Thüringische Landeszeitung (Gera)
Zurück in L.O.
Jürgen Fanghänel lebt seit zwei Jahren wieder in Limbach-Oberfrohna, seiner Heimat. Der Geraer Schwergewichtsboxer startete bei drei Olympischen Spielen und erkämpfte 1980 in Moskau die Bronzemedaille
Jürgen Fanghänel kommt angeschlendert: „Ich war mit Schachtarbeiten im Garten beschäftigt, die Zeit ist verflogen und mein Handy hab‘ ich auch nicht gehört.“
Alles gut, einem Gespräch über alte Zeiten steht nichts im Wege. Jürgen Fanghänel, 68, achtet auf sich, ist fit wie eh und je. Minimum zwei Mal in der Woche holt er sein Rennrad hervor und strampelt los –
50 Kilometer werden es immer. Seit rund zwei Jahren wohnt der frühere Schwergewichtsboxer wieder in L.O., wie es an den Citybussen geschrieben steht.
In Limbach-Oberfrohna ist er geboren, im nahen Rußdorf aufgewachsen. Zunächst wusste er nicht so recht, ob er Boxen sollte, oder nicht. Sein Bruder Dietmar kämpfte bei Fortschritt Limbach-Oberfrohna. Sollte er es ihm gleichtun und auch in den Ring klettern? Eigentlich stand ihm nicht der Sinn nach Sport. „Ich war ausgelastet, meine Tage lang“, sagt er. Die Eltern hatten ein baufälliges Gehöft gekauft und die neun Kinder mussten ran, mit Hacke und Schaufel die Lehmgebäude zu einem Zuhause machen.
„Das war mein Athletiktraining, da musste ich später nicht viel aufholen“, sagt er und schmunzelt. Erst als 19-Jähriger kam er zur Box-Sektion des SC Karl-Marx-Stadt. Trainer Bernhard Zeh baute den
1,87Meter großen jungen Mann zum Schwergewichtler auf.
„Wir haben viel Zeit für die Athletik verwandt, ich habe zugelegt“, dennoch habe es sein Trainer verstanden, seine ihm eigene Explosivität zu steigern. Fanghänel gefiel mit seiner eleganten, technisch sauberen Art, zu boxen. Viele Kämpfe gewann er vorzeitig, seine Körpertreffer zeigten Wirkung bei der Gegnerschaft. DDR-Spitze war Fanghänel rasch, den ersten seiner insgesamt acht Meistergürtel erkämpfte er sich 1972 und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele in München, stand im Viertelfinale. München 1972 war seltsam, auch befremdlich: „Man traf sich, sprach die gleiche Sprache, doch das Miteinander war nicht erwünscht. Eine seltsam schwierige Situation, die heute keiner mehr versteht. Dabei wollten wir eigentlich nur boxen.“
1974 wurden die Sektionen Radsport und Boxen beim SC KarlMarx-Stadt zur neu gegründeten SG Wismut Gera verlegt. Fanghänel war es recht, er lebte sich in Ostthüringen rasch ein. Sein Trainer Bernhard Zeh ging auch mit nach Gera. Die Bedingungen waren gut, keine Frage, doch es mangelte an Trainingspartnern.
„Wir sind rumgefahren, oft nach Halle“, erinnert sich Jürgen Fanghänel. Doch selbst als die kubanische
Nationalstaffel in Vorbereitung auf den Chemiepokal in Halle oder dem TSC-Turnier in Berlin in einer der DDR-Sportschulen aufschlug, schotteten sich die Klasseboxer um Teofilo Stevenson meist ab, gaben nichts preis, vermieden ein gemeinsames Training.
In der DDR war Fanghänel über Jahre hinweg nicht zu schlagen. Folgerichtig: Auch bei den Olympischen
Spielen 1976 in Montreal war er im Ring, schied in der Vorrunde aus. Ein Jahr später erkämpfte er mit EM-Silber seine erste internationale Medaille.
Im Finale der Europameisterschaften unterlag er Jewgeni Gorstkow. „Immer die Russen“, sagt er. Später standen Wiktor Uljanitsch, Alexander Jagubkin oder Pjotr Sajew einem Titelgewinn im Weg.
„Die waren schon stark und hatten, anders als ich, die richtigen Sparringspartner in dem großen Land.“
Fanghänel hadert aber nicht damit, dass er keinen internationalen Titel in seiner Sammlung hat, bewertet Olympiabronze 1980 als seinen schönsten Erfolg. „Viel gesehen von Moskau haben wir zwar nicht, aber das war nicht so schlimm. Der Empfang in Gera dafür umso schöner“, erinnert er sich.
Nach WM-Silber 1982 – wieder war Jagubkin der Bessere, hörte Jürgen Fanghänel auf und arbeitete im Prinzip ab dem nächsten Tag als Trainer bei der SG Wismut Gera. Trainer-Ausbildung, Sozialpädagogik, Menschenführung: für ihn keine bloßen Schlagwörter, er wollte weitergeben, was ihn erfolgreich gemacht hatte. Gern hätte er die Leichtigkeit und das Talent eines Enrico Richter oder Markus Beyer gehabt. „Ich musste mir alles hart erarbeiten“, sagt er. „Aber halb so schlimm. Wir waren eine eingeschworene Truppe damals bei der SG Wismut, das wiegt vieles auf. Es war eine schöne Zeit.“
Enrico Richter, WM-Zweiter 1987, kann das nur bestätigen. „Als ich nach Gera kam, habe ich zu Jürgen Fanghänel aufgeschaut, nicht nur weil er einen Kopf größer ist als ich. Die Art wie er im Training geschuftet hat, das war einmalig.“
Mit der Wende brach schlagartig eine Welt zusammen. Die SG Wismut Gera war Geschichte „und ich bin zum Arbeitsamt gegangen“. Er ging wie so viele in den 90er Jahren in den Westen, nach Dorsten-Wulfen. Dort wurde er angesprochen, ob er nicht als Trainer beim Oberligisten Gelsenkirchen-Erle arbeiten wolle. „Eigentlich schon, aber das war nicht meine Welt, nicht meine Leute. Ich habe andere Vorstellungen vom Boxen.“
Im Jugendheim Grimberg arbeitete er bis Ende 2015 als Erzieher, meist in der Nachtschicht, hatte es mit Halbwüchsigen zu tun. Meist Problemfälle, die kaum Respekt kennen – wahrlich kein leichter Job. Doch Jürgen Fanghänel hat sich durchgeboxt. Als Rentner kehrte er nach Gera zurück, zog dann weiter nach Limbach-Oberfrohna und hofft, dass der Wismut-Pokal am 10. Oktober stattfinden kann. „Den Termin verbimmel ich bestimmt nicht“, sagt er und lacht.