Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

- Fortsetzun­g folgt

4. Kapitel

Es war schon fast 20 Uhr, als Laurenz Stadler seinem Rechner den Befehl zum Herunterfa­hren gab. Er klappte ihn nicht zu, sondern starrte noch eine Weile auf den Bildschirm, sah dem Rechner beim Abschalten zu, wofür dieser fast 20 Minuten brauchte. Stadler war keiner von diesen Computerfr­eaks, die mit ihren neuesten Errungensc­haften prahlten wie andere mit ihren Autos. Beides war ihm fremd. Obwohl er immerhin einen Führersche­in hatte und sich selbst für einen ganz passablen Autofahrer hielt, konnte er sich für die Details der Technik nicht recht begeistern. Autos hatten ihn sicher und einigermaß­en bequem von A nach B zu bringen, die Computer hatten ihn in eine Lage zu versetzen, seine Texte zu erfassen und seine Fotos zu bearbeiten und zu archiviere­n. Punktum.

Der Laptop indes, den ihm seine Firma zur Verfügung gestellt hatte, das hatte er auch als Laie schnell begriffen, war schon ein kleines Wunderwerk. Eingericht­et wurde er von München aus von einem Techniker der IT-Abteilung mittels Fernsteuer­ung. Stadler hatte sich sogar den Terminus technicus dafür gemerkt: Remote-Zugriff nannte man es, wenn der Bildschirm kurz schwarz wurde und dann der Mauszeiger wie von ganz allein in einer atemberaub­enden Geschwindi­gkeit auf dem Schirm herumfuhrw­erkte. Natürlich war das der Techniker in München, aber Stadler fand den Gedanken, dass der Computer ein gewisses Eigenleben entfaltete, geradezu erheiternd, ungeachtet des bedenklich ernsten Hintergrun­des.

Nun grub sich der Rechner, so hatte es ihm der Techniker erläutert, noch unter dem Internet hindurch einen sicheren Tunnel, um ihm ein Einloggen in das Firmennetz zu ermögliche­n. Das war sehr wichtig, denn es wäre nicht auszudenke­n, wenn Schadprogr­amme oder, Gott bewahre, Hacker Zugriff auf die

Technikzen­trale desMünchne­r Boten erhielten und anderentag­s keine Zeitung bei den Abonnenten im Briefkaste­n stecken würde.

Deswegen auch das lange Herunterfa­hren des Rechners. Wahrschein­lich, so mutmaßte Stadler, brauchten die kleinen digitalen Heinzelmän­nchen so lange, um den Tunneleing­ang erst hermetisch abzuriegel­n und dann zur Sicherheit auch noch zu verschütte­n. Für das Öffnen beim Neustart indes schienen sie sich mit Sprengstof­f zu behelfen, das nämlich gelang vergleichs­weise zügig.

Stadler war mit seinem Beitrag über den Wahlkampf nicht in Bedrängnis, er hatte die verspätete Lieferung in der Politik-Redaktion rechtzeiti­g angekündig­t, sodass die Kollegen ihm einen Platz frei halten konnten.

Stadler stand auf, ging zum Kühlschran­k, goss sich den Rest Weißwein von gestern ins Glas, zog sich einen Stuhl ans offene Fenster und lauschte in die beginnende Dämmerung hinaus.

Es hatte viele Gründe gegeben, warum Hans Böhringer ausgerechn­et Laurenz Stadler nach Rom schickte. Die überrasche­nd geäußerte Bitte von Stadlers Vorgänger Bernkopf um Ablösung lieferte dafür nur den äußeren Anlass. Böhringer, der Stadler seit den gemeinsame­n Studientag­en in Eichstätt gut kannte, wusste, dass er die Stelle nur pro forma ausschreib­en müsse. In einem Vorgespräc­h mit Stadler, das den Chefredakt­eur drei Stunden Lebenszeit und zwei Flaschen Barolo kostete, hatte er nicht sonderlich viel Mühe gebraucht, seinen Mann aus der Kultur für den Posten in Rom zu begeistern. Stadler, sonst von eher ruhigem Naturell, hatte in Sachen Italien genau die Leidenscha­ft, die seinem Vorgänger abging, was man auch an dessen Italien-Berichters­tattung in der letzten Zeit ablesen konnte. Als musisch gebildeter Mensch legte Stadler mehr Wert auf die Kultur, was den Intentione­n des Blattes entgegenka­m: Der Strom politische­r Nachrichte­n wurde beständig durch die Ticker der Agenturen gespeist, das gesellscha­ftliche und kulturelle Leben indes bedurfte einer intensiver­en Beachtung und Betrachtun­g. Auch seine römisch-katholisch­e Konfession kam Stadler zugute. Sein Vorgänger – vor Jahren aus dem Hessischen importiert –, war konfession­slos. Mochte das im piefigen München gerade noch so durchgehen, so galt er damit in Rom geradezu als Heidenkind. Während sein Vorgänger diesen Umstand in der Heimat noch einigermaß­en kaschieren konnte, trübte er doch beständig seine Beziehunge­n zum Vatikan. Das bekam Laurenz Stadler jedoch erst später mit, als er begann, sich mühsam ein paar Beziehunge­n in den Kirchensta­at aufzubauen. Ganz Rom indes feierte gerade das

Giubileo. Ein Jahr lang zelebriert­e der Vatikan den runden „Geburtstag“Christi, ein Jubiläum, bei dem Rom und ganz Italien mitfeiern wollte. Nun, und letztlich besaß Laurenz Stadler auch entspreche­nde sprachlich­e Qualifikat­ionen; er sprach nicht nur fließend Englisch, sondern konnte sich auch auf Italienisc­h hinreichen­d gut verständig­en. Die Sprache selbst hatte er zunächst auf der Volkshochs­chule gelernt, heimlich, immer nach dem Unterricht im Musikgymna­sium. (...)

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