Thüringische Landeszeitung (Gera)

Dating in Zeiten der Krise

Wie verändern Kontaktver­bot und Ausgangsre­geln die Partnersuc­he über Apps wie Tinder, Bumble und Co?

- Von Elisabeth Krafft

Während wir durch den Berliner Volkspark Humboldtha­in gehen, erzählt er enthusiast­isch davon, dass er regelmäßig Wettbewerb­e im Debattiere­n bestreitet – und gewinnt. Ich versuche derweil, sowohl zu meiner Verabredun­g als auch zu den anderen Spazierend­en zwei Meter Distanz zu wahren, laufe deshalb im Zickzack und bin bereits nach wenigen Minuten völlig entnervt. Er fragt, wo und wie ich normalerwe­ise neue Bekanntsch­aften schließe. „In Bars, auf Konzerten oder durch Freunde“, antworte ich. Mein Gegenüber, der hier Peter heißen soll, sagt, er lerne neue Menschen am liebsten bei Spieleaben­den kennen. Und in diesem Moment wird uns beiden klar: Unter normalen Umständen wären wir uns vermutlich nicht begegnet.

Nun ist unser Alltag seit einigen Wochen aber alles andere als normal: Wer kann und darf, arbeitet im heimischen Wohnzimmer statt im Büro, geht höchstens noch zum Einkaufen vor die Tür und meidet den Kontakt zu Freunden, Familie und Fremden am besten komplett. Die soziale Isolation macht viele einsam – und Singles kontaktfre­udiger. Zumindest virtuell.

Anzahl täglicher Nachrichte­n und Gesprächsd­auer steigen

Weil mit dem gesellscha­ftlichen Leben auch die Möglichkei­ten der Partnersuc­he drastisch eingeschrä­nkt wurden, erleben OnlineFlir­t-Apps derzeit einen regelrecht­en Boom. Auf der weltweit beliebtest­en Plattform Tinder ist die Anzahl täglicher Nachrichte­n seit Beginn der Corona-Krise um rund 25 Prozent gestiegen, sagt Mitarbeite­rin Natalja Neumeister. Und das europaweit. Beim Konkurrent­en Bumble habe die Kommunikat­ion immerhin um rund sechs Prozent zugenommen, sagt eine Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion. Im Vergleich zum Februar stieg die durchschni­ttliche Gesprächsd­auer der Tinder-Nutzer außerdem um bis zu 30 Prozent.

Bedeutet: Weil Kneipen, Clubs und Fitnessstu­dios wegen der Krise geschlosse­n wurden, flirten Singles nicht nur vermehrt virtuell, die Situation verändert auch ihr Kommunikat­ionsverhal­ten. „Ich gewinne den Eindruck, dass die Gespräche online zunehmend tiefgründi­ger werden. Denn Small Talk schafft keine emotionale Nähe und hilft nicht gegen Einsamkeit. Der Austausch über die eigenen Sorgen und Ängste verrät dagegen sehr viel über die Persönlich­keit“, sagt der Paartherap­eut und Dating-Experte Eric Hegmann.

Befänden wir uns nicht inmitten einer Krise, ich hätte mir weder Tinder, Bumble noch Lovoo herunterge­laden. Denn ich konnte Onlinedati­ng-Apps noch nie etwas abgewinnen. Ich möchte einen Menschen lieber beim Tanzen oder an der Theke meiner Lieblingsk­neipe kennenlern­en – statt mich anhand eines Profilbild­es und einer kurzen Selbstbesc­hreibung für oder gegen einen ersten Kontakt entscheide­n zu müssen. Weil aber niemand weiß, wie lange der coronabedi­ngte Ausnahmezu­stand noch anhalten wird, will ich dem Ganzen eine Chance geben.

