Thüringische Landeszeitung (Gera)

Zurück aus der Arktis

Der Jenaer Geophysike­r Steffen Graupner war 80 Tage an Bord des deutschen Forschungs­schiffs „Polarstern“

- Von Ulrike Kern

Seit 2. April ist Steffen Graupner wieder in Jena. Es hat eine Weile gedauert, bis er tatsächlic­h zu Hause angekommen ist, Körper und Geist sich wieder an den normalen Rhythmus und gemäßigte Wetterbedi­ngungen angepasst hatten. Selbst die 100 Kilogramm Gepäck stehen tagelang unangetast­et in der Wohnung. Die Flut an Mails bleibt zunächst unbeantwor­tet, und stattdesse­n stehen Schlafen und Sonnetanke­n auf dem Programm. Der Körper muss sich nach den Strapazen und der Dunkelheit der letzten vier Monate erholen. Doch mittlerwei­le ist wieder etwas Routine in das Leben des 47-Jährigen eingekehrt.

Am 24. November vergangene­n Jahres ist er zu der wohl spektakulä­rsten Expedition in seinem Leben aufgebroch­en. Und dabei hat er bereits etliche extreme Reisen unternomme­n – nach Kamtschatk­a, Tschukotka, Zentralasi­en, Afghanista­n, Südamerika, Indonesien, Ostafrika und immer wieder in die russische Arktis. Schon sechs Mal hat er die legendäre Nordostpas­sage durchfahre­n und schafft es obendrein im Juni 2016 als Erster, den mit 6094 Metern höchsten Punkt im Kleinen Pamir in Afghanista­n zu besteigen. Doch die jetzige MosaicExpe­dition des deutschen AlfredWege­ner-Instituts an Bord des Forschungs­schiffs „Polarstern“, die größte Arktisexpe­dition aller Zeiten, sollte ganz anders sein: zehn Jahre vorbereite­t, auf ein Jahr ausgelegt, 140 Millionen Euro teuer und mit 600 wechselnde­n Personen aus 19 Ländern. Steffen Graupner geht in der zweiten Runde an Bord. Da liegt die „Polarstern“schon eingefrore­n in einer Scholle, driftet mit dem Eis Richtung Nordpol, während

das Team an Bord 34,3 Terrabytes an wissenscha­ftlichen Daten erfasst. Ein riesiges Netz an Forschungs­stationen hat man im Umkreis von 40 Kilometern um das

Schiff aufgebaut. Für die rund hundert Wissenscha­ftler und Crewmitgli­eder von Leg 2, darunter der Jenenser, die am 13. Dezember an der „Polarstern“andocken, beginnt die kälteste und dunkelste Phase der ganzen Expedition. Erst Mitte März wird die Sonne wieder zu sehen sein. Und fernab anderer Menschen feiern sie gemeinsam Weihnachte­n, Silvester und Steffen Graupner auch noch seinen Geburtstag.

Fußballtur­niere auf der Eisscholle

An 76 von 80 Tagen wird gemessen und auf dem Eis gearbeitet. Immer gehen die Schichten mit dem mühsamen An- und Ausziehen der vielen Kleidungss­chichten einher. Die Arbeit, vor allem mit dicken Handschuhe­n, fällt mitunter schwer. Wer danach nicht erschöpft in die Koje fällt, vertreibt sich die Freizeit, so gut er kann. Steffen Graupner trägt auf der Scholle Fußballtur­niere aus, geht auf Skitouren oder macht mit seiner Kamera und der Drohne beeindruck­ende Aufnahmen. „Es ist ziemlich schwierig, in der Dunkelheit und bei minus 40 Grad eine Drohne zu fliegen, wenn die Finger fast abfrieren“, erzählt er. Doch seine einmaligen Aufnahmen waren jede Mühe wert. Die ungewöhnli­che Situation und Mission schweißt das Team von Leg 2 zusammen. Man trifft sich in der Sauna oder in der Bordkneipe „Zillertal“und wird zu einer großen internatio­nalen Familie. Die Bedenken des Jenensers im Vorfeld bezüglich der Dunkelheit lassen sich ausräumen: „Es ist wirklich schwierig, sich in völliger

Dunkelheit auf der Scholle und den gebauten Straßen zu orientiere­n. Und natürlich ist man auch wegen der Anstrengun­gen dauermüde. Aber ein strenger äußerer Rhythmus hilft dagegen.“Unterdesse­n driftet die Scholle mit der „Polarstern“während Leg 2 ganze 672 Kilometer durch die Arktis, erreicht in dieser Zeit den nördlichst­en Punkt, nur 84 Meilen vom Nordpol entfernt.

Währenddes­sen bahnt sich das größte Problem für das Team an. Der ungewisse Rücktransf­er wird zur nervlichen Zerreißpro­be. Der russische Eisbrecher „Kapitan Dranitsyn“, der die Teams austausche­n soll, kämpft sich mühsam durchs Press-Eis, verbraucht von den geladenen 3000 Tonnen Treibstoff täglich 85 Tonnen. „Es gab Tage, da sind wir mit unserer Scholle schneller von der Dranitsyn weggedrift­et, als sie uns hinterher fahren konnte“, erzählt Graupner. Für einen konvention­ell getriebene­n Eisbrecher ist das Eis im Hochwinter zu dick und nahezu nicht manövrierb­ar. Den ganzen Februar bleibt die Ungewisshe­it, denn schnell wird klar, dass der Eisbrecher nicht genügend Treibstoff für die Rückreise hat. Ein zweiter Eisbrecher, die schon zwei Jahre auf Reede liegende „Makarow“wird aus Murmansk dazu gerufen und die Crew kann am 5. März die Heimreise antreten. Die Ankunft am 1. April in Tromsö wird schmerzlic­h und tränenreic­h. Es heißt Abschied nehmen nach vier gemeinsame­n Monaten in der Arktis und Ankunft der mit Sicherheit coronafrei­esten Menschen in Quarantäne und in ihrem Alltag.

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FOTOS (3): STEFFEN GRAUPNER An 76 von 80 Tagen an Bord der „Polarstern“hat das Team von Leg 2 Unmengen an Daten aus der Arktis erhoben – teilweise bei bis zu 40 Grad minus und starken Winden.
 ??  ?? Aufnahme von der Drohne – mit russischem Eisbrecher und der eingefrore­nen „Polarstern“im Hintergrun­d.
Aufnahme von der Drohne – mit russischem Eisbrecher und der eingefrore­nen „Polarstern“im Hintergrun­d.
 ??  ?? Mit auf „Mosaic"-Expedition: Steffen Graupner aus Jena.
Mit auf „Mosaic"-Expedition: Steffen Graupner aus Jena.

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