Thüringische Landeszeitung (Gera)
Das Konfekt ist weg
Jürgen Bähringer wurde gesperrt, weil er den Bezirk Gera verließ. Der Greizer spielte 16 Jahre für den FC Karl-Marx-Stadt und gewann Olympiasilber in Moskau
Der Vater und der Bruder spielten Fußball, da lag es nahe, dass auch Jürgen Bähringer hinauf zum Sportplatz Tempelwald radelte. Erster Übungsleiter bei der BSG Fortschritt Greiz war Harry Janoske und schnell stellte sich heraus, aus dem schmächtigen Kerlchen könnte mal ein Fußballer werden, der es über die Kreisgrenzen hinaus schaffen könnte.
Doch es sollte dauern, bis sich Jürgen Bähringer aufmachte. Als er
1972 zur BSG Motor Werdau wechselte, einem Spitzenteam der DDRLiga, war er schon 22 Jahre alt. „Ja, das hat sich so ergeben. Ich wollte auch nicht von zu Hause weg“, sagt er. Den Beruf eines Baufacharbeiters hatte er gelernt. Fußball war seine Welt. Anders als die Greizer Konrad Weise oder Rainer Schlutter, die von Greiz an die Sportschule nach Jena wechselten und beim FC Carl Zeiss spielten, ging Jürgen Bähringer einen anderen Weg. Doch im benachbarten Werdau kam er nur zu vier Einsätzen.
„Weil ich sportlich gesehen den Bezirk Gera verlassen habe, wurde ich für ein halbes Jahr gesperrt.“Doch die vier Spiele bei den Werdauern reichten, dass Herbert Naumann, der für den FC Karl-MarxStadt Spieler sichtete, auf ihn aufmerksam wurde. Dann wiederum ging alles sehr schnell, mit Datum
1. Januar 1973 trug der Greizer das Trikot des FC Karl-Marx-Stadt, stieg schnell zum Stammspieler der Oberligamannschaft auf. 16 Jahre hielt er den „Himmelblauen“die Treue, wurde Anfang 2006 zum Ehrenspieler des Klubs berufen. Zwischen 1973 und 1988 bestritt Bähringer 350 Oberligaspiele, schoss 57 Tore. Und ein Treffer bleibt unvergessen – die Abstimmung zum Tor des Monats gab es damals in der DDR nicht. In der Saison 1984/85 überraschte er den Dresdner Keeper Bernd Jakubowski mit einem Schuss aus 42 Metern.
„Der Ball kam zu mir, lag im Mittelkreis und ich hab drauf gehalten. Der Ball segelt über die Köpfe der Spieler und ins Tor.“Und auch das Spiel aus der Saison 1973/74 gegen Dynamo Dresden hat er noch in bester Erinnerung. „Wir lagen fünf Minuten vor Schluss mit 2:4 zurück und ein Teil der Zuschauer verließ schon das Stadion.“Doch die Gastgeber schafften noch das 4:4, durch zwei Treffer von Bähringer, der zudem die beiden anderen Tore vorbereitet hatte. Die Spiele gegen Dresden hatten es in sich. Jürgen Bähringer spielte noch gegen Klaus Sammer und zum Ende seiner Laufbahn hin, musste er Matthias Sammer verteidigen. Titel gewann er mit den Karl-Marx-Städtern zwar keine, im Finale des FDGB-Pokals 1982/83 gab es ein 0:4 gegen den 1. FC Magdeburg. Im Sommer durften die
Klubs der Plätze fünf bis acht an der Intertoto-Runde spielen. „Wir hatten Losglück und es ging in die Schweiz, nach Österreich und Finnland.“Das war schon was im Land der eingeschränkten Möglichkeiten. Die Idee, woanders zu spielen, kam „Bähre“, wie es durchs Stadion an der damaligen Dr. Kurt-FischerStraße (heute Gellertstraße) hallte, nie im Leben. Auch seine Heimatstadt Greiz verließ er nie.
„Ich hatte zwar ein Zimmer am Klub, aber ich bin eigentlich jeden
Tag nach Hause gefahren.“Mit 37 beendet er seine Laufbahn, Trainer Hans Meyer machte ihm in einem langen Gespräch klar, dass er nicht mehr mit ihm plante. „Ich war ja lange dabei“, sagt Jürgen Bähringer ohne Groll. Dass wenig später nichts mehr war, wie es war, ahnte in dem Moment keiner, dass sich für Rico Steinmann oder Michael Ballack die Fußball-Welt öffnen würde.
Jürgen Bähringer packte seine Sachen aus dem Spint, arbeitete im Chemiewerk Greiz und leitete Training in seinem Heimatverein 1. FC Greiz. Noch heute fährt er regelmäßig nach Chemnitz, hofft, das der CFC in der 3. Liga die Klasse hält.
Das eine oder andere Mal nimmt er auch seinen Enkel Tim mit, den er als E-Jugendtrainer im Verein betreut. Doch seine Zeit ist sie nicht, die heutige Zeit. „Wir sind mit dem Robur zu den Spielen gefahren, auf der Rückfahrt haben wir Lieder gesunden und abends ging es zum Tanz“, sagt Jürgen Bähringer.
Heute fährt ein Konvoi zu den Nachwuchsspielen des 1. FC Greiz. Im Auto, die Eltern mit ihren Kindern. Ein Konvoi voller Trainer und Berater. Jürgen Bähringer schmunzelt. „So ist das eben, kann nicht ändern, was nicht zu ändern ist.“Im August werden es 40 Jahre, dass Jürgen Bähringer mit knapp 30 die Olympischen Spiele 1980 in Moskau erlebte, mit den DDR-Fußballern die Silbermedaille gewann. Die Regularien für das olympische Fußballturnier waren besondere. Die Olympiakicker durften keine Profis sein und auch noch kein A-Länderspiel bestritten haben. Das traf auf Jürgen Bähringer zu, sein erstes und einziges A-Länderspiel bestritt er nach Olympia beim 2:2 in Rostock gegen die Sowjetunion. In der Vorrunde gegen Spanien, Algerien und Syrien stand Jürgen Bähringer auf dem Platz, das 4:0 gegen den Irak und das 1:0 gegen den Gastgeber im Viertel- und Halbfinale sowie die
0:1-Finalniederlage gegen die CSSR verfolgte er von der Bank aus. Die Vorrunde wurde in Minsk gespielt, dann ging es nach Moskau.
„Die Olympischen Spiele waren ein tolles Erlebnis“, sagt der heute
69-Jährige über den Sommer vor 40 Jahren. An das olympische Handballfinale DDR – UdSSR (23:22 nach Verlängerung) und den über sich hinaus wachsenden Torhüter Wieland Schmidt. Wie den Fußballern war es den Handballern gelungen, den Gastgeber zu schlagen.
„Die Atmosphäre in der Halle war eigenartig. Das Spiel riss alle von den Sitzen. Natürlich waren die Moskauer enttäuscht, verließen die Halle.“Die Erinnerungen an Moskau 1980 kann ihm keiner nehmen, die Mitbringsel wie der große Mischka-Bär, das Maskottchen der Spiele, haben einen besonderen Platz in seiner Sammlung gefunden. Das russische Parfüm, das er mitbrachte und an das sich seine Frau erst heran tasten musste, ist verflogen und auch das Moskauer Konfekt ist längst verputzt.