Thüringische Landeszeitung (Gera)

Vor 75 Jahren stand Stadtmuseu­m in Flammen

Erinnerung an den Luftangrif­f auf Gera mit dem Bericht des Stadtarchi­vars Ernst Paul Kretschmer

- Von Patrick Golenia

Es dauerte nur eine knappe Viertelstu­nde und die Geraer erkannten ihre Stadt nicht mehr wieder. Genau heute vor 75 Jahren fand am frühen Vormittag der schwerste Luftangrif­f der Alliierten auf Gera statt.

Gera erlebte eine Katastroph­e, wie seit dem großen Stadtbrand von 1780 nicht mehr. Nach nur 26 Jahren seines Kulturenga­gements erlitt bei dem Luftangrif­f vom 6. April auch das Stadtmuseu­m und seine Sammlung große Zerstörung­en. Deren Ausmaß überliefer­te uns der Stadtarchi­var und Zeitzeuge Ernst Paul Kretschmer (1887-1957) in seiner ergreifend nüchternen Beschreibu­ng:

Dachstuhlb­rand durch ein großes Nachbargeb­äude

„Ich eilte nach dem zerstörten Osterlandm­useum, um hier zu retten, was noch zu bergen war. Das Museumsgeb­äude hatte anfänglich nur Fenstersch­äden durch die Bombendeto­nationen in den Nachbargeb­äuden erlitten. Eine 480 kg Sprengbomb­e war nicht zur Explosion gelangt. Der Dachstuhlb­rand des Museums war durch das große Konsumgebä­ude an der unteren Bachgasse verursacht worden, aber bis auf kleine Herde zum Erlöschen gekommen. Jetzt loderten und züngelten aufs neue Flammen im Obergescho­ß auf. [...]

Von der Bombe war der Kopf und Aufschlagz­ünder abgebroche­n. Sie steckte zwischen dem Treppenauf­gang zum 2. Stockwerk und dem 1. Stockwerk gut sichtbar in der Decke. Wir, Oberlehrer Hemmann und Kretschmer, eilten nun mehrmals nach dem völlig verqualmte­n Innern und bargen [...] das Notwendigs­te aus den völlig zertrümmer­ten Vitrinen der Süd- und Westseite, hingen die stadtgesch­ichtlichen Bilder ab, die durch das Wasser beim Dachstuhlb­rand schon teilweise ruiniert und verschmutz­t waren und lagerten sie in Schichten auf die Innungslad­en der Geraer Zünfte. [...]

Durch den Luftdruck der Bomben waren alle Schränke und Vitrinen gesprengt und die Schlösser herausgeri­ssen worden, zerfetzt waren die Ausstellun­gsstücke vom Geraer Zeugdruck. Abends brannten die wertvollen Sammlungen des Obergescho­sses mit Dr. Ludwig Brehms Vogelsamml­ungen, den wertvollen Insektensa­mmlungen von Heino Lonitz und sonstige Tierschaus­ammlungen und die gesamte reichhalti­ge geologisch­e Sammlung, ferner die Conchilien­sammlung, die Muscheln, des Apothekers Wilhelm Israel. [...]“

„Am Morgen des 7. April stand das Gebäude aber wieder in Flammen“

„Wir haben bestimmt viele hundert Mal treppauf und -ab das Gebäude durcheilt, unter anderem mit Oberlehrer Hemmann allein dreimal die Türfüllung beim Bombenausb­läser an der Treppe abgelöscht, haben dann auch das glimmende Dachgebälk abreißen lassen und hatten abends das Gefühl, daß ein Weiterschr­eiten der gefräßigen Elemente im Museumsgeb­äude nicht zu fürchten sei. Am Morgen des 7. April stand das Gebäude aber wieder in Flammen. Ein Zug der Leipziger Feuerwehr, der bei Löscharbei­ten in Gera tätig war, konnte durch Vermittlun­g von Oberlehrer Hemmann den erneut ausgebroch­enen Brand löschen und das Museum vor der völligen Vernichtun­g bewahren. [...]

Am Tage darauf fiel in der Nähe eine Luftmine. Durch den ungeheuren Luftdruck entstanden weitere Trümmer im Museum. Zersprengt wurden jetzt die großen Vitrinen, die am Vortage noch völlig intakt waren, mit Geraer Porzellan und Geraer Zinn. Der Inhalt einer Münzvitrin­e wurde bis ins Treppenhau­s verschleud­ert. Die Schausamml­ung von Geraer Zeugdruckp­roben wurde in den zu Bruch gegangenen Schränken zerfetzt. Überreste hingen an den elektrisch­en Außenleitu­ngen des Brühls.“

Patrick Golenia ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Kulturamt der Stadtverwa­ltung Gera

 ?? FOTO: ERHARDT OSTERTAG/ SAMMLUNG STADTMUSEU­M ?? Das Dach des heutigen Stadtmuseu­ms Gera steht in Flammen nach den schwersten Luftangrif­fen auf die Stadt am 6. April 1945.
FOTO: ERHARDT OSTERTAG/ SAMMLUNG STADTMUSEU­M Das Dach des heutigen Stadtmuseu­ms Gera steht in Flammen nach den schwersten Luftangrif­fen auf die Stadt am 6. April 1945.

Newspapers in German

Newspapers from Germany