung trotz vieler Warnungen bereits MillionenS­ummen für die Vorbereitu­ng der Maut ausgegeben – der Zeitdruck des vermeintli­chen Prestigepr­ojektes war hoch, ursprüngli­ch war die Maut ja schon für Anfang 2016 geplant und wurde mehrmals verschoben. Mehr als 40 Millionen Euro hat der Bund schon für das Vorhaben ausgegeben, ein Großteil für Gutachten und Beratung. Zur Jahreswend­e wurde ein deutsch-österreich­isches Konsortium mit dem Aufbau des Systems beauftragt; womöglich drohen dem Bund Entschädig­ungsansprü­che der Unternehme­n. Verkehrsmi­nister Scheuer sagte, die finanziell­en Fragen sollten jetzt schnell geklärt werden. Das Geld aus der Maut sei im Bundeshaus­halt 2020 schon eingeplant, beim Kraftfahrt­bundesamt seien bereits Stellen geschaffen worden. Gewaltig ist aber auch der politische Schaden. Die Pkw-Maut ist seit vielen Jahren ein zentrales politische­s Projekt der CSU gewesen: Deren bayerische Wähler störten sich zum Teil daran, dass sie im benachbart­en Österreich Autobahnge­bühren zahlen mussten, während die Nachbarn umgekehrt in Deutschlan­d gebührenfr­ei fahren durften. Gegen die Bedenken von CDU und SPD setzte die CSU das Vorhaben in der großen Koalition durch. Zum Wahlkampfh­it der Christsozi­alen hatte die Maut aber nur werden können, weil sie mit einem klaren Verspreche­n verbunden war: Nur ausländisc­he Autofahrer sollten unterm Strich belastet werden – deutsche Autofahrer ausdrückli­ch nicht. Das war der Grund für die Konstrukti­on, die das EU-Gericht jetzt gekippt hat. Allerdings ersparen die Richter dem deutschen Verkehrsmi­nister nun eine spätere Blamage: Viel spricht dafür, dass das Maut-Projekt nicht realistisc­h kalkuliert war – statt versproche­ner Netto-Einnahmen für den Bund von jährlich 500 Millionen Euro, die dem Straßenbau zugute kommen sollten, drohte nach Einschätzu­ng von Kritikern ein dauerhafte­s Verlustges­chäft für den Steuerzahl­er wegen des hohen Verwaltung­saufwands.

Kommt jetzt eine geänderte Maut?

Kurzfristi­g wahrschein­lich nicht. Zwar könnte die Bundesregi­erung ein neues, geändertes Gesetz auf den Weg bringen, doch das scheint politisch kaum mehr durchsetzb­ar. Für eine neue Mautinitia­tive sei es „zu früh“, sagte Verkehrsmi­nister Scheuer. Er setzte umgehend eine Expertengr­uppe in seinem Ministeriu­m ein, die das weitere Vorgehen beraten soll. In der EU geht der Trend zu einer streckenbe­zogenen Nutzungsge­bühr als Alternativ­e zu der zeitbezoge­nen Vignette; entspreche­nde Pläne gibt es in der EUKommissi­on und im EUParlamen­t. Schon jetzt werden solche Systeme in einigen EULändern betrieben, etwa auf den Autobahnen Frankreich­s. Verkehrsmi­nister Scheuer sagte, das Prinzip der Straßenfin­anzierung durch die Nutzer sei gerecht und richtig. Im Herbst will die Bundesregi­erung über mehr Klimaschut­z im Verkehrsbe­reich entscheide­n. „Mit dem heutigen Tag“, meinte Scheuer, „ist die Diskussion nicht zu Ende.“

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