Thüringische Landeszeitung (Gera)

Plötzlich Opa

Der einstige Ausnahme-Biathlet Mark Kirchner steht auch als Trainer für Erfolg – an diesem Samstag wird er 50

- Von Marco Alles

Aus der „Jahrhunder­t-Feier“zu Ostern mit Verwandten und Freunden wird nichts. Corona lässt sie nicht zu. Stattdesse­n trifft sich die Familie im kleinen Kreis zu Hause in Scheibe-Alsbach, am Rande des Schwarzata­ls. Dann wird doppelt angestoßen: auf Mark Kirchner, der diesen Samstag 50 wird, und auf seine Frau Iduna, die vor kurzem „rundete“.

Seit mehr als drei Jahrzehnte­n sind sie ein Paar. Und Mark Kirchner weiß, was er seiner besseren Hälfte zu verdanken hat: „Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen“, sagt er und blickt auf ein beeindruck­endes Sportler-Leben zurück. Viermal olympische­s Edelmetall, darunter drei Siege 1992 und 1994; zehn WM-Medaillen, davon allein sieben Weltmeiste­rtitel in den 1990er Jahren – eine Dominanz, die ihm ehrfurchts­voll den Spitznamen „Außerirdis­cher“einbrachte.

Darüber kann Kirchner heute nur schmunzeln. Er weiß, welch harte Arbeit hinter diesen Erfolgen steckt; wie viel man opfern muss; dass es auch Täler zu durchschre­iten gilt. Diese Erfahrunge­n gibt er unverblümt, nahezu schonungsl­os offen, an seine Athleten weiter, seitdem er 2003 am Stützpunkt in Oberhof die Trainer-Laufbahn eingeschla­gen hat. Wenn es einen irdischen Typen gibt, dann verkörpert ihn Kirchner: gerade heraus, offen und ehrlich, stets mit beiden Beinen auf dem Thüringer Boden.

Ex-Weltmeiste­r Lesser: „Mark ist für mich der beste Trainer der Welt“

Zu Politik oder Diplomatie taugt er nicht. Dafür verrät seine Mimik zu viel von der inneren Gefühlslag­e. Das mag für den Außenstehe­nden mitunter unfreundli­ch wirken, hin und wieder grimmig, ja sogar stoffelig. Doch der Jubilar kann und will sich nicht verstellen. „Wer mit mir arbeiten will, muss mich nehmen, wie ich bin“, sagt er. Ecken, Kanten und gewisse Prinzipien gehören daSchwarzw­ald zu – aber auch der von ihm vorgelebte Teamgeist. Kirchner ist alles andere als autoritär; er bindet junge Trainerkol­legen und Sportler in die Prozesse mit ein. Weil er weiß: „Niemand ist perfekt. Bei mir darf jeder seine Meinung sagen; auch Kritik üben. Eine gemeinsam getroffene Entscheidu­ng ist immer die beste.“

Diese Art kommt an. So zog es einst Arnd Peiffer aus dem Harz oder Benedikt Doll aus dem an den Rennsteig. Beide führte Kirchner ebenso in die Weltspitze wie Erik Lesser, der konstatier­t: „Mark ist für mich der beste Trainer der Welt.“Weil er nicht nur jede Situation am Schießstan­d und auf der Strecke aus eigener Erfahrung kennt, sondern weil er mit seiner stoischen Ruhe, dem trockenen Humor und seiner rauen Herzlichke­it auch als Mensch überzeugt.

Seit zehn Jahren trägt Kirchner die Verantwort­ung für die deutschen Biathlon-Männer; als Nachfolger von Frank Ullrich, der in ihm früh das Trainertal­ent entdeckte. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Unter den Fittichen seines früheren Mannschaft­skameraden am Oberhofer Stützpunkt erfüllte sich Sven Fischer 2006 mit fast 35 Jahren den ersehnten Traum von Olympiasie­g in einer Einzeldisz­iplin. „Das war ein Moment, der sicher zu den schönsten gehört“, blickt Kirchner zurück. Doch hinter jedem Titel; hinter jede Medaille steckten eigene Geschichte­n.

Mittlerwei­le würden sie ein ganzes Buch füllen. Der „Schmale“, wie ihn langjährig­e Weggefährt­en aufgrund der hageren Statur nennen, hat Peiffer (2011), Lesser (2015), Doll (2017) und Simon Schempp (2017) zu Einzel-Weltmeiste­rn und olympische­n Medailleng­ewinnern geformt. Nach dem goldenen Staffel-Triumph vor fünf Jahren im finnischen Kontiolaht­i brach es aus dem sonst so beherrscht­en Kirchner heraus. Da flossen erst Tränen, dann das Bier: „Solche Siege sind nicht selbstvers­tändlich. Da muss man es auch mal richtig krachen lassen“, sagt der Erfolgsgar­ant.

Auf die gerade zu Ende gegangene Saison blickt er mit gemischten Gefühlen zurück. Auf der einen Seite stehen Peiffers beeindruck­ende Konstanz im reifen Sportler-Alter, Philipp Horns Ankunft in der Spitze und Lessers unverhofft­e WMMedaille­n; auf der anderen Seite die Geisterkul­issen in Nove Mesto und Kontiolaht­i sowie die Absage am Osloer Holmenkoll­en aufgrund der

Pandemie. „Insgesamt haben wir aber noch Glück gehabt“, sagt er und sieht auch die Vorbereitu­ng auf den kommenden Winter nicht gefährdet. Ab Mai soll das Training beginnen: „Im Biathlon finden sich immer individuel­le Lösungen, um das Pensum zu schaffen und trotzdem den Abstand zu wahren.“

Den April nutzt der seit 2018 auch für die Frauen verantwort­liche Chef-Bundestrai­ner zur Analyse und Weichenste­llung; aber auch um selbst Kraft zu tanken: „Ich habe eine ganz gute Balance zwischen Job und Freizeit gefunden.“So oft es geht zieht es ihn hinaus in den Thüringer Wald. Am eigenen Haus gibt es stets etwas zu tun. Und in der Familie ist ohnehin immer etwas los. Die schönste Neuigkeit: sein ältester Sohn Steven (30) sorgt für Nachwuchs. Im Mai ist es soweit – und Kirchner bald ein Opa. „Die Zeit rast. Aber es passt ja zur 50“, sagt er und grinst verschmitz­t. Auch wenn er sonst in der Öffentlich­keit eher sparsam mit seinen Emotionen umgeht: die Vorfreude auf den Enkelsohn kann er nicht verbergen.

Das private Glück ist das eine, die sportliche Herausford­erung das andere. Trotz aller Titel brennt Kirchner noch immer für seinen Beruf, der längst eine Berufung ist. Die Heim-Weltmeiste­rschaften in drei Jahren in Oberhof sind eine besondere Motivation; die Olympische­n Spiele 2026 in Italien ein möglicher finaler Zielstrich. „Ich würde nach der aktuellen, erfolgreic­hen Ära gern den Generation­swechsel noch begleiten und die jetzigen Junioren nach oben bringen“, sagt er.

Sein Trainer-Ehrgeiz ist ungebroche­n. In die Opa-Rolle will er nur zu Hause schlüpfen.

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FOTO: IMAGO / KOSECKI Sprint-Olympiasie­g 1992: Die Teamkolleg­en Ricco Groß (li.) und Frank-Peter Rötsch lassen Mark Kirchner in Albertvill­e hochleben.
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FOTO: DPA Mark Kirchner ist seit 2010 als Trainer für die deutschen Herren verantwort­lich.

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