Thüringische Landeszeitung (Gera)
Fantastereien und Wunderländer
Bücher können glücklich machen, sie beflügeln und entführen uns in andere Welten – und das ist in diesen Tagen des Stillstands besonders viel wert. Sechs Vorschläge für Reisen in Gedanken
Ach, was waren das noch für Zeiten, als wir alle reisen durften wann und wohin wir wollten. Als der Himmel schraffiert von Kondensstreifen der Ferienflieger war und die Sitze in der Bahn ausgebucht. Corona hat unsere Welt verändert. Nichts geht mehr mit Reisen, nicht einmal innerhalb Deutschlands. Aber Reisen im Kopf kann niemand verbieten. Also nehmen Sie sich ein Buch, setzen Sie sich im Garten oder auf dem Balkon in die Sonne und lesen Sie. Oder machen Sie es sich mit einem spannenden Buch oder einem schönen Bildband auf der Couch gemütlich. Hier sind ein paar Tipps für Reisen im Kopf.
Reisen in Fantasiewelten
In Fantasiewelten entführt Salman Rushdie die Leser in seinem neuen Roman Quichotte. Auf 460 Seiten entwickelt der in Indien geborene Autor eine Geschichte, in der Reales mit Fiktionalem, Paranoisches mit Zukünftigen verschmilzt. Die Leser fühlen sich wie in einer Geisterbahn, die noch dazu Achterbahn fährt. Die Loopings sind Zeitsprünge. Der Roman ist ein mitreißender Tanz zwischen Sein und Schein, Magie und Realität und gleichzeitig eine scharfsinnige Abrechnung mit der Gegenwart und mit dem „Land der Freien“, den USA: Rassismus, Opioid-Krise, Fake-News, ein Präsident, der Lügen salonfähig macht. Nebenbei bleibt noch Platz für irrwitzige Fantastereien, für Science-Fiction- und Fantasy-Visionen.
Reisen ins Abenteuer
Es ist sicher nicht jedermanns Sache, im Stall zu schlafen und sich zwischen einer stillenden Mutter und einem Badescheffel in Kenia in einem Matatu zu verbiegen. Das gilt auch für das Treffen von Krüppeln im Irak oder das Wohnen bei „Unberührbaren“in Indien. Der Reiseautor Andreas Altmann braucht das, um sich lebendig zu fühlen – und um schreiben zu können. Mit seinen grandiosen Reportagen nimmt er die Leser mit zu seinen Abenteuern, hinein in eine pulsierende, oft schreckliche, aber vor Lebenslust strotzende Welt. In dem Buch „Leben in allen Himmelsrichtungen“sind Altmanns beste Reportagen versammelt. Sie erzählen von pietistischen Dumpfbacken in Louisiana, vom Gott verlassenen Dorf Anamorós in El Salvador, einem „Fliegenschiss
am Ende der Welt“, aber auch von „summenden Füßen“nach Wellness-Tagen in Interlakens Victoria-Jungfrau. Ob Schönheit oder Grauen, Altmann stürzt sich mit allen Sinnen ins Abenteuer. Lesend kann man ihm folgen – und das ganz ohne Risiko.
Andreas Altmann. Leben in allen Himmelsrichtungen, Piper, 376 S., 16 Euro
Reisen in die Natur
„Zu Fuß die Welt zu erfahren und zu erleben, ist etwas Wundervolles“, schreibt die Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner in ihrem Vorwort zu Christian Hlades „Das große Buch vom Wandern“. Und Manuel Andrack, „der deutsche Wandermeister“schwärmt: „Wenn man Hlades Buch liest, hat man das
Gefühl, das Gehen neu zu lernen“. Denn dieses Buch lädt die Leser ein, „Schritt für Schritt mir selbst, anderen Menschen und fremden Kulturen sowie neuen Landschaften zu begegnen“. Damit das auch klappt, gibt Hlade, Gründer des Wanderreiseveranstalters „Weltweitwandern“, seitenweise Tipps und Tricks für erfolgreiche Touren – von der richtigen Ausrüstung bis zum Wanderwetter, vom „gesunden Wandern“bis zu Höhenkrankheit. Er schildert den eigenen Lebensweg, in dem das Unterwegssein „zum Taktgeber meiner Selbstfindung“wurde. Er stellt seine schönsten Wanderreisen-Länder vor und lässt Kollegen „Wanderperlen im Alpenraum“beschreiben. Da bleibt kaum eine Frage rund ums Wandern offen. Schön aufgemacht ist dieser Ratgeber für Wanderer obendrein.
