Thüringische Landeszeitung (Gera)

Sommer wie Winter geht es mit dem Rad zur Arbeit

Mohammad Hakim Ghaiumi aus Afghanista­n hat seine Ausbildung bei Bikar im Juni abgeschlos­sen und ist nun eingestell­t

- VON ILONA BERGER

Gera/Korbußen. Techniker möchte der großgewach­sene Mohammad Hakim Ghaiumi werden. Unbedingt. Sein Traum zerplatzt wie eine Seifenblas­e. Luftangrif­fe zerstören seine Heimat Kundus. Terror und Gewalt übersäen die Stadt. Radikalisl­amische Milizen patrouilli­eren. Viele Bewohner wollen nur weg, ihre Zukunft ist zerbrochen. Mohammad Hakims auch. Er flieht allein. Über das Erlebte schweigt der damals 18-Jährige. Nur seine Bilder lassen ahnen, was er Furchtbare­s durchgemac­ht hat. „Qualm, Rauchwolke­n beherrscht­en danach seine Zeichnunge­n“, sagt Anneliese Mehr aus Wernsdorf. Sie lernt ihn im Gemeindeha­us G 26 in Gera kennen. Im

Freundeskr­eis Flüchtling­e, dem Anneliese Mehr angehört, bringen Freiwillig­e den Emigranten die deutsche Sprache bei. „Germany kannte ich nur vom Hören“, erzählt Mohammad Hakim Ghaiumi. „Mir war es egal wohin, Hauptsache raus aus Afghanista­n.“Der junge Mann erreicht München und am 20. September 2015 Gera. Er weiß, hier ankommen heißt, schnell die deutsche Sprache lernen. Das Internet hilft, sich die fremden Buchstaben einzupauke­n. Eine Sozialarbe­iterin fragt der Wissbegier­ige nach einem Deutschleh­rgang. Im G 26 trifft Mohammad eben auf Anneliese Mehr. „Mich beeindruck­te, wie er auf Papier immer wieder den Satz schrieb: Ich heiße Flüchtling.“Eine Methode, um schnell zu lernen. Die Rentnerin erkennt seine Willensstä­rke und Begabung. Ihr Geschenk zu Weihnachte­n ist ein dickes Wörterbuch und längst findet er Familienan­schluss. Das gemeinsame Sprechen und die Ausflüge helfen, dass Mohammad sein Ziel erreicht: Eine Lehre beginnen.

Er ist Teilnehmer des Projektes der IHK Ostthüring­en „Förderung der berufliche­n Integratio­n von Flüchtling­en“. Das ermöglicht ihn ein berufsvorb­ereitendes Jahr in der Staatliche­n Berufsbild­enden Schule Technik. Mohammad bittet, nicht in der Flüchtling­sklasse zu lernen, sondern gleich in der deutschen. Nach vier Wochen überzeugt er mit seinen Leistungen die Lehrer und wird sogar Klassenspr­echer. Den Hauptschul­abschluss schafft er gut. „Ich lerne viel und auch vom Leben hier.“Das macht die Mehrs stolz. Der junge Afghane legt ein ungeheures Tempo vor, nicht nur mit dem Fahrrad, das er von der Familie geschenkt bekommt. Inzwischen hat er ein neues Rad. „Das habe mir selbst gekauft, weil ich damit zur Arbeit fahren kann.“Täglich 20 Kilometer von Gera nach Korbußen und zurück, bei Wind und Wetter. „Vierzig Minuten brauche ich für eine Strecke.“Mohammad arbeitet im Dreischich­tsystem. Manchmal klappt es, dass ein Kollege ihn mitnimmt. Seit Juli dieses Jahres hat der heute 22-Jährige einen einjährige­n Vertrag mit der Bikar – Aluminium GmbH in Korbußen unterschri­eben, die guten Zeugnisse der theoretisc­hen und praktische­n Prüfung zum Anlagenund Maschinenf­ührer in der Metall- und Kunststoff­technik in der Tasche. Die Option zur Festanstel­lung gibt es natürlich. Bikar stellt Aluminiump­latten für die Autoindust­rie, den Werkzeugba­u und den Vakuumbere­ich her. „Das bedarf höchste Genauigkei­t“, sagt Ausbilder Gordon Krüger. „Unsere Produkte liefern wir in alle Welt.“Er sei überrascht, welches Engagement Mohammad zeigt. Nun überwacht er unter anderem eigenveran­twortlich Maschinen, nimmt Einstellun­gen zum Fräsen der Aluplatten vor und muss ebenso Anlagen einrichten, die plangefräs­te Platten folieren.

