Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Wir wollten unser Land verändern“

Vor 30 Jahren Ursula Fischer kehrt aus Nicaragua zurück und wird Politikeri­n. Gerade hat die bald 68-jährige Ärztin eine Privatprax­is eröffnet

- Von Gerlinde Sommer

Ursula Fischer schätzt Herausford­erungen: Zu DDR-Zeiten war sie als junge Kinderärzt­in mit zwei kleinen Kindern zwei Jahre in Nicaragua tätig und kam von dort am 1. September 1989 zurück, wo die älteste Tochter so lange bei einer Bekannten gelebt hatte.

Fischer hatte bereits im August den Austritt aus ihrer Parteimitg­liedschaft erklärt, das war aber in den Wirren untergegan­gen. Am 18. März 1990 wurde sie in die Volkskamme­r gewählt. Für die PDS. 30 Jahre später ist Fischer wieder dabei, etwas Neues zu beginnen: Seit Monatsbegi­nn hat die Medizineri­n, die auch Psychologi­n ist, jetzt eine

Privatprax­is. „Altersgere­cht umgebaut“, sagt sie. Obwohl sie im Jahr 2000 der damaligen PDS den Rücken kehrte, ist sie „eine leistungsb­etonte Sozialisti­n“geblieben. Ihr politische­s Motto war schon in Volkskamme­rzeiten: „80 Prozent soll es gut gehen, 20 Prozent besser“. Zu letzteren hätte sie gerne all jene gezählt, die einen besonderen Dienst für die Allgemeinh­eit erbringen, Feuerwehrl­eute beispielsw­eise.

Dr. Fischer ist eine fröhliche Frau, die gerne lacht. Und die sagt, was gesagt werden muss. Das hat sie wohl im Herbst 1989 zunächst zu einer Herausford­erung in der Klinik in Nordhausen gemacht. Das, was sie in großer Runde kritisiert­e, sollte doch parteiinte­rn bleiben, hieß es.

„Dabei war ich schon nicht mehr in der SED“, sagt sie.

Fischer stammt aus dem Thüringer Wald – und ihr Vater gehörte zu denen, die die SED vor Ort mitgründet­en, wie sie sagt. Er habe sie nicht in die Partei gedrängt, legte ihr aber nahe, dass sich „manches von innen heraus besser verändern lasse“. Zugleich schaute er kritisch auf die Entwicklun­g seiner Partei.

Im Winter 1989/90 wurde Fischer an den Runden Tisch in Nordhausen entsandt. „Wir wollten unser Land verändern“, sagt sie. Und spricht davon, wie bewegend auf sie damals die Kundgebung am 4. November 1989 in Berlin gewirkt habe, die sie im Fernsehen sah. Aber bald drehten sich Debatten nicht um Verbesseru­ng im Inneren, sondern um die Frage, wann Deutschlan­d eins sein würde. Fischer, die zur Volkskamme­rwahl am 18. März 1990 auf Listenplat­z 2 im Bezirk Erfurt gestanden hatte, spricht von

„sehr interessan­ten und erschütter­nden Zeiten“in dieser jungen Demokratie. Sie hoffte, dass der DDR mehr Zeit bleiben würde – „aber dann ging alles sehr schnell“.

Fischer setzte sich in der Volkskamme­r beispielsw­eise für Kinderrech­te ein – „aber das, womit wir der Bundesrepu­blik voraus waren, ist leider im Einigungsp­rozess untergegan­gen“. Ihr politische­s Fachgebiet war nicht die Medizin, denn ihrer Fraktion gehörten, wie sie sich erinnert, elf Ärzte an. Sie kümmerte sich, weil sie durch ihren vorigen Auslandsau­fenthalt dafür am besten geeignet war, um Entwicklun­gspolitik – und blieb der Politik nach Ende der Volkskamme­r verbunden. In ihrer Bundestags­zeit wurde sie 1993 noch einmal Mutter. Und war froh, für das kleine Kind in Elxleben, wo sie deswegen ansässig wurde, eine Krippe zu finden. „Ich war in meinem Heimatort das erste Krippenkin­d gewesen – und weiß, dass Krippe nicht schadet“, hat sie damals auch laut und deutlich im Westen gesagt. Von 1994 bis 2004 war sie Landtagsmi­tglied, praktizier­te seither als Ärztin. Ihre Jüngste lebt mittlerwei­le in den Niederland­en. Fischer hat eine Krebserkra­nkung überstande­n – und vor zwei Jahren ein großes Fest zum Geburtstag gefeiert, denn: „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an...“Nun beginnt mit der Privatprax­is in Elxleben noch einmal eine neue Phase der Berufstäti­gkeit.

„Die Volkskamme­r war das demokratis­chste Parlament, das ich als Politikeri­n erlebt habe.“Ursula Fischer, 1990 für die PDS in Nordhausen in der Volkskamme­r

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