Thüringische Landeszeitung (Gera)
Einmal Fasson, bitte!
Eigentlich, so dachten wir, sind diese Corona-Wochen doch eine günstige Gelegenheit, sich mal in aller Ruhe so richtig schön gehen zu lassen. Wie wunderbar entspannend und entlastend könnte es sein, ganz gepflegt und in aller Ruhe komplett zu verlottern. Videokonferenz im Bademantel, Homeoffice im Jogginganzug. Den Hipster-Bart eines Holzfällers wachsen lassen, wozu sich noch rasieren, sieht doch unter der Maske sowieso keiner. Und warum täglich duschen, das bisschen Körpergeruch verflüchtigt sich doch auf Einsfünfzig von allein.
Dann aber riefen wir unsere drei Schutzheiligen – die Eitelkeit, die Ordnungsliebe und unseren natürlichen Sinn für Schönheit – zusammen und riefen entschlossen: Nein! Nein, wenn schon die Gesundheit und die Gesellschaft in Gefahr sind, wenn die inneren Konflikte zunehmen mit Spaltung, Hass und Gewalt, wenn schon alles den Bach runtergeht, dann wollen wir nicht auch noch den Bach runtergehen. So! Und also beschlossen wir, der Verwahrlosung unseres Haupthaares Einhalt zu gebieten und zum Friseur zu gehen. Es wurde ein grundstürzendes Erlebnis daraus. Zum einen, weil wir erstmals in unserem Leben einen Termin zum Haarschneiden brauchten, und zum anderen, weil wir eine Premiere miterleben durften: Der Preis für den einfachen Herrenhaarschnitt knackte locker die Zwanzig-Euro-Marke – inklusive der von Immunologen des Friseurhandwerks verordneten Kopfwäsche. Für jemanden, der seine Laufbahn als Kunde einmal mit fünfunddreißig Pfennigen für „Fasson einfach“bei unbegleiteten Knaben unter acht Jahren begonnen hat, ein regelrechter Schock! Der damalige „Salon“war es übrigens auch. Er befand sich im Keller eines ausgebombten Mietshauses und roch nach abgefallenem Putz und dem Alaunstift, mit dem der Meister „eben mal drüberging“, um das Blut zu stillen, wenn er mit der handbetriebenen Haarschneidemaschine zu derb aufgedrückt hatte. Aber das nur nebenbei. Als der so malträtierte Knabe heranwuchs und dem Friseur mit modischen Wünschen kam – mal kurz, mal lang – wurde aus den Pfennigen schnell eine Mark und dann auch zwei. Erst DDR-Mark, dann Deutsche Mark und schließlich Euro. Wobei umgerechnet zwei Euro eigentlich vier Deutschmark entsprachen bzw. offiziell sechzehn DDR-Mark, schwarz und mit Trinkgeld war das der Kurs einer Pandemie. Sicher, das ist eine Milchmädchenrechnung. Aber was kann man sonst tun, wenn man beim Friseur sitzt und unter Haube und Maske seine Fasson bewahren will.