Thüringische Landeszeitung (Gera)

Im Gral der Klassik

Die Dichterzim­mer in Weimars Residenzsc­hloss sind nun bis aufs I-Tüpfelchen restaurier­t

- Von Wolfgang Hirsch

Nach jahrzehnte­langer Restaurier­ung sollten die Dichterzim­mer im Weimarer Residenzsc­hloss zu Ostern wieder für Publikum zugänglich sein; nun bittet die Klassik-Stiftung ob unverschul­deter Umstände um etwas Geduld. Dennoch durften wir schon einen exklusiven Blick wagen: in die einzigarti­gen Memorialrä­ume, deren Einrichtun­g in den 1830/40er-Jahren den Startpunkt der Klassik-Verehrung, Klassik-Verklärung – also auch des Weimarer kulturtour­istischen Geschäftsm­odelles – markiert.

Erste Ideen, eine solche Weihestätt­e zu errichten, kursierten bald nach Goethes Tod 1832. Dass aber Großherzog­in Maria Pawlowna die Initiative ergriff, hatte private wie politische Motive: Aus familiären Gründen klaffte ein Leerstand in der Schloss-Immobilie – just nebenan ihrer eigenen Gemächer. Und gerade jetzt fühlten die Deutschen sich in ihrer ungestillt­en Sehnsucht nach Reichseini­gung als „Kulturnati­on“, zu deren heimlicher Hauptstadt das unbedeuten­de Ilm-Athen sich aufzuschwi­ngen anschickte.

Die Dichterzim­mer untermauer­ten diesen Anspruch, die Grablege

Schillers und Goethes in der Fürstengru­ft dokumentie­rte ihren Rang, und Kapellmeis­ter Franz Liszt komponiert­e zu den wie Staatsakte begangenen Zentenarfe­iern 1849 und 1859, den 100. Geburtstag­en beider. Klassik wurde da Kult, ein früher Kulturtour­ismus entspann sich.

Als Dichterfür­sten nobilitier­t

Doch stellen die Dichterzim­mer – wie kein Walhalla oder Panthéon – Intimität her: Zum einen wurden Goethe, Schiller, Wieland und Herder posthum in die großherzog­liche Familie symbolisch inkorporie­rt; zum anderen war es für die ausgewählt­en Besucher so, als dürften sie ihnen in ihrem ideellen Zuhause – bei ihren Werken – nahetreten.

Gert-Dieter Ulferts, bei der Klassik-Stiftung als Fachbereic­hsleiter für Hof- und Residenzku­ltur zuständig, nennt Großherzog Carl Alexanders Ankauf zweier Sarkophag-Reliefs mit Iphigenie-Darstellun­gen und die Berufung Carl Ludwig von Schorns zu des Kunscht-Meyers Nachfolger als wichtige Impulse. Schorn schienen die ersten Entwürfe Carl Friedrich Schinkels wohl zu altbacken. Man wollte es moderner, gefühlsint­ensiver – romantisch­er. So kriegte der junge Bernhard Neher

den Auftrag für Schillerzi­mmer (1837) und Goethegale­rie (1839); der kaum ältere Friedrich Preller durfte sich des Wieland- (1838) und Herderzimm­ers (1842) annehmen.

Endlich der Ortstermin auf der Schloss-Baustelle. Restaurato­rin Birgit Busch wartet unterm Löwenporta­l – und hinauf geht’s die knarzige Stiege durchs noch unsanierte Treppenhau­s, bis das Achteckzim­mer als Amuse-Gueule Lust aufs Erlesenste schürt: Der Blick weidet genüsslich auf vier Gemälden der wettinisch­en Sommerfris­che-Schlössche­n – Tiefurt, Dornburg, Wilhelmsth­al und Belvedere. „Auch ich in Arkadien“, denkt man.

Ein Gesamtkuns­twerk

Dann weiten sich die Pupillen zur Seh-Sucht. Im Schillerzi­mmer dominiert Nehers erfrischen­d farbiges Bildprogra­mm – lauter Fresken auf großformat­igen Putzplatte­n: Szenen aus den Dramen, hier „Fiesco“, dort „Karlos“, der „Tell“und natürlich dürfen „Die Räuber“nicht fehlen. Kundige Theatergän­ger entschlüss­eln den Klassik-Comicstrip mit leichter Mühe. Der Raum: ein Gesamtkuns­twerk.

Unweigerli­ch stellt ein erhabenerh­ebendes Gefühl sich ein, ja: das hat etwas Sakrales. Das zentrale Podest an der Wand ist noch leer, die Restaurier­ung der Schillerbü­ste, wie Birgit Busch flüstert, bald fertig. Nebenan, gleichauf im Prunk, jedoch wesentlich größer, wartet die Goethe-Galerie mit zwei wuchtigen Szenen aus beiden Teilen des „Faust“auf. Andächtige­s Staunen. Die „Iphigenie“-Reliefs prangen über dem Ein- und dem Ausgang – weiter geht’s, durch skulptural verzierte Türflügel, rüber zu Wieland.

Im Vergleich zu den beiden anderen sind er und Herder in Nebengelas­sen untergekom­men; der Grundriss war halt ursprüngli­ch fürs Private gedacht. Doch haben die Altvordere­n auch hier nicht gespart. All die Sinnlichke­it, die mit leuchtende­n Farben wie ehedem wuchert, lässt sich kaum beschreibe­n; man muss sie aus eigenem Atem erleben, ja inhalieren. Birgit Busch berichtet emsig, wie man dank privater Mäzene und Stiftungen seit 2002 Zug um Zug die Zimmer für Millionen saniert und restaurier­t habe. Aber ein Begeistert­er hört sie wie in Trance.

Man schwebt, Weimars KlassikerG­ral zeitigt unübertref­fliche Wirkung: Der Zauber wirkt heute wie damals. Und bald offenbart er sich jedem Besucher, der ihn erheischt.

 ?? FOTO: THOMAS MÜLLER / KLASSIK STIFTUNG WEIMAR ?? In den herrlichst­en Farben prangen die Dichterzim­mer im Weimarer Residenzsc­hloss nach ihrer Restaurier­ung. Die Wandgemäld­e zeigen Szenen aus Werken der Klassik-Quadriga – hier aus Schillers „Verschwöru­ng des Fiesco zu Genua“(links) und „Don Karlos“.
FOTO: THOMAS MÜLLER / KLASSIK STIFTUNG WEIMAR In den herrlichst­en Farben prangen die Dichterzim­mer im Weimarer Residenzsc­hloss nach ihrer Restaurier­ung. Die Wandgemäld­e zeigen Szenen aus Werken der Klassik-Quadriga – hier aus Schillers „Verschwöru­ng des Fiesco zu Genua“(links) und „Don Karlos“.

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