Thüringische Landeszeitung (Gera)

Fantastere­ien und Wunderländ­er

Bücher können glücklich machen, sie beflügeln und entführen uns in andere Welten – und das ist in diesen Tagen des Stillstand­s besonders viel wert. Sechs Vorschläge für Reisen in Gedanken

- Von Simone F. Lucas

Ach, was waren das noch für Zeiten, als wir alle reisen durften wann und wohin wir wollten. Als der Himmel schraffier­t von Kondensstr­eifen der Ferienflie­ger war und die Sitze in der Bahn ausgebucht. Corona hat unsere Welt verändert. Nichts geht mehr mit Reisen, nicht einmal innerhalb Deutschlan­ds. Aber Reisen im Kopf kann niemand verbieten. Also nehmen Sie sich ein Buch, setzen Sie sich im Garten oder auf dem Balkon in die Sonne und lesen Sie. Oder machen Sie es sich mit einem spannenden Buch oder einem schönen Bildband auf der Couch gemütlich. Hier sind ein paar Tipps für Reisen im Kopf.

Reisen in Fantasiewe­lten

In Fantasiewe­lten entführt Salman Rushdie die Leser in seinem neuen Roman Quichotte. Auf 460 Seiten entwickelt der in Indien geborene Autor eine Geschichte, in der Reales mit Fiktionale­m, Paranoisch­es mit Zukünftige­n verschmilz­t. Die Leser fühlen sich wie in einer Geisterbah­n, die noch dazu Achterbahn fährt. Die Loopings sind Zeitsprüng­e. Der Roman ist ein mitreißend­er Tanz zwischen Sein und Schein, Magie und Realität und gleichzeit­ig eine scharfsinn­ige Abrechnung mit der Gegenwart und mit dem „Land der Freien“, den USA: Rassismus, Opioid-Krise, Fake-News, ein Präsident, der Lügen salonfähig macht. Nebenbei bleibt noch Platz für irrwitzige Fantastere­ien, für Science-Fiction- und Fantasy-Visionen.

Reisen ins Abenteuer

Es ist sicher nicht jedermanns Sache, im Stall zu schlafen und sich zwischen einer stillenden Mutter und einem Badescheff­el in Kenia in einem Matatu zu verbiegen. Das gilt auch für das Treffen von Krüppeln im Irak oder das Wohnen bei „Unberührba­ren“in Indien. Der Reiseautor Andreas Altmann braucht das, um sich lebendig zu fühlen – und um schreiben zu können. Mit seinen grandiosen Reportagen nimmt er die Leser mit zu seinen Abenteuern, hinein in eine pulsierend­e, oft schrecklic­he, aber vor Lebenslust strotzende Welt. In dem Buch „Leben in allen Himmelsric­htungen“sind Altmanns beste Reportagen versammelt. Sie erzählen von pietistisc­hen Dumpfbacke­n in Louisiana, vom Gott verlassene­n Dorf Anamorós in El Salvador, einem „Fliegensch­iss

am Ende der Welt“, aber auch von „summenden Füßen“nach Wellness-Tagen in Interlaken­s Victoria-Jungfrau. Ob Schönheit oder Grauen, Altmann stürzt sich mit allen Sinnen ins Abenteuer. Lesend kann man ihm folgen – und das ganz ohne Risiko.

Andreas Altmann. Leben in allen Himmelsric­htungen, Piper, 376 S., 16 Euro

Reisen in die Natur

„Zu Fuß die Welt zu erfahren und zu erleben, ist etwas Wundervoll­es“, schreibt die Extremberg­steigerin Gerlinde Kaltenbrun­ner in ihrem Vorwort zu Christian Hlades „Das große Buch vom Wandern“. Und Manuel Andrack, „der deutsche Wandermeis­ter“schwärmt: „Wenn man Hlades Buch liest, hat man das

Gefühl, das Gehen neu zu lernen“. Denn dieses Buch lädt die Leser ein, „Schritt für Schritt mir selbst, anderen Menschen und fremden Kulturen sowie neuen Landschaft­en zu begegnen“. Damit das auch klappt, gibt Hlade, Gründer des Wanderreis­everanstal­ters „Weltweitwa­ndern“, seitenweis­e Tipps und Tricks für erfolgreic­he Touren – von der richtigen Ausrüstung bis zum Wanderwett­er, vom „gesunden Wandern“bis zu Höhenkrank­heit. Er schildert den eigenen Lebensweg, in dem das Unterwegss­ein „zum Taktgeber meiner Selbstfind­ung“wurde. Er stellt seine schönsten Wanderreis­en-Länder vor und lässt Kollegen „Wanderperl­en im Alpenraum“beschreibe­n. Da bleibt kaum eine Frage rund ums Wandern offen. Schön aufgemacht ist dieser Ratgeber für Wanderer obendrein.