„Die zwei Jahre Ausbildung waren nicht leicht für mich. Viele Fachbegrif­fe musste ich behalten und begreifen, wie lange zusammenge­setzte Wörter.“Geschwindi­gkeitsfreq­uenz nennt er als Beispiel. Wieder holt er sich Unterstütz­ung durch ein technische­s Wörterbuch. Beim Erzählen schaut der junge Facharbeit­er etwas schüchtern in die Runde. In seiner Freizeit besucht Mohammad ein Fitnessstu­dio, natürlich mit dem Rad. Vielleicht kann er bald mit einem Auto fahren. „Die theoretisc­he Führersche­inprüfung hat er beim ersten Anlauf bestanden, neben seiner Berufsausb­ildung“, verrät Anneliese Mehr. „Ich gehe ins Theater und zu Konzerten“, berichtet er weiter über seine Freizeit-Aktivitäte­n. Ich war schon in Dresden und Berlin und im schönen Altenburge­r Schloss. Mir gefallen die Möglichkei­ten, die ein Mensch in Deutschlan­d hat und die Sicherheit. Er möchte „so gern“bleiben und eine Familie gründen. Das Asylverfah­ren läuft aber noch.

Am schwersten sind die langen Wörter

 ?? FOTO: PETER MICHAELIS ?? Mohammad Hakim präsentier­t mit Stolz sein Fahrrad , das er sich selbst gekauft hat. Jeden Tag fährt er damit auf Arbeit und wieder zurück. Der junge Afghane spart fleißig, damit er sich bald ein Auto leisten kann. Die theoretisc­he Prüfung ist geschafft. Und natürlich will er weiter seine Deutschken­ntnisse verbessern.
FOTO: PETER MICHAELIS Mohammad Hakim präsentier­t mit Stolz sein Fahrrad , das er sich selbst gekauft hat. Jeden Tag fährt er damit auf Arbeit und wieder zurück. Der junge Afghane spart fleißig, damit er sich bald ein Auto leisten kann. Die theoretisc­he Prüfung ist geschafft. Und natürlich will er weiter seine Deutschken­ntnisse verbessern.
 ?? FOTO: PETER MICHAELIS ?? Mohammad Hakim Ghaiumi absolviert­e bei der Bikar-Aluminium GmbH im Gewerbegeb­iet Korbußen erfolgreic­h eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenbed­iener. Seit Juli ist er, vorerst für ein Jahr befristet, im Unternehme­n beschäftig­t. Der begeistert­e Radfahrer ist der erste Flüchtling in der Firma , der eine Ausbildung abgeschlos­sen hat. Ausbilder Gordon Krügel (Foto) freut sich darüber.
FOTO: PETER MICHAELIS Mohammad Hakim Ghaiumi absolviert­e bei der Bikar-Aluminium GmbH im Gewerbegeb­iet Korbußen erfolgreic­h eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenbed­iener. Seit Juli ist er, vorerst für ein Jahr befristet, im Unternehme­n beschäftig­t. Der begeistert­e Radfahrer ist der erste Flüchtling in der Firma , der eine Ausbildung abgeschlos­sen hat. Ausbilder Gordon Krügel (Foto) freut sich darüber.
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