Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ausgebremst
Die Thüringer Reisebus-Branche steht seit Wochen still. Unternehmerin Jana Glaser sehnt den Neustart herbei
Jana Glaser hat eine E-Mail „mit keinem schönen Inhalt“versendet. Die Geschäftsführerin des Bus-Unternehmens Wollschläger lehnt in dem Schreiben die Unterschrift des Ausbildungsvertrages mit einem Azubi für dieses Jahr „leider“ab. „Die Ungewissheit wie es weitergeht, ist einfach zu groß“, so die Begründung.
Die ehemalige Kindergärtnerin mit späterer Qualifikation zum Betriebswirt hat das 1992 gegründete, in Laucha (Landkreis Gotha) ansässige Familienunternehmen 2001 von ihrem Vater übernommen. „Immer in Fahrt“lautet der aktuell so schwer umsetzbare Slogan der Firma, zu deren Fuhrpark 41 Busse zählen. Viele von ihnen stehen in diesen Wochen unbewegt auf dem Hof nahe der Autobahnabfahrt im Landkreis Gotha, darunter sämtliche Reisebusse. „Zum Glück haben wir noch einen funktionierenden Linienverkehr“, informiert Jana Glaser. Das rette das Unternehmen mit seinen 60 Angestellten derzeit, wobei mehr als die Hälfte in Kurzarbeit ist. Doch wie lange funktioniert das noch?
„Wer so einen Standard wie Jana Glaser nicht hat“, sagt Tilman Wagenknecht, „der ist ziemlich verloren.“Und ergänzt: „Wer nur Reisebusse besitzt, dem droht der Kollaps.“120 Busreise-Unternehmen, so der Geschäftsführer des Thüringer Omnibus-Verbandes, gebe es in Thüringen. „Für sie alle herrscht praktisch seit Mitte März Berufsverbot, nachdem 2020 so vielversprechend angelaufen war.“
Dramatische Situation
Doch dann machte sich Corona breit, Touren ins Ausland wurden wegen der weltweiten Warnung des Auswärtigen Amtes abgesagt. Auch auf innerdeutschen Strecken fuhr kein Bus mehr mit Urlaubern an Bord. „Jegliche Einnahmen blieben damit aus“, so Wagenknecht, die Branche erlebte sozusagen eine
Vollbremsung. Und auch der nun fernab von Thüringen teilweise schon erfolgte Neustart geschieht nicht nur wegen den Hygienebestimmungen unter erschwerten Bedingungen. Ein Bus müsste theoretisch an manchen Landesgrenzen Halt machen, da in den Bundesländern unterschiedliche Abstandsregeln beziehungsweise Personenobergrenzen gelten. Nicht zumutbar, so Glaser und Wagenknecht, der auch bei der deutschlandweiten Protest-Demonstration der Branche in der vergangenen Woche in Berlin dabei war.
Jana Glaser spricht für alle Busreise-Unternehmen, wenn sie die Situation als „sehr dramatisch“schildert. Sie nennt Zahlen: „Im vergangenen Jahr hatten wir 943 Fahrten mit einem Umsatz von 1,26 Millionen Euro.“2020 würde dieser angesichts von nur 112 Reisen bei etwa 66.000 Euro liegen. Klassenfahrten seien genauso abgesagt worden wie Touren durch Reiseveranstalter mit europaweiten Zielen oft weit über Deutschland hinaus. „Wir haben seit Wochen ständig mit Stornierungen zu tun.“Und sie sei dabei erschrocken, wie bürokratisch manche Hürden seien, „wenn ich da nur an die Rückzahlungen seitens des Kultusministeriums für ausgefallene Schulfahrten denke“. Auf 63.000 Euro Stornokosten wartet ihre Firma.
Dass es 2020 noch zu einer spürbaren Erholung auf dem Reisemarkt kommt, glaubt Jana Glaser nicht. „Wir hatten beispielsweise kürzlich die Anfrage einer Seniorengruppe für eine Fahrt in den Harz. Aber sollte das Hygienekonzept wie in manchen Bundesländern umgesetzt werden, müsste die Gruppe mit 69 Leuten statt einem
Bus gleich drei Busse mieten. Wer macht das?“Es müsse sich ja schließlich für alle Seiten rechnen. Glaser: „Ich habe das Jahr in der Wirtschaftsplanung jedenfalls abgeschrieben“– Tilman Wagenknecht, der mit seinem Verband ein Infektionsschutzkonzept entwickelt hat, noch nicht. Er hofft, dass auch von Thüringen aus bald wieder Reisebusse rollen. „Wir müssen Angebote machen“, sagt er. Zugleich wissend, dass eine Tour mit Mundschutz nicht den Erlebniswert wie früher hat. Und Jana Glaser fragt: „Selbst, wenn wir wieder ohne Beschränkung fahren dürfen, können wir den Menschen auch die Angst nehmen?“Die Mutter zweier Söhne, die wie ihr Mann auch im Unternehmen arbeiten, zögert mit der Antwort, um dann zuzugeben: „Nein.“
Belastende Ungewissheit
Wagenknecht befürchtet, dass manche Firma auch deshalb die Pleite droht, weil ein Verkauf der Fahrzeuge kaum möglich ist. „Bis zu 500.000 Euro kostet ein Bus. Der steht jetzt rum, ohne benutzt zu werden.“Totes Kapital. Ein Zustand, der das Gewerbe europaweit trifft.
Jana Glaser hat aktuell kein Gefühl dafür, was in den kommenden Monaten wird. „Die Ungewissheit ist so riesig und auch belastend.“Helfen, da ist sie sich mit Tilman Wagenknecht einig, können jetzt nur staatliche Zuschüsse. „Ich kann doch jetzt keinen Kredit aufnehmen, um einen Kredit zu tilgen.“
Seit zwei Jahren hat ihre Familie zwei Esel – Suleika und Umberto. Kürzlich waren sie zusammen mit den Tieren auf den Hörselbergen unterwegs. „Sie finden immer einen Weg“, sagt Jana Glaser fast ein wenig bewundernd mit neidvollem Unterton. Und sie berichtet, dass man demnächst Rennsteig-Wanderungen mit den Eseln anbieten möchte. Nicht als Ersatz oder Alternative zu den geliebten Busreisen. Nur als Ergänzung.