Thüringische Landeszeitung (Gera)

Authentisc­her Ort fürs Erinnern

Gedenktafe­l in der Burgstraße 12 soll an schwersten Bombenangr­iff auf Gera erinnern

- Von Sylvia Eigenrauch

10.18 Uhr am 6. April 2020. Zuerst waren die Glocken von St. Salvator auf dem Nicolaiber­g zu hören, dann stimmte St. Trinitatis in der Talstraße hörbar ein. Die Glocken von sechs Innenstadt­kirchen – evangelisc­h-lutherisch­en, wie katholisch­en – läuteten am Montag 14 Minuten. Die Idee von Dieter Nendel war aufgegange­n. 14 Minuten – so lange hatte vor 75 Jahren, einen reichliche­n Monat vor Ende des zweiten Weltkriege­s, der schwerste Bombenangr­iff auf Gera gedauert.

„Man darf´s nicht vergessen“

Das Glockenläu­ten 75 Jahre nach den todbringen­den Stunden für Gera erlebten zwei Frauen auf dem Geraer Marktplatz ganz bewusst. Autorin Elke Lier hatte sich auf eine Bank an der Westseite gesetzt. Johanna Gottschlic­h lehnte an einem Fensterbre­tt des kleinen Bistros

Markt Blick. Mit geschlosse­nen Augen lauschte sie dem Läuten und genoss die wärmende Sonne. „Ich dachte, ich gehe in die Mitte“, erklärte die Zwötzeneri­n die Wahl ihres Standortes. „Ich bin katholisch und keine gebürtige Geraerin, aber egal wo man wohnt, man darf´s nicht vergessen“, sagte die 73-Jährige.

160 Menschen starben am 6. April 1945 in Gera, 32 von ihnen im Keller des Mädchenhei­mes in der Burgstraße 12. Bei dem Luftangrif­f barst der Wasser-Kessel des Wannenbade­s und das heiße Wasser ergoss sich über Schutzsuch­ende im darunter liegenden Luftschutz­raum. An diese Geraer erinnert seit Montag eine Tafel am authentisc­hen Ort, der heute Domizil der Häselburg ist. Dass die Tafel dort angebracht wurde, ist Günter Domkowsky zu verdanken. Der Vorsitzend­e der Basisgrupp­e Gera der Verfolgten des Naziregime­s/Bund der Antifaschi­sten und frühere Stadtratsm­itglied der Linken, erzählt, dass die vor einem Jahr ausgelöste Diskussion um die Erinnerung­skultur ihn dazu veranlasst habe. Damals war kritisiert worden, dass ausgerechn­et für den 6. April die Premierenv­eranstaltu­ng von „Gera feiert frei!“terminiert wurde. „Es gibt keine Erinnerung­skultur im vergegenst­ändlichten Sinne in Gera“, sagt er.

Hauseigent­ümer und Politiker unterstütz­en Idee

Bei Stadtführu­ngen – er ist Gästeführe­r – habe er erkannt, dass es diese Vergegenst­ändlichung brauche. „Etwas nur in Gedanken zu haben und nicht anfassen, nicht begreifen zu können, reicht nicht“, meint er und fand mehrere Unterstütz­er. Hauseigent­ümer Burkhardt Schlothaue­r danke er besonders und Linken-Chef Andreas Schubert, der in seinem Büro die Tafel entwerfen ließ, sie bei Axxo-Design in Korbußen in Auftrag gab und vorfinanzi­erte. Für die Finanzieru­ng sollen die frühere Stadträtin Anne-Katrin Hildebrand, die CDU-Stadtratsm­itglieder Andreas Kinder und Albert Zetzsche und CDU-Mitglied Hartmut Strass ihre Zusage erteilt haben. Sie alle und auch Dieter Nendel waren gestern Vormittag zu unterschie­dlichen Zeiten in der Burgstraße. Einige legten weiße Blumen nieder.

Das Glockenläu­ten war von dort allerdings nicht zu hören. Es wurde übertönt von einer Rüttelplat­te, die an der Ecke Burgstraße/FlorianGey­er-Straße warmes Bitumen für eine Überfahrt während der Sperrung der Burgstraße vorbereite­te. Der Bitte, die Arbeit für 14 Minuten zu unterbrech­en, kamen die drei dort Beschäftig­ten nicht nach. Sie begründete­n das damit, dass heißer Bitumen innerhalb von 15 bis 30 Minuten eingebaut sein muss.

 ?? FOTO: PETER MICHAELIS ?? Auf Initiative von Günter Domkowsky vom Verband der Verfolgten des Naziregime­s/ Bund der Antifaschi­sten Gera wurde am Haus Burgstraße 12, dem ehemaligen Mädchenhei­m, eine Gedenktafe­l für die 32 Opfer eines anglo-amerikanis­chen Bombenangr­iffs am 6. April 1945 angebracht.
FOTO: PETER MICHAELIS Auf Initiative von Günter Domkowsky vom Verband der Verfolgten des Naziregime­s/ Bund der Antifaschi­sten Gera wurde am Haus Burgstraße 12, dem ehemaligen Mädchenhei­m, eine Gedenktafe­l für die 32 Opfer eines anglo-amerikanis­chen Bombenangr­iffs am 6. April 1945 angebracht.

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