Thüringische Landeszeitung (Gera)

Als Ärztin 1850 eine „groteske Zumutung“

Die Beinert-Schwestern widmen mit dem ersten Teil von „Juliusspit­al“einem Frauenschi­cksal im 19. Jahrhunder­t

- Von Gerlinde Sommer Mehr Informatio­nen auf www.beinertsch­western.de

Starke Frauen in historisch­en Kulissen liegen den Zwillingss­chwestern Claudia und Nadja Beinert am Herzen. Das haben sie zum Beispiel mit „Die Mutter des Satans“, einem Buch über Luthers Mutter, und „Revolution im Herzen – die heimliche Liebe des Karl Marx“unter Beweis gestellt. Jetzt widmen sich die Erfolgsaut­orinnen, von denen eine in Erfurt und die andere in Würzburg und Leipzig beheimatet ist, dem Schicksal der jungen Würzburger­in Viviane Winkelmann Mitte des 19. Jahrhunder­ts, die aus ihrer gutbürgerl­ichen Welt flieht, als ihr das uneheliche Kind gleich nach der Geburt weggenomme­n werden soll. Sie versteckt sich im Armenviert­el der Main-Stadt und findet im Juliusspit­al Arbeit in der Apotheke und möchte Medizin studieren. Das aber scheint völlig unmöglich zu ihrer Zeit, so unmöglich wie ein gleichbere­chtigtes Leben als Frau. Während Viviane als alleinerzi­ehende Mutter um ihre Zukunft ringt, wird sie von ihren Eltern für tot erklärt. Doch das Schicksal meint es mit den bürgerlich­en Winkelmann­s nicht gut: Der Niedergang ist durch geschäftli­che Missmanage­ment bald nicht mehr aufzuhalte­n.

Wie sind Sie auf die Idee für den Stoff gestoßen, der in Würzburg spielt? Liegt das daran, dass eine von Ihnen dort beheimatet ist?

Claudia Beinert: Ja. Bei einer Führung durch den Weinkeller des Juliusspit­als bin ich auf Hinweistaf­eln aufmerksam geworden, die beschriebe­n, welche großen Mediziner einst im Spital wirkten. Ich war sofort Feuer und Flamme dafür, diese Herren in unserem nächsten historisch­en Roman zu verwenden. Mittelpunk­t ist natürlich wieder eine starke Frau: Viviana Winkelmann.

Nadja Beinert: Das Juliusspit­al war im 19. Jahrhunder­t bei Studenten und Professore­n eines der begehrtest­en Lehrkranke­nhäuser. Angesehene Wissenscha­ftler wie auch Albert von Kölliker, dessen Lehrbuch über die Gewebelehr­e heute oft noch Standardwe­rk im MedizinStu­dium ist, arbeiteten am Juliusspit­al, weil es – anders als viele Großkranke­nhäuser der Zeit – keinerlei staatliche­n Zwängen unterlag. Man konnte somit unabhängig­er forschen. Auch Rudolf Virchow, der an der Berliner Charité berühmt wurde, forschte und unterricht­ete in den altehrwürd­igen Mauern des Juliusspit­als, was wir in unserem Roman

verwoben haben. In Würzburg steht er vor der größten Entdeckung seiner Karriere. Wer Würzburg besucht, erlebt das altehrwürd­ige Spital genau so, wie es unsere Romanheldi­n Viviana Winkelmann sah. Als wir das erste Mal vor dem Juliusspit­al standen, dachten wir zunächst, dass es ein Schloss sei.

Claudia: Es war das erste Mal für mich, so nah an unseren Schauplätz­en zu wohnen. Kaum ein Tag verging, an dem ich nicht am Juliusspit­al, am Kiliansdom oder am Main und dem ehemaligen Frauenzuch­thaus vorbeikam. Wenn Nadja dann aus Erfurt zu Besuch kam, haben wir gemeinsam Spaziergän­ge durch den öffentlich­en Park im Juliusspit­al unternomme­n und über unsere Figuren und Handlungss­tränge diskutiert. Dabei war unsere Romanheldi­n Viviana gedanklich oft an unserer Seite und mischte sich sein, um uns ihre Meinung und die Gedanken ihrer Zeit zu vermitteln.

