Thüringische Landeszeitung (Gera)
Trump lässt Soldaten aufmarschieren
US-Präsident will das Militär gegen die Demonstranten einsetzen – und nutzt die Krise zur Selbstinszenierung
Er – und schwach? Das darf nicht sein. Die Berichte über seine vorübergehende Flucht in den Sicherheitsbunker des Weißen Hauses am vergangenen Freitag lagen Donald Trump noch übel im Magen, als er am späten Pfingstmontag überraschend im Rosengarten des Weißen Hauses ans Mikrofon trat, um sich krampfhaft die Aura der Stärke zu verleihen.
Die landesweiten, teils gewalttätigen Proteste nach dem Erstickungstod des Afroamerikaners George Floyd (46) durch Polizeihand in Minneapolis seien weitgehend Ausdruck von „Inlandsterrorismus“, Anarchie und Chaos – und würden auf der Stelle beendet, erklärte Trump. In unversöhnlichem Ton bezeichnete er sich als „Präsident für Recht und Ordnung“. Die Tatsache, dass der überwältigende Teil der Zigtausenden Demonstranten zwischen Los Angeles und New York, zwischen Dallas und Seattle friedlich die Wut über die tödliche Misshandlung Floyds zum Ausdruck brachten, ließ Trump unerwähnt.
Um der Lage Herr zu werden, kündigte er die Mobilisierung „aller verfügbaren zivilen und militärischen Kräfte“an. Sollten Bürgermeister und Gouverneure an den hauptsächlich betroffenen Orten – in über 40 großen Städten gelten Ausgangssperren – nicht selbst für Sicherheit sorgen, werde er das USMilitär im Inland einsetzen, erklärte Trump, „und den Job schnell für sie erledigen“.
Tausende Soldaten im Marsch auf Washington
Ein historisch seltener Akt, der nach Angaben von Experten viele verfassungsmäßige Fragen aufwirft. Stellvertretend für die von Trump zuvor als „Schwächlinge“und „Idioten“angegriffenen Verantwortlichen in den Bundesstaaten verwahrte sich der demokratische Gouverneur von Washington State im Nordwesten der USA gegen Trumps Interventionslust: „Er kauert zu Füßen der Autoritären in der ganzen Welt“, erklärte Jay Inslee. „Jetzt nutzt er die höchste Macht der Präsidentschaft in einem verzweifelten Versuch, um seine Furcht und Geistlosigkeit zu verstecken.“
Wesley Clark, der frühere USNato-Oberbefehlshaber, bezeichnet das militärische Muskelspiel Trumps als „empörend“und „peinlich für das Ansehen Amerikas in der Welt“. Die Armee habe in dieser Konfliktlage nichts zu suchen, erklärte der Ex-General. Clark erklärte im US-Fernsehen, die amtierende Führungsebene im Militär wisse, dass Trump sie für politische Zwecke „missbraucht“.
Vor allem in und an der demokratisch regierten Hauptstadt, wo seit Tagen Bilder von Unruhen und Plünderungen in Steinwurfnähe des Weißen Hauses entstanden sind, will Trump ein Exempel statuieren. Um „professionellen Anarchisten“, die nach seiner Meinung hinter den Demonstrationen stecken, das Handwerk zu legen, seien „Tausende und Abertausende schwer bewaffnete Soldaten“auf dem Weg nach Washington D. C., so Trump. Als Vorgeschmack fuhren zuvor Lkw der Nationalgarde und der Militärpolizei auf das hermetisch abgeriegelte Gelände des Weißen Hauses.
Wie Trump sich das Säubern der Straße von „Kriminellen“und „Antifa“vorstellt, obwohl das Gros der Demonstranten auch in der Nacht auf Dienstag trotz Ausgangssperre friedlich protestierte, wurde während seiner in den Abendnachrichten von CNN bis MSNBC als „skandalös“und „erschütternd“qualifizierten Rede deutlich.
Am Lafayette Square gegenüber dem Weißen Haus warfen Sicherheitskräfte gegen 18.30 Uhr plötzlich gezielt Tränengas- und Blendgranaten in die Menge und vertrieben auch mittels Reiterstaffeln und Gummigeschossen Hunderte Protestler, die in Blickrichtung Machtzentrale Schlachtrufe wie „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“oder „Ich kann nicht atmen“(George Floyds letzte Worte) skandiert hatten. Die laut CNN-Moderator Anderson Cooper an „Möchtegerndiktatoren“erinnernde Aktion gehorchte Trumps Auftrag, man möge ihn (nach den Berichten über seinen Bunker-Aufenthalt) öffentlich sichtbar machen.
Was dann so endete: Begleitet von Heerscharen des Secret Service, Justizminister Bill Barr, Verteidigungsminister Mark Esper, Generalstabschef Mark Milley, Tochter Ivanka und Schwiegersohn Jared Kushner, stiefelte Trump zur nahen St.-John’s-Kirche, in der am Vorabend von Demonstranten ein Brand gelegt worden war, den die Feuerwehr löschen konnte. Vor dem mit Spanplatten verrammelten Gotteshaus, in dem seit 200 Jahren US-Präsidenten zur Seelsorge gehen, posierte Trump für die Fotografen (und seine evangelikalen Wählergruppen) zwei Minuten mit einer Bibel und zog dann wieder ab. Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser zeigte sich genauso verstimmt über diesen „PR-Stunt“wie Mariann Edgar Budde, die Bischöfin der Diözese Washington. „Ich bin empört“, sagte Budde. Trumps Botschaft stehe quer zur Kirchenlehre.
Auf weiteren Widerstand muss sich Trump gefasst machen, falls er wirklich das Militär gegen die eigene Bevölkerung in Stellung bringen sollte. Die demokratischen Gouverneure von Illinois, J.B. Pritzker, und Michigan, Gretchen Whitmer, erklärten das Ansinnen für rechtswidrig und kündigten indirekt Klage an.
Trump beruft sich dagegen auf ein aus dem Jahr 1807 stammendes Gesetz, den Insurrection Act. Danach habe der Präsident die Autorität, Soldaten in Bundesstaaten einzusetzen, die nicht selbst fähig sind, Unruhen unter Kontrolle zu bringen. Prominent wurde die Option 1992 von Präsident George Bush gezogen, als in Los Angeles der Ausnahmezustand herrschte. Anlass war der Freispruch für vier Polizisten, die den schwarzen Truck-Fahrer Rodney King krankenhausreif geschlagen hatten.