Christian Hlade, Das große Buch vom Wandern, Braumüller, 383 S., 25 Euro
Reisen in Hotels
Schon der samtige Einband mit dem großformatigen Foto verheißt Urlaubsgefühle. Und die 300 folgenden Seiten halten das Versprechen. Es sind wirklich einzigartige Hotels und Retreats, die sich vor allem in großartigen Bildern präsentieren. Die Texte – auf Englisch und Deutsch – sind eher kurz. Die Fotos sprechen für sich. Das Augsburger Hotel Drei Mohren befindet sich in bester Gesellschaft zwischen den eleganten Heidelberg Suites und dem famosen Lanserhof. Die meisten der Hotels stehen in Europa. Aber auch auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien wurden die Tester fündig. Familiäre Boutiquehotels behaupten sich in ihrer Auswahl neben klassischen Grandhotels, Fincas neben Designhäusern, luxuriöse Lodges neben trendigen Stadthotels. Ob Wellness, Wintersport oder Wandern, ob Städtetrip, Safari oder Strandurlaub – dieser ausgesprochen opulente Bildband hat reichlich Inspirationen für Menschen mit entsprechendem Budget. Was fehlt sind die Preise. Aber darüber spricht man wohl nicht.
Best Unique Hotels & Retreats – Eighty Four Rooms, te Neues, 272 S., 60,79 Euro
Reisen in Europa
Zugegeben, echte Geheimtipps sind nicht drin in diesem Bildband, der 120 Ideen für den Kurzurlaub in Europa vorstellt. Jedes Ziel wird auf zwei Seiten präsentiert, wobei die Texte eher kurz ausfallen. Aber es geht ja auch um Kurzurlaube. Damit
die sinnvoll genutzt werden, gibt’s nicht nur Highlights, sondern auch besondere
Tipps. Und weil Europa im Mittelpunkt steht, muss auch Brüssel dabei sein, Sitz des Europäischen Parlaments. Dafür fehlen Luxemburg und Straßburg, die ebenso Anspruch auf europäische Ehren erheben können. In Deutschland geht’s vor allem in den Norden und nach Bayern. Auch die Ziele in Italien sind nicht gerade unbekannt, und im Osten fehlen die Trendziele wie Albanien und Rumänien. Aber genug gemeckert. Wer sucht, der findet einladende Bilder und nette Tipps für einen ausgefüllten Kurzurlaub, den man im Kopf schon mal planen kann.
Schnell mal weg! Die besten Ideen für den Kurzurlaub in Europa, Bruckmann, 287 S., 29,99 Euro
Reisen in den Schnee
Vom Verspurten ins Unverspurte wechseln, dazu will Stefan Herbkes Buch „Traumtouren“ermutigen. Der bayerische Skifreak präsentiert 25 außergewöhnliche Skidurchquerungen in den Alpen. Allein schon die Fotos machen Lust auf Schnee, den wir in diesen Zeiten ja nicht bis zur Neige auskosten konnten. Wichtig ist dem Autor die Erfahrung der Einsamkeit in einer Natur, wo die Zivilisation kaum Spuren hinterlassen hat. Wer da auf Handyempfang setzt, hat meist Pech. Herbke kann zu jeder einzelnen Tour eigene Erlebnisse schildern, das macht seine Tipps glaubwürdig. Wenn er großartige Aussichten lobt oder vor steilen Anstiegen warnt, von Abfahrtsgenuss schreibt oder von Kasknödeln schwärmt, wissen die Leser, woran sie sind – und können sich in ein weißes Wunderland träumen.