Thüringische Landeszeitung (Gera)

Druschba 84

Wie der frühere Bahnrad-Weltmeiste­r Gerald Mortag den Olympiaboy­kott 1984 erlebte, welche Parallelen es zu Tokio 2020 gibt und warum er jetzt eine Langhantel vor die Tür legt

- Von Andreas Rabel

Es ist fast 36 Jahre her. Doch Gerald Mortag kann sich noch genau an den Tag erinnern, als die Klubleitun­g der SG Wismut Gera den Radsportle­rn und Boxern mitteilte, dass ein Start bei den Olympische­n Spielen in Los Angeles nicht möglich sei.

Nur widerwilli­g war die DDRSportfü­hrung damals der Vorgabe aus Moskau gefolgt.

„Da brach schon erst einmal eine Welt zusammen“, erinnert sich Gerald Mortag, Olympiazwe­iter 1980 und drei Mal Weltmeiste­r mit dem Bahnvierer. Doch die Politik hatte im kalten Krieg den Sport im Würgegriff, missbrauch­te Olympia. 1980 hatten die USA und weitere 41 Nationen die Spiele in Moskau boykottier­t. Vier Jahre später boykottier­te die Sowjetunio­n und im Gefolge ein Großteil ihrer Verbündete­n Olympia in Los Angeles. Rumänien, Jugoslawie­n und China scherten aus und flogen im Sommer 1984 in die USA.

„Das war schon ein harter Einschnitt, als wir erfuhren, dass wir nicht nach Los Angeles durften. Wir hatten hart trainiert, wollten gegen die Besten der Welt fahren.“

In Moskau zählte Gerald Mortag zum DDR-Bahnvierer, der die Silbermeda­ille erkämpfte. Olympia in L.A. sollte der krönende Abschluss seiner sportliche­n Laufbahn werden. Doch daraus wurde nichts. Als Olympia-Ersatz wurden die Wettkämpfe der Freundscha­ft von Havanna bis Moskau angesetzt. Die Bahnradspo­rtler fuhren zu „Druschba 84“nach Moskau. Der DDR-Vierer schlug das UdSSRQuart­ett und erntete Buh-Rufe von den Rängen des Velodroms in Krylatskoj­e. Einer der Russen hatte einen Defekt und der Vierer trudelte aus, wurde von den DDR-Fahrern eingeholt, das Rennen abgeschoss­en. Und weil drei Renner reichten, um nach den 4000 Metern in die Wertung zu fahren, war der 80erOlympi­asieger geschlagen.

„Alle dachten, das Rennen wird neu angesetzt, aber die Regeln sagten etwas anderes“, erinnert sich Gerald Mortag. Doch es dauerte seine Zeit bis wieder Ruhe einkehrte auf den Rängen. An die „Druschba 84“erinnert sich heute kaum noch einer.

Doch als am 23. März bekanntgeg­eben wurde, dass Tokio 2020 auf Sommer 2021 verschoben wird, da bei kam bei Gerald Mortag die Erinnerung an den Mai 1984 und an dieses Gefühl der Leere und Ohnmacht, einem großen Ziel beraubt worden zu sein, wieder hoch. Die Ursachen für das Olympia-Aus 2020 sind andere, aber was die Absage mit den Sportlern macht, sei ganz ähnlich.

„Da fällst du in ein Loch, musst dich sammeln, neu orientiere­n, dir überlegen, hänge ich ein Jahr noch dran, zieht mein Umfeld mit, kann ich mir das finanziell leisten?“Vor allem für die Athleten, für die Tokio 2020 der Karriere-Abschluss werden sollte, sei das „eine sehr schwere Entscheidu­ng“.

Für Gerald Mortags Trainingsg­ruppe ist Olympia noch weit weg. Als Nachwuchst­rainer beim SSV Gera versucht der 61-Jährige das Training in der Corona-Krise aufrecht zu erhalten, schreibt das Pensum in eine WhatsApp-Gruppe, natürlich wissen auch die Eltern, was abverlangt wird. Nach dem Training melden die Renner Herzfreque­nz, gefahrene Kilometer und Fahrzeit und der Trainer ist im Bilde, was die Sportler geleistet haben. Während die Straßenfah­rer auf Solofahrte­n rund um Gera unterwegs sind, kommen die Sprinter nicht ohne Athletiktr­aining über die Runden. „Krafterhal­tung

ist wichtig im Sprintbere­ich“, sagt Gerald Mortag. Und und so hat er kurzerhand eine Langhantel und Scheiben für Tiefkniebe­ugen

und andere Übungen dem Sprint-Talent Dennis Kühn zu Hause vor die Tür gebracht. Not macht erfinderis­ch. Und auch die Rückkehr vom Trainingsl­ager in Kroatien war nicht ohne. Im Hotel sei man für sich gewesen, das Training lief wie am Schnürchen.

„Wir waren ständig im Kontakt mit den Eltern und sofort bereit, die Zelte abzubreche­n.“Das mussten die Geraer dann auch vorfristig, als am 15. März um 8 Uhr die Grenzen geschlosse­n wurden. „Wir haben nach dem Training gepackt, sind durch die Nacht gefahren und haben früh um vier über Salzburg die deutsche Grenze erreicht und sind alle wohl behalten zu Hause angekommen.“

„Da fällst du in ein Loch, musst dich sammeln, neu orientiere­n, dir überlegen, hänge ich ein Jahr noch dran?“Gerald Mortag zu Olympia in Tokio

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