Thüringische Landeszeitung (Gera)
Naturschützer gegen Windenergie
Nabu versucht 100 Anlagen vor Gericht zu verhindern. Kraftwerksfirmen kritisieren strategische Klagewelle
Die Situation scheint paradox: Normalerweise kämpfen Umweltfreunde an vorderster Front für die alternative Energiegewinnung. Doch manchmal gibt es auch Ausnahmen. Anlässlich des 120-jährigen Jubiläums des Naturschutzbundes (Nabu) musste die Organisation den Unmut von mehreren Protestierenden ertragen. Mit Transparenten und Plakaten warfen die Demonstranten den überzeugten Naturschützern vor, den Ausbau der Windenergie zu verhindern – und damit den Schutz des Klimas zu hintertreiben.
Die Aktion sagt viel über den Stand der Energiewende in Deutschland. Während die Bundesregierung bis 2030 deutlich mehr Windstrom produzieren lassen will, werden zurzeit kaum noch Windräder gebaut. Im ersten Halbjahr dieses Jahres gingen bundesweit nur 86 neue Rotoren in Betrieb. Eigentlich müssten jedoch jedes Jahr 1000 bis 1500 neue Windkraftanlagen errichtet werden, wie der Bundesverband Erneuerbare Energien (BWE) errechnet hat.
„Die Klagewelle hat eine verheerende Wirkung.“
Johannes Lackmann, Geschäftsführer Westfalenwind
Ein wesentlicher Grund des augenblicklichen Stillstands seien die zahlreichen Klagen gegen Windanlagen vor Gericht – insbesondere auch von Natur- und Umweltschutzverbänden, berichten Stromunternehmen. „Die Klagewelle hat inzwischen eine verheerende Wirkung“, kritisiert Johannes Lackmann, Geschäftsführer des Unternehmens Westfalenwind, in einem Brief an das Bundesumweltministerium.
So kämpften Naturschutzverbände mittlerweile juristisch um jeden einzelnen Vogel, der im Umkreis von geplanten Kraftwerken lebe. Artenschutz werde „instrumentalisiert“, um Windanlagen grundsätzlich zu verhindern und das „historische Landschaftsbild-Klischee“des unverstellten Blicks über bewaldete Hügelketten zu verteidigen. Auch Dirk Ihmels von der Windanlagen-Firma Innovent meint: „Ich habe den Eindruck, dass der Nabu in Niedersachsen strategisch gegen Windanlagen klagt.“ Die Fachagentur Windenergie, getragen von Staat, Verbänden und Firmen, hat in einer aktuellen Umfrage 325 Windanlagen bundesweit erfasst, deren Betreiber juristische Probleme haben. Im Vergleich zu den insgesamt rund 30.000 Rotoren an Land scheint das nicht viel – doch im Verhältnis zum augenblicklich langsamen Zubau ist es eine Menge. Von den 325 werden 198 derzeit durch Umwelt- und Artenschützer beklagt. In 93 Fällen – knapp einem Drittel – seien die Verfahren dabei „einem einzelnen, bundesweit tätigen Verband“zuzurechnen, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Inga Römer vom Nabu-Bundesverband bestätigt die Zahl. Gegenwärtig betreibe der Verband 24 Klagen, sagt die Referentin für Naturschutz und Energiewende. Pro Verfahren seien im Durchschnitt vier bis fünf Rotoren betroffen. Einen
325 Betreiber haben juristische Probleme
guten Teil davon listet der Naturschutzbund NordrheinWestfalen auf seiner Internetseite auf.
Als Grund für das Verfahren gegen den Windpark Rotes Land in Marsberg, Hochsauerlandkreis, wird beispielsweise angeführt: „Der Schutz der Brutvorkommen geschützter Arten wie Rotmilan und Wachtel, Schutz von Rastgebieten unter anderem des Mornellregenpfeifers“.
Dass der Naturschutzbund allerdings „strategisch“Kraftwerke zu verhindern versuche, weist die Nabu-Mitarbeiterin Römer zurück. Aktiv werde man nur, wenn der Artenschutz im konkreten Fall juristisch verletzt werde und es „qualitative Mängel“in der Planung gebe. Grundsätzlich und offiziell sieht der Naturschutzbund keinen Widerspruch zwischen der Energiewende und dem Naturschutz. Der Verband unterstütze das Ziel der Bundesregierung, den Anteil von Ökostrom am Elektrizitätsverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent anzuheben.
Der Naturschutzbund setzt jedoch darauf, dass dieses Ziel auch durch Energieeinsparung oder durch den Ausbau von mehr Sonnenzellen auf Hausdächern erreicht werden könnte. Zudem mahnt die Nabu-Expertin Römer eine bundesweite Flächenplanung für den Ausbau von Ökokraftwerken an. Theoretisch mögen sich Energiewende, Arten- und Landschaftsschutz miteinander verbinden lassen. Konkret ist es jedoch oft schwierig, wie die zahlreichen Klagen von NabuLandesverbänden zeigen. Um die Gegner einander näherzubringen, wurde nun ein sogenannter runder Tisch eingerichtet. Seit April dieses Jahres treffen sich dazu in Niedersachsen unter anderem die Wind- und Naturschutzverbände, die Landesregierung und die Kommunen.
Zunächst gehe es darum, wieder eine Gesprächsebene ohne juristischen Streit zu finden, sagte Silke Weyberg vom Landesverband Erneuerbare Energien. Und dann sind Kompromisse im Einzelfall nötig: Am Ende wird dann voraussichtlich nicht jeder Rotmilan seinen Horst behalten und auch nicht jedes Windrad so gebaut werden, wie geplant.