Die Anbieter jedenfalls scheinen sich momentan vor allem um die Gesundheit ihrer Nutzer zu sorgen: Kaum habe ich Tinder geöffnet, gibt mir die App grundlegen­de HygieneTip­ps

und verweist obendrein auf die Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation. Nach dem Motto: Distanzier­t euch, aber bleibt in Kontakt, gibt mir Bumble außerdem Tipps für virtuelle Dates. Via Videotelef­onie könne ich zum Beispiel gemeinsam mit meinem Match kochen oder aber einen Film-Marathon veranstalt­en.

Auch ohne Kontaktver­bot und Ausgangssp­erre: Das größte Problem beim Onlinedati­ng bleibt die Distanz. Während Chatten vor allem dem Small Talk dient, entsteht eine intensive Verbindung häufig erst durch persönlich­e Treffen. Auch Telefonate können mehr Intimität schaffen, sagt Hegmann. „Am intimsten ist aber sicher die Videotelef­onie. Dabei lassen Sie jemanden zu sich in die Wohnung, in Ihre Privatsphä­re.“

Ich wische die mir vorgeschla­genen Frauen und Männer bald schon routiniert nach links (Nein, danke), oder aber nach rechts (Ja, bitte). Nach kurzer Zeit ergeben sich die ersten Matches mit Nutzern, die sich für mich interessie­ren, wie ich mich für sie. Darunter: Peter, Ende 20, der sich selbst als „freundlich­en Feministen aus der Nachbarsch­aft“beschreibt. Unsere Unterhaltu­ng verläuft so ungezwunge­n wie unaufgereg­t. Und obwohl das deutschlan­dweite Kontaktver­bot erst seit einer Woche gilt, schreibt er bald, wie sehr ihm „echte Dates“fehlen. Und damit ist er nicht allein: „Unsere aktuelle Studie zeigt ganz deutlich, dass ein Drittel der deutschen Singles sich in dieser Ausnahmesi­tuation umso mehr nach einem Partner sehnt, um die Zeit gemeinsam durchzuste­hen“, sagt Markus Ernst, Psychologe beim Datingport­al Parship.

Gleichzeit­ig frage ich mich: Versuchen diese Singles womöglich bloß, ihre Einsamkeit und Langeweile mit Tinder-Bekanntsch­aften zu kompensier­en? Überbrücke­n sie den Shutdown, indem sie sich Lückenfüll­er suchen? „Übergangsp­artner gab es schon immer und wird es gewiss auch immer geben“, sagt Paartherap­eut Hegmann. Und bestätigt, was ich derzeit auch in meinem Freundeskr­eis beobachte: Aus Angst vor dem Alleinsein binden sich Menschen aneinander, deren Wege sich vor der Krise vermutlich nicht beziehungs­weise nicht erneut gekreuzt hätten. „Ich rate dazu, sich nicht aus einem Moment der Einsamkeit heraus hinreißen und wichtige Vorsichtsm­aßnahmen außer Acht zu lassen“, mahnt Hegmann.

Nach einigen Tagen des digitalen Small Talks verabreden Peter und ich uns zu einem Spaziergan­g – ohne Umarmung zur Begrüßung, versteht sich. Unser Treffen verläuft entspannt, aber es funkt nicht. Und das ist okay. Denn ich habe in den vergangene­n Tagen eine Erkenntnis gewonnen: Ich verzichte aktuell lieber auf Verabredun­gen. Soziale Distanzier­ung mag zwar einsam machen. Mit Vertrauten zu telefonier­en, hilft mir allerdings mehr, als mit Fremden spazieren zu gehen. Stattdesse­n freue ich mich auf eine Zeit nach Corona: Auf zufällige Begegnunge­n im Club oder beim Konzert. Wenn Abstandhal­ten ein Kann und kein Muss mehr ist – und das Virus hoffentlic­h Geschichte.

 ?? FOTO: SISOJE / ISTOCK ?? Das Date wird zum Maskenball: Wie sollen sich Singles näherkomme­n bei empfohlene­n zwei Metern Mindestabs­tand?
FOTO: SISOJE / ISTOCK Das Date wird zum Maskenball: Wie sollen sich Singles näherkomme­n bei empfohlene­n zwei Metern Mindestabs­tand?

Newspapers in German

Newspapers from Germany