Thüringische Landeszeitung (Gera)
Trump sucht Schutz im Bunker
Die USA werden von den schlimmsten Unruhen seit der Ermordung von Martin Luther King erfasst. Doch der Präsident rüstet rhetorisch auf
Der Präsident vorübergehend im Notfallbunker des Weißen Hauses. Die sonst hell erleuchtete Machtzentrale Amerikas abgedunkelt im Belagerungszustand wütender Demonstranten. Rauchschwaden aus gelegten Bränden, sogar in einer historischen Kirche. Tränengasgranaten und Sirenenalarm der Polizei über Washington: Das sind vier Mosaiksteine von Dutzenden aus den vergangenen Tagen, die illustrieren, wie massiv die Proteste Amerika erschüttern, die seit der tödlichen Misshandlung des 46-jährigen Schwarzen George Floyd durch Polizisten in Minneapolis vor einer Woche das ganze Land erfasst haben.
Und es ist kein Ende in Sicht. Allein die Zahlen veranschaulichen das Ausmaß einer Krise, die es laut Historikern so seit der Ermordung des Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King 1968 nicht mehr gegeben hat: Rund ein Drittel der 50 Bundesstaaten hat die quasi militärische Nationalgarde aktiviert, um sich der Gewalt- und Protestwelle entgegenzustemmen. Allein in Minnesota, wo George Floyd den Tod fand, seien bis zu 10.000 Kräfte im Einsatz, sagte Gouverneur Tim Walz. In knapp 100 Städten gab es seither Demonstrationen, bei denen die Mehrzahl der Teilnehmer friedlich blieb. Kleinere militante Gruppen und Einzelpersonen sorgen jedoch für ein Maß an Gewalt, das bei Weitem über dem liegt, was frühere Polizei-Exzesse gegen Schwarze – etwa der Fall Michael Brown 2014 in Ferguson/Missouri – nach sich gezogen haben.
Hunderte Geschäfte, Restaurants, Autos und sogar Polizeiwachen gingen in Flammen auf. Öffentliche Gebäude wurden zerstört. Plünderer zogen durch die Straßen. Schüsse hallten durch die Nacht. Die genaue Zahl der Toten ist noch nicht bekannt. US-Medien berichten, dass über 4500 Menschen vorübergehend festgenommen wurden.
In über 40 Städten, darunter Metropolen wie Los Angeles, New York, Atlanta, Dallas, Philadelphia, Portland/Oregon oder Chicago, sahen sich die verantwortlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu Ausgangssperren genötigt, wie es sie sonst nur bei schweren Naturkatastrophen oder im Kriegsfall gibt.
Um dann wie in der Hauptstadt Washington am späten Sonntagabend festzustellen, dass sich viele Demonstranten nicht daran halten.
„Sie quälen und töten uns sowieso“, sagte der 26-jährige schwarze Student Yakim Pierson vor dem Lafayette Square in Washington unserer Redaktion und stimmte mit gut 1000 anderen Demonstranten in den Chorus ein, den man spätestens seit Rodney King kennt: „No justice, no peace.“Kein Frieden ohne Gerechtigkeit. „Seither“, so Pierson, „hat sich nicht viel geändert, wenn man genau hinsieht.“
Im März 1991 hatten Polizisten aus Los Angeles den schwarzen Lkw-Fahrer Rodney King, 26, nach einer Verfolgungsjagd gestellt und zusammengeknüppelt. Nach dem
Freispruch für die Cops ein Jahr später entzündeten sich schwere Unruhen. Am Ende waren über 60 Menschen tot und 2000 weitere verletzt. Der Schaden durch Plünderungen und Brandschatzungen ging in die Milliarden.
Pfingsten 2020 – dazwischen liegen Dutzende Fälle schlimmster Polizeigewalt gegen Afroamerikaner – fühlt sich für viele wie ein Déjà-vu an. „Schwarze sind ökonomisch und sozial immer noch benachteiligt , aber überdurchschnittlich von den Folgen der Coronavirus-Pandemie betroffen“, sagte ein afroamerikanischer Professor der Georgetown-Universität unserer Redaktion, „und ob Officer Derek Chauvin, der George Floyd sein Knie neun Minuten lang in den Hals rammte, am Ende wirklich substanziell verurteilt wird, ist noch nicht ausgemacht.“
Bis zu einer noch Monate ausstehenden Entscheidung bleiben Szenen für die Geschichtsbücher in Erinnerung – schreckliche wie ermutigende: In Chicago prügelt ein Mob einen Polizisten windelweich, nur mit Glück kann er entkommen. In Michigan und andernorts nehmen Polizisten ihre Helme ab, umarmen Demonstranten, gehen mit ihnen gemeinsam als Zeichen der Solidarität auf die Knie.
In dieser brenzligen Lage, in der jedes Wort, jede Geste zählt, tut sich US-Präsident Donald Trump nach den Worten vieler Kommentatoren vor allem als „Brandbeschleuniger“hervor. Seit Aufkeimen der Proteste fordert er mit stetig eskalierender Rhetorik deren gewaltsame Niederschlagung, weil ausschließlich linksradikale Kreise dahintersteckten. „Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen“, zitierte er am Freitag den in den 60er-Jahren für rassistische Staatsmacht bekannten Polizeichef von Miami, Walter Headley.
Dass Trump bisher mit keiner Silbe anerkannt hat, dass sich nach Minneapolis ein gewaltiges Ventil geöffnet hat, gilt nicht nur den oppositionellen Demokraten und vielen Medien als Beleg für eine selektive Wahrnehmung und Abgestumpftheit. Schwarze Polit-Promis wie Keisha Lance Bottoms, Bürgermeisterin von Atlanta, erwarten von Trump keine Lernkurve: „Ich wünschte, er wäre einfach still.“
„Ich wünschte, er wäre einfach still.“Keisha Lance Bottoms, Bürgermeisterin von Atlanta, über US-Präsident Donald Trump