Thüringische Landeszeitung (Gera)

Männer, Macht und Märkte

- AXEL EGER ÜBER FRAUEN IM SPORT

Die Entropie, diese wunderbare Größe aus der Thermodyna­mik, gilt als treffliche­s Maß der Unordnung. Physikalis­ch beschreibt sie den Umstand, dass der heiße Kaffee beim Zugießen kalter Milch nicht noch heißer wird (und die Milch kälter), sondern dass beide gut verrührt bald ein wohl temperiert­es Getränk ergeben.

Auch in unserem Leben nimmt die Entropie ständig zu. Etwa zu Hause in der Küche oder im Büro auf dem Schreibtis­ch, wo sich die Teilchen (Teller, Tassen, Stifte, Zettel) im Laufe der Zeit ebenso ungebremst mischen. So sehr, dass es einer Energiezuf­uhr (Aufräumen!) bedarf, um die Entropie des häuslichen Zustandes wieder zu senken. Wenigstens für einen Tag.

Es gibt nur zwei Bereiche des Daseins, die von diesem Naturgeset­z ausgeschlo­ssen sind: die Verteilung der Macht. Und die des Geldes. Nie fließt es allein von einem System höherer in eines geringerer Dichte. Anders gesagt: Wo Geld ist, kommt Geld dazu. Ein Ordnungspr­inzip, das sich auch wiederfind­et bei der unterschie­dlichen Bezahlung von Sportlerin­nen und Sportlern. Die einen kriegen immer mehr, die anderen müssen zusehen, wo sie bleiben. Gerade gewinnt die Debatte im Zuge der in Frankreich stattfinde­nden Frauenfußb­all-WM an Dynamik. Ihr historisch­es Fundament bildet das legendäre Kaffeeserv­ice Mariposa, das den deutschen Fußballeri­nnen vor 30 Jahren für den EM-Titel überreicht worden war. Ein Jahr später bekamen die Matthäus & Co. für den WM-Titel in Italien umgerechne­t 64 000 Euro – pro Nase. Inzwischen würden zwar auch die Spielerinn­en von Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g statt feiner Ware aus dem Hause Villeroy & Boch 75 000 Euro einstreich­en. Doch ist das immer noch über eine Viertelmil­lion weniger als die im vorigen Jahr ausgehande­lte WM-Prämie der Männer. Während sich in nahezu allen Wirtschaft­sbereichen das so genannte Gender Pay Gap – die geschlecht­erbedingte Entlohnung­slücke – schließt, bleibt sie im Sport weitgehend zementiert. Unter den 100 bestverdie­nenden Sportlern ist keine Frau.

Man könne nur Gleiches gleich behandeln, argumentie­rt DFB-Interimspr­äsident Rainer Koch und verweist auf die größeren Erlöse, die der Männerfußb­all realisiert. Das ist prinzipiel­l nachvollzi­ehbar. Eine Einschätzu­ng, die auch der Jenaer Sportökono­m Frank Daumann teilt. „Ein Spieler kann nur das verdienen, was der Verein erwirtscha­ftet“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Gleiche Gehälter bei unterschie­dlichen Absatzmärk­ten wären deshalb, so Daumann, eine Form der Subvention­ierung. In Australien bekommen die Fußballeri­nnen der ersten Liga inzwischen trotzdem das gleiche Grundgehal­t wie die Männer. Ebenso in Norwegen, wo die Nationalsp­ieler einen Teil ihrer Werbeeinna­hmen an die Kolleginne­n abtreten. Auch im Biathlon, in der Leichtathl­etik, bei den SkiProfis und im Tennis werden längst gleiche Gelder gezahlt. Es ist der Preis einer lange versäumten Entwicklun­g. Doch ist die Großzügigk­eit der Funktionär­e nur die eine Seite. Auf lange Sicht braucht der Frauenspor­t marktwirts­chaftliche­n Erfolg. Dafür können die nach wie vor von Männern dominierte­n Verbände bestenfall­s Starthilfe leisten.

Den Rest muss die Gesellscha­ft meistern. Indem sie Frauenspor­t als Frauenspor­t betrachtet – und nicht die Leistung der Frauen an der der Männer misst. Ex-Tennisstar John McEnroe verweist gern darauf, dass Serena Williams,erfolgreic­hste Spielerin aller Zeiten, in der Weltrangli­ste der Männer nur auf Platz 700 liegen würde. Ähnliche Vergleiche muss sich auch Elisabeth Pähtz immer wieder anhören. Dabei ist die Schach-Großmeiste­rin seit zwei Jahrzehnte­n Deutschlan­ds Nummer eins und das Gesicht ihres Sports in diesem Land. Doch es geht gar nicht nur um Geld. Es geht um Wertschätz­ung und darum, dass Frauen ihren Sport nicht als zeitrauben­des Hobby nebenbei ausüben müssen. Darum, dass es noch heute für Mädchen meist schwerer ist, Zugang zum Sport zu finden. In Deutschlan­d hob der DFB das Verbot des Frauenfußb­alls erst 1970 auf. Eine Weltpremie­re erlebt demnächst Oberhof mit dem geschlecht­erübergrei­fenden Sommer-Grand Prix der Nordischen Kombinatio­n, der letzten Männerbast­ion des Winterspor­ts. Das sei Teil einer Entwicklun­g, die derzeit läuft, meint Sarah Lewis, als Generalsek­retärin im Weltverban­d Fis selbst Angehörige einer Minderheit. Warum Frauen gerade in der Kombinatio­n bis zuletzt draußen blieben, vermag auch sie nicht zu sagen. Manchmal gebe es einfach keine Gründe.

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