Thüringische Landeszeitung (Gera)

Alte Musik der jungen Generation

Weimar Baroque wollte bei den Bachwochen durchstart­en. Nun winkt eine zweite Chance

- Von Wolfgang Hirsch www.weimarbaro­que.com www.thueringer-bachwochen.de

Jung, frisch, undogmatis­ch wagt eine neue Generation vorzüglich ausgebilde­ter Musiker den beherzten Zugriff aufs Repertoire der Alten Musik. Zum Beispiel das Ensemble Weimar Baroque. Obzwar schon vor sechs Jahren gegründet, ist diese Formation aktueller wie ehemaliger Studierend­er der FranzLiszt-Hochschule selbst im eigenen Lande noch kaum bekannt.

Nach der Absage der diesjährig­en Thüringer Bachwochen wird sich daran vorerst auch nichts ändern. Bei dem Festival sollte Weimar Baroque Bachs h-Moll-Messe im Erfurt Dom spielen. Nun hofft man, diesen Herbst einen Nachholter­min zu finden. „Wir nutzen die Chance, um noch tiefer in die Materie einzudring­en“, übt EnsembleLe­iter Hans Christian Martin sich in Optimismus.

Durchschni­ttsalter Mitte 20 – der Kirchenmus­iker Martin (33) und der Geiger Leopold Nicolaus (26) bilden folglich die Nestoren des Ensembles, das sie 2014 unter dem shakespear­ehaften Namen „Orchester Viel Lärm um Nichts“in der Klassikers­tadt aus der Taufe hoben. Damals amtierte Martin als Organist in der Jakobskirc­he sowie auf Schloss Ettersburg, und gemeinsam mit Nicolaus, der nach wie vor bei Midori Seiler studiert, suchte er nach Möglichkei­ten, um auf eigene Kosten und Rechnung beim Musizieren Vergnügen zu haben. Freiheit und Verantwort­ung, stets die zwei Seiten derselben Medaille, kennzeichn­en die Haltung der Interprete­n.

Nachtkonze­rte zu Anfang

Mit einer Reihe von Nachtkonze­rten im ältesten Kirchlein der Stadt trat man so in das gedämpfte Licht der Öffentlich­keit, weitere Auftritte bei lokalen Bachfesten, zuletzt bei der Biennale in Weimar, schlossen sich an. Inzwischen gastierte man gar prominent im Ausland: als klangvolle­s Gastgesche­nk des Ministerpr­äsidenten auf offizielle­r Mission in Vietnam und, erst vor kurzem, in der St. Petersburg­er Eremitage. Die kleinste Besetzung heißt „Saiten und Tasten“, also Martin und Nicolaus, und so bestritt man auch, jeweils verstärkt durch einen Fagottiste­n oder eine Tänzerin, diese Termine.

Wie in der freien Zunft üblich, firmiert man in der Kategorie „Capella telefonien­sis“. Sechs Mitglieder nennt die Website namentlich, Hans Christian Martin spricht von einem Kern von sieben, acht Spielern.

Hinzu kommt ein Kometensch­weif von Freunden, Bekannten und Kommiliton­en, die er je nach Bedarf und Bedürfnis zum Mittun einlädt. Der Gebrauch historisch authentisc­her Instrument­e und vor allem der gemeinsame Grundton eint sie im Spiel. Für die h-MollMesse kalkuliert Martin mit – so viel wie noch nie – 34 Akteuren. Eine Herausford­erung.

Im Repertoire widmet Weimar Baroque sich vornehmlic­h der Alten Musik, schweift aber zuweilen bis in zeitgenöss­ische Gefilde. „Wir spielen das, was wir für uns interessan­t finden“, so die Devise. Da dürfen gern Ausgrabung­en – etwa von Sabbatini, Boccherini, Soler – dabei sein; auf ausgetrete­ne Pfade haben die jungen Leute eh keine Lust. „Uns ist besonders die mitteldeut­sche Musik wichtig“, sagt Martin. Als Interprete­n und Botschafte­r aus dem Herzland des deutschen Barock will man agieren.

Und das voller Ernsthafti­gkeit. Nicolaus und Martin kommt es nicht allein darauf an, eine Partitur zu exerzieren, sondern ebenso deren Kontexte – den Geist der Zeit – zu vermitteln. Die Musiker studieren folglich nicht nur das mitunter heikle Aufführung­smaterial, und erörtern Detailfrag­en nach Tempi, rhythmisch­en Strukturen oder Verzierung­en. Sondern nehmen sich auch Literatur, Malerei, Geschichte und Philosophi­e aus dem kreativen Umfeld einer Kompositio­n vor.

Hohes Ethos der Akteure

Demut, Fleiß und Respekt pflegt man als Tugenden. Als Klangideal nennt Martin das der alten Hofkapelle aus Dresden, weil sie in ihren besten Zeiten italienisc­he und französisc­he Stilvorgab­en vereinte. Soave (ital.: lieblich) und männlich zitiert er die von Leopold Mozart dafür gewählten Attribute. Hauptsache frei. „Möglichst kein Dogmendenk­en!“

warnt Nicolaus und verweist auf die Vorbilder. „Zum Beispiel beim berühmten Thema Vibrato“, ergänzt Martin, „kommt man beim Quellenstu­dium zu dem Schluss: Sie haben es so gemacht, wie es ihnen gefiel.“

Darauf legt man Wert bei Weimar Baroque, nicht auf den Verdienst eines Lebensunte­rhalts. Auf die durch höhere Gewalt verpasste Festival-Chance könnte eine zweite folgen – an Ort und Stelle. Denn Bachwochen-Geschäftsf­ührer Christoph Drescher denkt an Konzerte im Herbst – sofern die Lage es zulässt. Dann gäbe es entweder ein Sonderkonz­ert oder sogar ein einwöchige­s Mini-Festival. Die Missa 1733, eine Frühfassun­g der h-Moll-Messe, mit Weimar Baroque wäre dann aus seiner Sicht auf jeden Fall im Programm.

 ?? FOTO: WOLFGANG HIRSCH ?? Hans Christian Martin (links) und Leopold Nicolaus haben das Ensemble Weimar Baroque anno 2014 aus der Taufe gehoben. Mit Bachs h-Moll-Messe planen sie nun ihren bisher größten Auftritt.
FOTO: WOLFGANG HIRSCH Hans Christian Martin (links) und Leopold Nicolaus haben das Ensemble Weimar Baroque anno 2014 aus der Taufe gehoben. Mit Bachs h-Moll-Messe planen sie nun ihren bisher größten Auftritt.

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