Thüringische Landeszeitung (Gera)
Scheitert Europa in der Corona-Krise?
Nicht nur Italien klagt über mangelnde Solidarität. 500 Milliarden Euro schweres Paket soll den Bruch abwenden
Die Corona-Krise wird zum großen Stresstest für das vereinte Europa. Vor einem weiteren Krisengipfel der EU-Regierungschefs voraussichtlich am Donnerstag machen ungewöhnlich heftige Warnungen vor einem Scheitern der Europäischen Union die Runde.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärt schon düster, die EU werde die Krise nur mit starker, auch finanzieller Solidarität überstehen oder gar nicht. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors sagt, die Krise könne die Union zerstören: Die fehlende Solidarität sei eine „tödliche Gefahr“. Die drei EU-Kommissare für Wirtschaft, Industrie und Außenbeziehungen schlossen sich den Warnungen am Wochenende an – mit Blick auch auf die Stimmung etwa in Italien. Dort ist die Enttäuschung über Europa groß.
Italienische Bürgermeister holten in den vergangenen Tagen demonstrativ die blaue EU-Flagge ein, die Zeitung „La Repubblica“erschien mit der Schlagzeile „Hässliches Europa“. Der Frust begann, als erste Bitten aus Rom um Hilfeleistungen mit medizinischen Geräten und Personal Anfang März von allen anderen EU-Staaten einfach ignoriert wurden; Deutschland verhängte zeitweise sogar ein komplettes Exportverbot für Schutzausrüstung.
„In der großen Krise liegt auch die Chance, dass sich Europa noch einmal neu erfindet.“Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin
Ausgerechnet China, dann auch Russland halfen Italien mit Hilfslieferungen aus der Klemme; in dem ohnehin europaskeptischen Land sitzt der Ärger nun tief. Aber auch in Frankreich macht sich Enttäuschung breit über mangelnde Kooperation und Solidarität in der EU während der Krise.
Nun hat sich die Debatte auf die finanzielle Solidarität verlagert, schnell ist ein erhitzter Grundsatzstreit daraus geworden, der Europa zu spalten droht. Italien, Spanien, Frankreich und sechs weitere EUStaaten verlangen vehement die Einführung einer gemeinschaftlichen Schuldenaufnahme zur Bekämpfung
der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen.
Die diskutierten Corona-Bonds würden auch hoch verschuldeten Staaten wie Italien günstige Zinsen für neue Kredite an den Finanzmärkten sichern – dafür müssten die EU-Staaten erstmals für die Schulden anderer Länder haften. Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich lehnen diesen Tabubruch wie schon in der Euro-Krise ab. Ein Videogipfel der Regierungschefs endete vor zehn Tagen ohne Ergebnis.
Die Südländer sind empört über die „geizigen Vier“. Es sah so aus, als würde es nun kurz vor Ostern zum ganz großen Knall kommen. Möglich ist das immer noch. Doch wenn an diesem Dienstag zunächst die EU-Finanzminister einen Ausweg für die zwei Tage später tagenden Regierungschefs sondieren, könnte ein Kompromisspaket den Streit vorerst befrieden. Geplant ist ein
500 Milliarden Euro schweres Programm, das Staaten wie Italien oder Spanien in der Pandemie schnell helfen soll – viel schneller, als es gemeinsame Anleihen könnten. Das Paket hat drei Elemente:
Der Euro-Rettungsfonds ESM soll eine Kreditlinie für besonders schwer betroffene Euro-Staaten einrichten, insgesamt bis zu 200 Milliarden Euro sind im Gespräch. Jedes Land könnte so Kredite über maximal zwei Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung erhalten, ohne die sonst beim Rettungsschirm üblichen strengen Auflagen, heißt es in dem Entwurf für das Hilfsprogramm, der unserer Redaktion vorliegt.
Die Europäische Investitionsbank soll durch Bürgschaften bis zu
200 Milliarden Euro an Extrakrediten vor allem für Mittelständler ermöglichen.
Und auf Vorschlag der EU-Kommission soll die Union Staaten bei der Zahlung von Kurzarbeitergeld unterstützen. Von der Kommission aufgenommene Darlehen über insgesamt 100 Milliarden Euro sind geplant, mit denen die Regierungen einen drastischen Anstieg der Ausgaben für Kurzarbeit abfedern könnten. „Das ist gelebte europäische Solidarität“, sagt von der Leyen. Möglicherweise wird es auf niederländischen Vorschlag auch noch einen speziellen Corona-Gesundheitsfonds über 10 bis 20 Milliarden Euro geben.
Frankreichs Finanzminister: „Ganz Europa zählt auf Deutschland“
Doch ob der große Krach damit abgewendet ist, bleibt unklar. Italiens Präsident Giuseppe Conte beharrt weiter auf gemeinsamen europäischen Anleihen, auch wenn er nun den Begriff Corona-Bonds vermeidet. Sollte Conte einlenken, wäre der Streit ohnehin nur vertagt: Frankreich und Italien würden, so