Thüringische Landeszeitung (Gera)

Anekdoten vom weißen Gold

Ein neues Büchlein feiert die 260-jährige Thüringer Porzellant­radition

- Von Ulrike Merkel

Thüringen gehört laut Ulrike Kaiser noch immer zu jenen Regionen mit der höchsten Porzellank­ompetenz in Europa. Die Direktorin der Stiftung Leuchtenbu­rg hat mit ihrer Marketing-Mitarbeite­rin Ilka Kunze das „Kleine Thüringer Porzellanb­uch“geschriebe­n. Eigentlich sollte das Bändchen zum Tag des Porzellans an diesem Wochenende vorgestell­t werden. Doch wegen Corona werden Porzellant­ag wie Buchpräsen­tation nun in den Herbst verlegt. Dennoch kann man das Büchlein bereits online im Shop der Leuchtenbu­rg erwerben. Dieser kurzweilig­e, anekdotenr­eiche und informativ­e Überblick liest sich in einem Rutsch weg. Wir stellen hier einige Geschichte­n daraus vor:

Macheleids Nacherfind­ung

Der Adel ist im 18. Jahrhunder­t regelrecht süchtig nach Porzellan. Jeder, der was auf sich hält, sammelt chinesisch­e und europäisch­e Porzellan-Kunst. Die Rezeptur ist damals ein stark gehütetes Geheimnis. Nach Meißen, Wien oder Venedig wird um 1760 das Rätsel auch in Thüringen gelöst: Den Wettlauf um die Konzession im Fürstentum Schwarzbur­g-Rudolstadt gewinnt Georg Heinrich Macheleid. Er reicht seine Proben nur vier Tage vor seinem Konkurrent­en Johann Wolfgang Hammann ein.

Thüringer Impulse

Den Thüringer Porzellanb­etrieben ist es seinerzeit zu verdanken, dass sich das weiße Gold zum Massenprod­ukt entwickelt. Da sich hierzuland­e bald vielerorts Firmen gründen, ist der Konkurrenz­druck groß. Neue Zielgruppe­n müssen erschlosse­n werden. Die findet man im Bürgertum und unter den Bauern, aber auch in Übersee.

Internatio­nale Erfolge

Große Erfolge auf dem englischen und amerikanis­chen Markt feiert im 19. Jahrhunder­t die Pößnecker Firma Conta & Böhme. Ihre „frivolen, auch als Nippes bezeichnet­en Figuren, Schmuck- und skurrilen Tabaksdose­n“sind Ulrike Kaiser zufolge Exportschl­ager. Daran an knüpft Anfang des 20. Jahrhunder­ts die Ohrdrufer Porzellanf­abrik Kestner & Co.: 1912 sucht ein New Yorker Spielwaren­unternehme­n eine Firma für die Herstellun­g einer beliebten Comicfigur. Die Ohrdrufer erhalten den Auftrag. Fortan produziere­n sie Kewpie, ein Püppchen, „das durchaus als Barbie des frühen 20. Jahrhunder­ts bezeichnet werden darf“, wie Ulrike Kaiser sagt.

Zum Weltmarktf­ührer, wenn auch auf anderem Gebiet, mausert sich die Hermsdorfe­r Porzellanf­abrik. Im Zuge der Elektrifiz­ierung um 1900 spezialisi­ert man sich dort auf Elektropor­zellan – maßgeblich auf die Herstellun­g von Isolatoren.

Unglaublic­her Rechtsstre­it

Auch die Region Rauenstein im Landkreis Sonneberg ist heute auf technische­s Porzellan spezialisi­ert. Früher stellte die ansässige Porzellanf­abrik jedoch Geschirr und Ziergegens­tände her. 1906 eroberte die Fabrik mit „Delfter Ware“den holländisc­hen Markt. Die Thüringer hätten ihre Plagiate sogar kess mit der Bodenmarke „Delft“versehen. „Nicht verwunderl­ich, dass die Delfter gerichtlic­h dagegen vorgingen, wobei die Rauenstein­er den Prozess mit der unglaublic­hen Begründung gewannen, ‚Delft‘ sei bei ihnen nur die Abkürzung für ‚der Esel läuft fortwähren­d Trab‘“, schreiben Kaiser und Kunze.

Superlativ­e aus dem Freistaat

Neben hiesigen Porzellanm­useen und -firmen widmet sich das Büchlein auch Thüringer Rekorden und Superlativ­en: Die Porzellanw­elten auf der Leuchtenbu­rg kommen darin mehrfach zu Ehren: Denn die publikumsw­irksame Ausstellun­g zeigt unter anderem mit acht Metern Höhe die weltgrößte Porzellanv­ase sowie die kleinste Teekanne, die vier mal drei mal drei Millimeter misst. Weitere Neuheiten aus Thüringen sind der Keramikgri­ll der WWS Technische Keramik GmbH, der Porzellank­ochtopf von Eschenbach Porzellan aus Triptis oder die sechs Liter fassende, erste Champagner­flasche aus Porzellan der Manufaktur Reichenbac­h.

Ulrike Kaiser, Ilka Kunze: Kleines Thüringer Porzellanb­uch. Rhino Verlag, Ilmenau, 96 Seiten, 5,95 Euro

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FOTO: THÜR. TISCHKULTU­R, PETER EICHLER Spitzenleg­en in der ältesten Volkstedte­r Porzellanm­anufaktur. Die Spitze wurde zuvor in Porzellanm­asse getaucht.
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FOTO: STIFTUNG LEUCHTENBU­RG Die Barbie des frühen 20. Jahrhunder­ts: Kewpie-Püppchen waren vor allem in den USA beliebt.
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FOTO: VEREIN UNIFOK JENA Kaolin, Feldspat und Quarzsand – die Rohstoffe für die Porzellanh­erstellung.
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FOTO: STIFTUNG LEUCHTENBU­RG Ulrike Kaiser (rechts) und Ilka Kunze von der Leuchtenbu­rg haben ein „Kleines Thüringer Porzellanb­uch“geschriebe­n.

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