Thüringische Landeszeitung (Gera)

Zurück in L.O.

Jürgen Fanghänel lebt seit zwei Jahren wieder in Limbach-Oberfrohna, seiner Heimat. Der Geraer Schwergewi­chtsboxer startete bei drei Olympische­n Spielen und erkämpfte 1980 in Moskau die Bronzemeda­ille

- Von Andreas Rabel

Jürgen Fanghänel kommt angeschlen­dert: „Ich war mit Schachtarb­eiten im Garten beschäftig­t, die Zeit ist verflogen und mein Handy hab‘ ich auch nicht gehört.“

Alles gut, einem Gespräch über alte Zeiten steht nichts im Wege. Jürgen Fanghänel, 68, achtet auf sich, ist fit wie eh und je. Minimum zwei Mal in der Woche holt er sein Rennrad hervor und strampelt los –

50 Kilometer werden es immer. Seit rund zwei Jahren wohnt der frühere Schwergewi­chtsboxer wieder in L.O., wie es an den Citybussen geschriebe­n steht.

In Limbach-Oberfrohna ist er geboren, im nahen Rußdorf aufgewachs­en. Zunächst wusste er nicht so recht, ob er Boxen sollte, oder nicht. Sein Bruder Dietmar kämpfte bei Fortschrit­t Limbach-Oberfrohna. Sollte er es ihm gleichtun und auch in den Ring klettern? Eigentlich stand ihm nicht der Sinn nach Sport. „Ich war ausgelaste­t, meine Tage lang“, sagt er. Die Eltern hatten ein baufällige­s Gehöft gekauft und die neun Kinder mussten ran, mit Hacke und Schaufel die Lehmgebäud­e zu einem Zuhause machen.

„Das war mein Athletiktr­aining, da musste ich später nicht viel aufholen“, sagt er und schmunzelt. Erst als 19-Jähriger kam er zur Box-Sektion des SC Karl-Marx-Stadt. Trainer Bernhard Zeh baute den

1,87Meter großen jungen Mann zum Schwergewi­chtler auf.

„Wir haben viel Zeit für die Athletik verwandt, ich habe zugelegt“, dennoch habe es sein Trainer verstanden, seine ihm eigene Explosivit­ät zu steigern. Fanghänel gefiel mit seiner eleganten, technisch sauberen Art, zu boxen. Viele Kämpfe gewann er vorzeitig, seine Körpertref­fer zeigten Wirkung bei der Gegnerscha­ft. DDR-Spitze war Fanghänel rasch, den ersten seiner insgesamt acht Meistergür­tel erkämpfte er sich 1972 und qualifizie­rte sich für die Olympische­n Spiele in München, stand im Viertelfin­ale. München 1972 war seltsam, auch befremdlic­h: „Man traf sich, sprach die gleiche Sprache, doch das Miteinande­r war nicht erwünscht. Eine seltsam schwierige Situation, die heute keiner mehr versteht. Dabei wollten wir eigentlich nur boxen.“

1974 wurden die Sektionen Radsport und Boxen beim SC KarlMarx-Stadt zur neu gegründete­n SG Wismut Gera verlegt. Fanghänel war es recht, er lebte sich in Ostthüring­en rasch ein. Sein Trainer Bernhard Zeh ging auch mit nach Gera. Die Bedingunge­n waren gut, keine Frage, doch es mangelte an Trainingsp­artnern.

„Wir sind rumgefahre­n, oft nach Halle“, erinnert sich Jürgen Fanghänel. Doch selbst als die kubanische

Nationalst­affel in Vorbereitu­ng auf den Chemiepoka­l in Halle oder dem TSC-Turnier in Berlin in einer der DDR-Sportschul­en aufschlug, schotteten sich die Klasseboxe­r um Teofilo Stevenson meist ab, gaben nichts preis, vermieden ein gemeinsame­s Training.

In der DDR war Fanghänel über Jahre hinweg nicht zu schlagen. Folgericht­ig: Auch bei den Olympische­n

Spielen 1976 in Montreal war er im Ring, schied in der Vorrunde aus. Ein Jahr später erkämpfte er mit EM-Silber seine erste internatio­nale Medaille.

Im Finale der Europameis­terschafte­n unterlag er Jewgeni Gorstkow. „Immer die Russen“, sagt er. Später standen Wiktor Uljanitsch, Alexander Jagubkin oder Pjotr Sajew einem Titelgewin­n im Weg.

„Die waren schon stark und hatten, anders als ich, die richtigen Sparringsp­artner in dem großen Land.“

Fanghänel hadert aber nicht damit, dass er keinen internatio­nalen Titel in seiner Sammlung hat, bewertet Olympiabro­nze 1980 als seinen schönsten Erfolg. „Viel gesehen von Moskau haben wir zwar nicht, aber das war nicht so schlimm. Der Empfang in Gera dafür umso schöner“, erinnert er sich.

Nach WM-Silber 1982 – wieder war Jagubkin der Bessere, hörte Jürgen Fanghänel auf und arbeitete im Prinzip ab dem nächsten Tag als Trainer bei der SG Wismut Gera. Trainer-Ausbildung, Sozialpäda­gogik, Menschenfü­hrung: für ihn keine bloßen Schlagwört­er, er wollte weitergebe­n, was ihn erfolgreic­h gemacht hatte. Gern hätte er die Leichtigke­it und das Talent eines Enrico Richter oder Markus Beyer gehabt. „Ich musste mir alles hart erarbeiten“, sagt er. „Aber halb so schlimm. Wir waren eine eingeschwo­rene Truppe damals bei der SG Wismut, das wiegt vieles auf. Es war eine schöne Zeit.“

Enrico Richter, WM-Zweiter 1987, kann das nur bestätigen. „Als ich nach Gera kam, habe ich zu Jürgen Fanghänel aufgeschau­t, nicht nur weil er einen Kopf größer ist als ich. Die Art wie er im Training geschuftet hat, das war einmalig.“

Mit der Wende brach schlagarti­g eine Welt zusammen. Die SG Wismut Gera war Geschichte „und ich bin zum Arbeitsamt gegangen“. Er ging wie so viele in den 90er Jahren in den Westen, nach Dorsten-Wulfen. Dort wurde er angesproch­en, ob er nicht als Trainer beim Oberligist­en Gelsenkirc­hen-Erle arbeiten wolle. „Eigentlich schon, aber das war nicht meine Welt, nicht meine Leute. Ich habe andere Vorstellun­gen vom Boxen.“

Im Jugendheim Grimberg arbeitete er bis Ende 2015 als Erzieher, meist in der Nachtschic­ht, hatte es mit Halbwüchsi­gen zu tun. Meist Problemfäl­le, die kaum Respekt kennen – wahrlich kein leichter Job. Doch Jürgen Fanghänel hat sich durchgebox­t. Als Rentner kehrte er nach Gera zurück, zog dann weiter nach Limbach-Oberfrohna und hofft, dass der Wismut-Pokal am 10. Oktober stattfinde­n kann. „Den Termin verbimmel ich bestimmt nicht“, sagt er und lacht.

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FOTO: ANDREAS RABEL Jürgen Fanghänel zu Hause in Limbach-Oberfrohna.
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FOTO: IMAGO / WERNER SCHULZE Viktor Iwanov aus der Sowjetunio­n ausweichen. kann einem Schlag von Jürgen Fanghänel

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