Thüringische Landeszeitung (Gera)

Scheitert Europa in der Corona-Krise?

Nicht nur Italien klagt über mangelnde Solidaritä­t. 500 Milliarden Euro schweres Paket soll den Bruch abwenden

- Von Christian Kerl

Die Corona-Krise wird zum großen Stresstest für das vereinte Europa. Vor einem weiteren Krisengipf­el der EU-Regierungs­chefs voraussich­tlich am Donnerstag machen ungewöhnli­ch heftige Warnungen vor einem Scheitern der Europäisch­en Union die Runde.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron erklärt schon düster, die EU werde die Krise nur mit starker, auch finanziell­er Solidaritä­t überstehen oder gar nicht. Der frühere EU-Kommission­spräsident Jacques Delors sagt, die Krise könne die Union zerstören: Die fehlende Solidaritä­t sei eine „tödliche Gefahr“. Die drei EU-Kommissare für Wirtschaft, Industrie und Außenbezie­hungen schlossen sich den Warnungen am Wochenende an – mit Blick auch auf die Stimmung etwa in Italien. Dort ist die Enttäuschu­ng über Europa groß.

Italienisc­he Bürgermeis­ter holten in den vergangene­n Tagen demonstrat­iv die blaue EU-Flagge ein, die Zeitung „La Repubblica“erschien mit der Schlagzeil­e „Hässliches Europa“. Der Frust begann, als erste Bitten aus Rom um Hilfeleist­ungen mit medizinisc­hen Geräten und Personal Anfang März von allen anderen EU-Staaten einfach ignoriert wurden; Deutschlan­d verhängte zeitweise sogar ein komplettes Exportverb­ot für Schutzausr­üstung.

„In der großen Krise liegt auch die Chance, dass sich Europa noch einmal neu erfindet.“Ursula von der Leyen, EU-Kommission­spräsident­in

Ausgerechn­et China, dann auch Russland halfen Italien mit Hilfsliefe­rungen aus der Klemme; in dem ohnehin europaskep­tischen Land sitzt der Ärger nun tief. Aber auch in Frankreich macht sich Enttäuschu­ng breit über mangelnde Kooperatio­n und Solidaritä­t in der EU während der Krise.

Nun hat sich die Debatte auf die finanziell­e Solidaritä­t verlagert, schnell ist ein erhitzter Grundsatzs­treit daraus geworden, der Europa zu spalten droht. Italien, Spanien, Frankreich und sechs weitere EUStaaten verlangen vehement die Einführung einer gemeinscha­ftlichen Schuldenau­fnahme zur Bekämpfung

der Pandemie und ihrer wirtschaft­lichen Folgen.

Die diskutiert­en Corona-Bonds würden auch hoch verschulde­ten Staaten wie Italien günstige Zinsen für neue Kredite an den Finanzmärk­ten sichern – dafür müssten die EU-Staaten erstmals für die Schulden anderer Länder haften. Deutschlan­d, die Niederland­e, Finnland und Österreich lehnen diesen Tabubruch wie schon in der Euro-Krise ab. Ein Videogipfe­l der Regierungs­chefs endete vor zehn Tagen ohne Ergebnis.

Die Südländer sind empört über die „geizigen Vier“. Es sah so aus, als würde es nun kurz vor Ostern zum ganz großen Knall kommen. Möglich ist das immer noch. Doch wenn an diesem Dienstag zunächst die EU-Finanzmini­ster einen Ausweg für die zwei Tage später tagenden Regierungs­chefs sondieren, könnte ein Kompromiss­paket den Streit vorerst befrieden. Geplant ist ein

500 Milliarden Euro schweres Programm, das Staaten wie Italien oder Spanien in der Pandemie schnell helfen soll – viel schneller, als es gemeinsame Anleihen könnten. Das Paket hat drei Elemente:

Der Euro-Rettungsfo­nds ESM soll eine Kreditlini­e für besonders schwer betroffene Euro-Staaten einrichten, insgesamt bis zu 200 Milliarden Euro sind im Gespräch. Jedes Land könnte so Kredite über maximal zwei Prozent seiner jährlichen Wirtschaft­sleistung erhalten, ohne die sonst beim Rettungssc­hirm üblichen strengen Auflagen, heißt es in dem Entwurf für das Hilfsprogr­amm, der unserer Redaktion vorliegt.

Die Europäisch­e Investitio­nsbank soll durch Bürgschaft­en bis zu

200 Milliarden Euro an Extrakredi­ten vor allem für Mittelstän­dler ermögliche­n.

Und auf Vorschlag der EU-Kommission soll die Union Staaten bei der Zahlung von Kurzarbeit­ergeld unterstütz­en. Von der Kommission aufgenomme­ne Darlehen über insgesamt 100 Milliarden Euro sind geplant, mit denen die Regierunge­n einen drastische­n Anstieg der Ausgaben für Kurzarbeit abfedern könnten. „Das ist gelebte europäisch­e Solidaritä­t“, sagt von der Leyen. Möglicherw­eise wird es auf niederländ­ischen Vorschlag auch noch einen speziellen Corona-Gesundheit­sfonds über 10 bis 20 Milliarden Euro geben.

Frankreich­s Finanzmini­ster: „Ganz Europa zählt auf Deutschlan­d“

Doch ob der große Krach damit abgewendet ist, bleibt unklar. Italiens Präsident Giuseppe Conte beharrt weiter auf gemeinsame­n europäisch­en Anleihen, auch wenn er nun den Begriff Corona-Bonds vermeidet. Sollte Conte einlenken, wäre der Streit ohnehin nur vertagt: Frankreich und Italien würden, so

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FOTO: NICOLAS LANDEMARD / IMAGO EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen muss den Staatenbun­d in der Corona-Krise zusammenha­lten.

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