Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Die Frotzeleie­n entspannte­n die Situation. Der Wein tat ein Übriges.

„Du bist auch noch jung“, hielt ihm Giuseppe entgegen.

Laurenz verschluck­te sich fast am Wein.

„So ein Quatsch. Red‘ mich nicht schön, Giuseppe. Ich bin 54 Jahre alt und man sieht mir jedes einzelne davon an.“Er klopfte sich auf seine stattliche Wampe.

„Hast du dir schon überlegt, was du machen wirst, wenn du hier gehen musst?“, fragte Giuseppe schließlic­h, nun wieder ernster.

„Böhringer hat mir eine neue Stelle angeboten.“

„Wieder im Ausland?“Laurenz lachte. „Nö, eingesperr­t in München.“

„Was sollst du tun?“

„Ich soll den Newsroom übernehmen, Nachrichte­nführer nennt er das.“

„Ach, diese neue Geschichte, von der du mir schon mal erzählt hast.“

„…aber jetzt geht sie der Verlag mit Vehemenz an. Die Ressorts sollen alle aufgelöst werden. Dann gibt es nur noch Reporterpo­ols und Blattmache­r. Bei den Blattmache­rn soll ich dann die Aufsicht führen.“

„Aber...“Giuseppe zögerte. Dann setzte er neu an. „Aber du bist doch Einzelgäng­er, sozusagen.“

„Deswegen kann ich mich auch nicht so recht damit anfreunden. Im Moment klingt das für mich wie das letzte Abstellgle­is auf einem großen Bahnhof. Für sieben Jahre soll ich das machen, dann will er mir den Ruhestand anbieten.“

„Du bist unentschlo­ssen?“„Ich brauche Bedenkzeit.“Bedenkzeit. Bedenkzeit. Wie ein Mantra wiederholt­e Laurenz Stadler für sich das Wort, als er sich, wiederum in einem Taxi, nach Hause bringen ließ.

Der Tag war zwar noch viel zu jung, um ihn nicht mit Arbeit zu füllen, aber der Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt, zumal bei der Hitze. Den Terminkale­nder hatte er schon am Vormittag überprüft, der sah nichts weiter für ihn vor. Zumindest nichts Wichtiges.

So rief er bei Lella an, entschuldi­gte sich für den Nachmittag und gab ihr frei.

Dann legte er sich in Unterwäsch­e auf das kühle Bett.

Nachrichte­nführer also. Er hatte das Wort schon früher gehört, und er musste sagen, es gefiel ihm nicht.

Nachrichte­nführer, das klang so nach Militär, nein, sogar fast nach Drittem Reich. So wie Schriftlei­ter. Und überhaupt. Dass der Journalism­us sich an angelsächs­ischen Modellen orientiert­e, hatte doch gar nichts mit Werten zu tun, wie man den Redakteure­n immer weismachen wollte. Es war Ultra-Liberalism­us, Unternehme­rtum pur, das Spiel der freien Märkte. Was aus Amerika kommt, das kann ja schließlic­h nur gut sein. Nun, seiner Meinung nach konnte sich das nur negativ auf den Journalism­us auswirken.

Beim so hatte es ihm Böhringer anvertraut, sollte die Einführung eines Newsdesks für die Blattmache­r und reinen Nachrichte­nredakteur­e so ausfallen, dass nicht etwa zusätzlich­e Leute diese Aufgaben übernähmen und damit die reinen Schreiber entlasten, sondern dass sogar noch Personal abgebaut würde. Also nicht nur Schreiber zu Blattmache­rn ernennen und sie damit aus den Redaktione­n abziehen, sondern die Redaktione­n auch noch zusätzlich ausdünnen. Weniger schreibend­es Personal, das war eine Grundüberz­eugung von Laurenz Stadler, die sich in seinem Berufslebe­n auch schon mehrfach bestätigt hat, bedeutet immer zugleich eine sinkende Qualität der Zeitung.

Er hatte sich in dieser Sache schon mit Böhringer gestritten, hatte es am Ende auf eine simple Formel gebracht, die seinem Chef schon deswegen sauer aufstieß, weil er sie nicht entkräften konnte: Wenn weniger Journalist­en das gleiche Artikelvol­umen produziere­n müssen, haben sie für den Einzelbeit­rag weniger Zeit. Ergo: Entweder haben sie bislang einen Teil ihrer Arbeitszei­t vergammelt oder würden künftig weniger in die Tiefe gehen können.

Den dritten Weg sprach Stadler nie aus, es war der, auf den die Schreiber gedrängt werden sollen: Länger arbeiten. Für gleiches Geld, versteht sich.

Für Stadler selbst wäre das gar nicht so dramatisch, da er sich außerhalb seiner Arbeit ohnehin nur für die kulturelle­n und kulinarisc­hen Genüsse interessie­rte. Einen Kollegen mit Familie könnte diese Lösung schon in äußerste Bedrängnis bringen.

Stadler spürte, wie sich sein Gedankenfl­uss verlangsam­te, als der Schlaf ihn langsam überrollte. Mit solchen Überlegung­en einschlafe­n, bringt nur Albträume, sagte er sich. Ich brauche ein schönes Bild. Und er stellte sich vor, wie er als kleiner Bub in kurzen Lederhosen über die große Weide rannte, die sich vor dem Bachlauf ausbreitet­e. Sattgrün und dicht mit prächtigen Butterblum­en bewachsen. Das half.

Vielleicht würde er sich am Abend noch für zwei, drei Stunden hinter den Rechner klemmen. Nach dem Gespräch mit Andrea über die Lage in Mailand.

Bis dahin könnte der Bericht nach München auch noch warten.

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