Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Die Mehrheit traut sich selber nicht“
Psychologin Cornelia Betsch aus Erfurt über veränderte Stimmungslage während der Corona-Pandemie
Seit fast drei Monaten leitet die Psychologin Cornelia Betsch eine Langzeitstudie, in der etwas 1000 repräsentative ausgewählte Deutsche mittels eines Online-Fragebogens zu ihrem Wissen über die Pandemie, ihrem eigenen Verhalten und den Einschränkungen befragt werden. Wir sprachen mit der Erfurter Universitätsprofessorin, die inzwischen in den Expertenbeirat der Landesregierung berufen wurde.
Die Ängste der Menschen vor dem Corona-Virus nehmen ab. Hängt dies vor allem mit der sinkenden Zahl der Neuinfektionen zusammen?
Nur unter anderem. Ich vermute auch einen Einfluss der staatlichen Einschränkungen, die vorgenommen wurden. Erst als ab Mitte März das öffentliche Leben in Deutschland heruntergefahren wurde, stieg gleichzeitig das Risikogefühl sprunghaft. Vielleicht haben die Maßnahmen für viele die Gefahr erst verdeutlicht. Umgekehrt nimmt jetzt parallel zu den Lockerungen die Angst vor einer eigenen Ansteckung wieder ab.
Deckt sich dieses Verhalten mit früheren Studien bei Epidemien?
Ja, das war schon bei der H1N1Pandemie so, also der sogenannten Schweinegrippe. Interessant ist: Die sogenannte kognitive, vernunftgesteuerte Risikowahrnehmung bleibt relativ konstant, die Leute haben also durchaus verstanden, dass das Virus gefährlich bleibt. Aber die Angst davor sinkt.
Ist das nicht gut?
Nicht dann, wenn dadurch Leichtsinn entsteht.
Das gibt aber Ihre Umfrage so nicht her. Dort gaben zuletzt fast 90 Prozent an, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Und 82 Prozent tragen Maske, wo sie verlangt wird. Sind das nicht hohe Werte?
Grundsätzlich schon, wobei wir ja noch die Maskenpflicht haben, das heißt, das beruht nicht auf Freiwilligkeit. Und gerade bei den Jüngeren wird das Schutzverhalten zunehmend problematisch. Dort sind auch die Gruppendynamiken größer: Insbesondere jene, die denken, dass sich andere nicht mehr an die Vorschriften halten, machen auch selbst eher Ausnahmen.
Dennoch: Die Zustimmung zu den Einschränkungen bleibt hoch, trotz der ökonomischen und sozialen Folgen und der zunehmenden Proteste auf der Straße und im Netz.
Das stimmt. Die Daten zeigten, dass die Leute wirklich verstanden haben, dass wir uns längerfristig auf dieses Virus einstellen müssen. Wichtig ist, dass jetzt so etwas wie ein lokales Frühwarnsystem entwickelt wird. Es gibt ja verschiedene Alarmsysteme, bei Waldbränden, bei Unwettervorhersagen oder auch beim Pollenflug, woraus sich dann Verhaltensänderungen ergeben. Ich vermute, dass das auch langfristig besser akzeptiert werden wird als ein nochmaliger Lockdown in ganz Deutschland.
Das ist ja auch das Konzept, das Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow vorschlug. Sie haben dazu auch gefragt. Wie war die Zustimmung?
Wenn es darum geht, dass in einer Stadt oder einer Region die Einschränkungen stark verschärft werden, wenn eine bestimmte Zahl an Neuinfektionen überschritten wird, ist die Zustimmung relativ hoch.
Die Maßgabe des Bundes sind 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche, Thüringen will die Grenze bei 35 Neuinfektionen festlegen.
Genau. 70 Prozent sind in dieser Situation eher bereit, sich wieder stärker einzuschränken. Sogar 59 Prozent der Befragten befürworten, dass es dann einen lokalen Lockdown gibt.
Ramelow setzt ja auch jetzt auf eigenverantwortliches Handeln, Verbote sollen nur noch Empfehlungen sein. Ist das zu optimistisch?
Unsere Ergebnisse sagen ganz klar: Ja. Die Mehrheit der Bevölkerung traut sich da selber nicht. Wenn man die Menschen fragt, ob Gebote ähnlich effektiv sind wie Verbote, sagen nur 37 Prozent Ja oder eher Ja. Nur ein Drittel der Teilnehmer denkt, dass sich die meisten Leute an reine Empfehlungen halten würden. Reine Freiwilligkeit funktioniert möglicherweise nur dann, wenn etwas als akute Gefahrwahrgenommen wird. Und das ist jetzt gerade nicht mehr der Fall.
Deshalb ist es also gut, dass die Maskenpflicht vorerst in Thüringen erhalten bleibt?
Ja. Wir haben zusätzlich zu der Befragung ein Verhaltensexperiment gemacht. Dabei haben wir festgestellt, dass das Tragen von MundNasenschutz als eine Art sozialer Vertrag wahrgenommen wird. Das heißt, die Leute wissen: Der Schutz ist nur dann da, wenn so gut wie alle Maske tragen. Wenn die Pflicht fällt, beruht der Vertrag auf Freiwilligkeit, viele machen dann nicht mehr mit, und das kann zu sozialen Spannungen führen – und natürlich auch zu weniger Schutz für alle.