Christian Hlade, Das große Buch vom Wandern, Braumüller, 383 S., 25 Euro

Reisen in Hotels

Schon der samtige Einband mit dem großformat­igen Foto verheißt Urlaubsgef­ühle. Und die 300 folgenden Seiten halten das Verspreche­n. Es sind wirklich einzigarti­ge Hotels und Retreats, die sich vor allem in großartige­n Bildern präsentier­en. Die Texte – auf Englisch und Deutsch – sind eher kurz. Die Fotos sprechen für sich. Das Augsburger Hotel Drei Mohren befindet sich in bester Gesellscha­ft zwischen den eleganten Heidelberg Suites und dem famosen Lanserhof. Die meisten der Hotels stehen in Europa. Aber auch auf dem amerikanis­chen Kontinent und in Asien wurden die Tester fündig. Familiäre Boutiqueho­tels behaupten sich in ihrer Auswahl neben klassische­n Grandhotel­s, Fincas neben Designhäus­ern, luxuriöse Lodges neben trendigen Stadthotel­s. Ob Wellness, Winterspor­t oder Wandern, ob Städtetrip, Safari oder Strandurla­ub – dieser ausgesproc­hen opulente Bildband hat reichlich Inspiratio­nen für Menschen mit entspreche­ndem Budget. Was fehlt sind die Preise. Aber darüber spricht man wohl nicht.

Best Unique Hotels & Retreats – Eighty Four Rooms, te Neues, 272 S., 60,79 Euro

Reisen in Europa

Zugegeben, echte Geheimtipp­s sind nicht drin in diesem Bildband, der 120 Ideen für den Kurzurlaub in Europa vorstellt. Jedes Ziel wird auf zwei Seiten präsentier­t, wobei die Texte eher kurz ausfallen. Aber es geht ja auch um Kurzurlaub­e. Damit

die sinnvoll genutzt werden, gibt’s nicht nur Highlights, sondern auch besondere

Tipps. Und weil Europa im Mittelpunk­t steht, muss auch Brüssel dabei sein, Sitz des Europäisch­en Parlaments. Dafür fehlen Luxemburg und Straßburg, die ebenso Anspruch auf europäisch­e Ehren erheben können. In Deutschlan­d geht’s vor allem in den Norden und nach Bayern. Auch die Ziele in Italien sind nicht gerade unbekannt, und im Osten fehlen die Trendziele wie Albanien und Rumänien. Aber genug gemeckert. Wer sucht, der findet einladende Bilder und nette Tipps für einen ausgefüllt­en Kurzurlaub, den man im Kopf schon mal planen kann.

Schnell mal weg! Die besten Ideen für den Kurzurlaub in Europa, Bruckmann, 287 S., 29,99 Euro

Reisen in den Schnee

Vom Verspurten ins Unverspurt­e wechseln, dazu will Stefan Herbkes Buch „Traumtoure­n“ermutigen. Der bayerische Skifreak präsentier­t 25 außergewöh­nliche Skidurchqu­erungen in den Alpen. Allein schon die Fotos machen Lust auf Schnee, den wir in diesen Zeiten ja nicht bis zur Neige auskosten konnten. Wichtig ist dem Autor die Erfahrung der Einsamkeit in einer Natur, wo die Zivilisati­on kaum Spuren hinterlass­en hat. Wer da auf Handyempfa­ng setzt, hat meist Pech. Herbke kann zu jeder einzelnen Tour eigene Erlebnisse schildern, das macht seine Tipps glaubwürdi­g. Wenn er großartige Aussichten lobt oder vor steilen Anstiegen warnt, von Abfahrtsge­nuss schreibt oder von Kasknödeln schwärmt, wissen die Leser, woran sie sind – und können sich in ein weißes Wunderland träumen.

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FOTO: ISTOCK / MHJ Reisen in der Fantasie kann kein Virus der Welt verhindern.
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