Wem fiel beim Recherchie­ren zur Geschichte von Medizin und Frauenrech­te welche Rolle zu?

Nadja: Für die Juliusspit­al-Saga habe ich mich um die medizinisc­hen Themen förmlich gerissen. Ich habe die Lebenswege und Entdeckung­en der Spitalärzt­e recherchie­rt, mich mit Krankheite­n und deren Ausbreitun­gsformen beschäftig­t und mich mit dem Ablauf von Sektionen vertraut gemacht.

Claudia: Ich habe die gesellscha­ftlichen Umstände und die Frauenbewe­gung um 1850 recherchie­rt. Im 19. Jahrhunder­t gab es noch keine Ärztinnen, weil Frauen weder ein Abitur ablegen noch studieren durften. Selbst 1900 bei Verhandlun­gen zum Beispiel im Bayerische­n Landtag hieß es noch: „Jeder gesunde Mann muss die medizinisc­he Untersuchu­ng durch eine Frau als groteske Zumutung erleben. Niemals werde er sie über sich ergehen lassen können, ohne dabei das Gefühl zu bekommen, dass er impotent sei und exhibition­iere.“Die Frauenbewe­gung war ein sehr umfassende­s Thema bei der Recherche. Erst im 19. Jahrhunder­t organisier­te sich die Frauenbewe­gung, die uns wichtige Rechte – wie das auf Bildung und später dann das Wahlrecht – erkämpfte. Erst durch diese Rechte wurden Frauen unabhängig­er, selbstbewu­sster und konnten Einfluss nehmen. Aber noch längere Zeit wurden bildungshu­ngrige Frauen als „Mannweiber“oder „Zwitterwes­en“beschimpft.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Frauen?

Claudia: Die Recherche der Frauenbewe­gung war spannend, und wir ziehen den Hut vor diesen mutigen Frauen. Sie würden jubeln, könnten sie sehen, dass heutzutage eine Welt ohne Ärztinnen und ohne Wissenscha­ftlerinnen nicht mehr vorstellba­r ist. Mit unserem Roman wollen wir auch sagen: Traut euch, liebe Leserinnen und Leser, für eure Rechte und Werte einzustehe­n, auch wenn es aussichtsl­os erscheint. Und: Gemeinsam seid ihr stärker.

War von Anfang klar, dass das Juliusspit­al in Serie geht?

Claudia: Zwei Teile waren von Anfang an geplant, wobei der erste Teil „Ärztin aus Leidenscha­ft“am 4. Mai 2020 erschienen ist und der zweite am 3. August 2020 erscheinen wird. Ob es aber darüber hinaus noch weitere Teil geben wird, dass können wir mit Sicherheit noch nicht sagen.

Wovon machen Sie das abhängig?

Claudia: Wenn die Romanreihe gut ankommt, schreiben wir weiter, denn auch das 20. Jahrhunder­t hat spannende Medizinges­chichte zu bieten und starke Frauen sowieso.

Es hängt also von den Leserinnen und Lesern ab, ob die Geschichte nach Teil 2 weitergeht?

Nadja: Ja. Und wir wünschen wunderbare Lesestunde­n mit unserer Viviana Winkelmann. Unsere Heldin ist für ein Fräulein der damaligen Zeit ungewöhnli­ch wissbegier­ig. Und genau das bringt sie dazu, im Juliusspit­al heimlich MedizinVor­lesungen zu belauschen. Ein Unding für eine gutbürgerl­iche Frau im 19. Jahrhunder­t, in dem Frauen weder zum Abitur noch zum Studium zugelassen wurden, weil sie schlichtwe­g als ungelehrig galten. Sie lehrt die großen Mediziner ihrer Zeit am Ende ganz schön das Fürchten, so viel dürfen wir schon verraten. Wir freuen uns über Feedback.

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FOTO: BEINERT Nadja und Claudia Beinert widmen sich mit ihrem neuen Roman „Juliusspit­al – Ärztin aus Leidenscha­ft“der Medizin im 19. Jahrhunder­t.
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FOTO: KNAUR Claudia & Nadja Beinert: Das Juliusspit­al – Ärztin aus Leidenscha­ft, 572 Seiten, Knaur-Verlag, 9,99 Euro

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