Thüringische Landeszeitung (Gera)
Sehr geehrter Professor Kehrer, Wie können Kinder von ihren Eltern am besten betreut werden?
Derzeit wird um Modelle für den passenden Lebensentwurf von getrennt lebenden Erwachsenen mit ihrem Nachwuchs gestritten
Professor Dr. Gerhard Kehrer aus Heilbad Heiligenstadt schreibt zum Thema Kinderbetreuung durch getrennt lebende Eltern unter anderem:
Sehr geehrte Frau Sommer, mit Interesse habe ich gelesen, dass Sie sich mit verschiedenen Betreuungsmodellen nach der Ehescheidung auseinandersetzen wollen.
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland die meisten Medien einer ernsthaften Beschäftigung mit dieser Thematik aus dem Weg gehen, ist Ihr Bemühen um Aufklärung der Vor- und Nachteile von Betreuungsmodellen anzuerkennen, führen doch Fachleuten zufolge Unkenntnis auf diesem Gebiet und die in der Bundesrepublik regelhafte Anwendung des Residenzmodells vermeidbar jahraus jahrein zu vieltausendfachem großem Leid bis hin zu zahlreichen Suiziden bei betroffenen Kindern und Erwachsenen.
Es ist bei näherer Beschäftigung mit den Zusammenhängen evident, dass das Wechselmodell als Regelmodell deutliche Vorteile gegenüber dem praktizierten Residenzmodell hätte. Tatsächlich ist aber zumindest in anderen Ländern die Diskussion schon viel weiter fortgeschritten und Modelle, bei denen möglichst lange mit bekannter Geschwindigkeit arbeitende Gerichte und teure Anwälte außen vor gehalten werden können, haben wohl viele segensreiche Vorteile. Es täuscht jedenfalls, wenn man meint, die nach einer Ehescheidung resultierenden Betreuungsfragen aus dem Bauchgefühl heraus ohne profunde Kenntnis der einschlägigen psychodynamischen Zusammenhänge und der Erkenntnisse aktueller Bindungsforschung beurteilen zu können, ohne die durch die Verfassung in Artikel 2 Grundgesetz geschützte psychische Gesundheit unter anderem der betroffenen Kinder zu verletzten. Häufiges Aussprechen des Wortes „Kindswohl“, noch dazu als binäres Ja-NeinPhänomen verstanden, beweist weniger eine ausreichende Kompetenz auf diesem Gebiet als vielleicht eher eine narzisstische Selbstüberschätzung.
Für einen Leserbrief sollen diese Andeutungen der aus meiner Sicht wichtigsten zu beachtenden Facetten einer komplexen zugrundeliegenden Psychopathologie zunächst genügen. besten Dank für Ihre Hinweise auf ein Thema, das viele Leserinnen und Leser beschäftigt. Die Frage, wie Erwachsene, die sich oft nichts mehr oder zumindest nichts Gutes mehr zu sagen haben, als Eltern gemeinsam möglichst für das Kind oder die Kinder gedeihliche Lösungen zum Aufenthalt finden sollen, lässt sich offenkundig nicht pauschal
Beantwortet Leser-Anliegen: Gerlinde Sommer stv. TLZ-Chefredakteurin
beantworten. Es muss aber Lösungen geben – und diese müssen dem jeweiligen Kind gerecht werden. Ich verstehe gut, wenn Sie betonen, dass allein der Verweis auf das Kindswohl, das jede Seite für sich reklamiert, wenig hilfreich ist. Es lässt sich leicht vorstellen, dass es für die beteiligten staatlichen Stellen einfacher wäre, wenn eine bestimmte Handhabung die Regel darstellen würde und nicht in jedem einzelnen Fall ausgehandelt werden müsste.
Wir bitten in diesem Zusammenhang um konkrete Beispiele, wie Eltern es geschafft haben, für ihre Kinder eine gute Art der Betreuung zu ermöglichen. Schicken Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns dazu Ihre Hinweise, die wir dann gerne gegebenenfalls veröffentlichen werden. Besten Dank.