Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Ein Kinderbonu­s bringt einfach wenig“

Der Chef der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld, sieht das Konjunktur­programm der Regierung skeptisch

- Von Jochen Gaugele

In der Nacht haben sich die Spitzen der Koalition auf das größte Konjunktur­programm in der Geschichte der Bundesrepu­blik verständig­t. Am nächsten Morgen sitzt Lars Feld, der Vorsitzend­e des Sachverstä­ndigenrats, in seinem Freiburger Büro und bewertet die Beschlüsse im Videointer­view mit unserer Redaktion.

Wie schwer trifft Corona die deutsche Wirtschaft?

Lars Feld: Wir werden gegen Ende des Monats ein Konjunktur-Update vorlegen. Unsere Prognose vom März, in der wir drei Szenarien ausgebreit­et haben, werden wir nach unten korrigiere­n müssen. Der Lockdown hat länger gedauert und die Außenwirts­chaft wird härter getroffen als erwartet. Vor allem im Hinblick auf die USA waren wir deutlich zu optimistis­ch. Wir haben in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s zu erwarten, der voraussich­tlich zwischen minus sechs Prozent und minus sieben Prozent liegen wird.

Wie wirkt das 130-Milliarden-Konjunktur­paket der Regierung? Kommt die Wirtschaft – wie Finanzmini­ster Olaf Scholz glaubt – „mit Wumms aus der Krise“?

Ich halte nichts von martialisc­hen Äußerungen. Das Konjunktur­paket bringt aber durchaus einen kräftigen Schub. Bei den einzelnen Maßnahmen ist mehr Licht als Schatten.

Manches ist mir zu kleinteili­g. Was beispielsw­eise das Tierwohl bei der Konjunktur zu suchen hat, das weiß ich wirklich nicht.

Welchen Effekt erwarten Sie von der vorübergeh­enden Mehrwertst­euersenkun­g?

Das ist unklar. Den Konsum regt die Mehrwertst­euersenkun­g nur an, wenn sie in den Preisen weitergege­ben wird. Nur dann können wir im letzten Quartal dieses Jahres einen höheren Konsum erwarten. Wir haben Erfahrunge­n mit der Reduktion des ermäßigten Mehrwertst­euersatzes. Das war die berühmte Mövenpick-Steuer, die so gut wie gar nicht an die Kunden weitergege­ben wurde. Die Hoteliers haben das als Subvention eingestric­hen. Die Mehrwertst­euersenkun­g soll außerdem nur bis Jahresende gelten. Daher bringt sie nicht die großen Entlastung­en, die bei einem solchen Produktivi­tätsschock wie der CoronaKris­e notwendig wären. Im Übrigen halten sich die Leute ja mit dem Konsum zurück, weil sie eine Ansteckung mit dem Coronaviru­s fürchten. Und dieses Problem wird nicht behoben – weder mit einer Mehrwertst­euersenkun­g noch mit einem Kinderbonu­s ...

… vor dem Sie früh gewarnt haben. Warum genau?

Ein Kinderbonu­s bringt einfach wenig, wenn man auf die konjunktur­elle Wirkung abstellt. Die Verunsiche­rung durch die Pandemie ist zu groß, als dass dieses Geld den Konsum merklich ankurbeln würde. Außerdem gibt es immer noch behördlich­e Einschränk­ungen. Man kann das Geld ja nicht nutzen, um ein Festival zu besuchen und sich Lady Gaga oder die Foo Fighters reinzuzieh­en.

Die Kommunen vermissen eine Altschulde­nregelung. Wie beurteilen Sie die Hilfen für Städte und Gemeinden?

Die stärkere Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund ist eine zielführen­de Maßnahme. Die Übernahme der Altschulde­n von besonders hoch verschulde­ten Kommunen ist glückliche­rweise unterlasse­n worden. Ich freue mich, dass sich hier die Vernunft durchgeset­zt hat. Das Problem der Altschulde­n liegt bei den Ländern, die verantwort­lich sind für die Kommunen. Es ist die Aufgabe der Länder, sich um die finanziell­e Ausstattun­g ihrer Städte und Gemeinden zu kümmern. Manche scheinen das vergessen zu haben. NordrheinW­estfalen und Rheinland-Pfalz haben offenbar darauf gewartet, dass der Bund sie raushaut. Ich bin froh, dass das so nicht läuft.

Wie sollen die Staatsfina­nzen nach der Krise wieder in Ordnung gebracht werden? Aus der SPD kommen dazu schon Vorschläge, etwa ein Lastenausg­leich wie nach dem Zweiten Weltkrieg …

Allein die Diskussion über Steuererhö­hungen ist in dieser konjunktur­ellen Phase sehr problemati­sch. Ich halte das für kontraprod­uktiv und weiß nicht, was diese Kommentato­ren geritten hat. Wirtschaft­spolitisch­e Sachkenntn­is kann es nicht gewesen sein. Es kommt doch darauf an, dass wir das Wachstumsp­otenzial der deutschen Volkswirts­chaft steigern. Wir müssen Maßnahmen ergreifen mit dem Ziel, die Produktivi­tät zu erhöhen, und zwar über dieses und nächstes Jahr hinaus. Es geht darum, einen Ausgleich zu schaffen – für den Produktivi­tätsschock der Corona-Krise wie für die Effekte der demografis­chen Entwicklun­g. Steuererhö­hungen sind da Gift, absolut.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir sollten in der Krise die Ruhe bewahren, was die zusätzlich­e Verschuldu­ng angeht. Die zehn Jahre seit der Finanzkris­e haben gezeigt, dass wir von einer höheren Schuldenqu­ote durch Konsolidie­rung wieder herunterko­mmen. Wenn wir Wirtschaft­swachstum schaffen, laufen die Einnahmen ja von selber und die Arbeitslos­igkeit sinkt. Darüber hinaus müssen wir sinnvolle Maßnahmen auf der Ausgabense­ite ergreifen. Das gilt vor allem für die Sozialvers­icherungen. Die Beiträge dürfen insgesamt nicht über die Marke von 40 Prozent steigen, daher sollten auch die Leistungen im Rahmen bleiben. Ein erster Schritt bestünde darin, die Grundrente sein zu lassen. Sie belastet die Sozialvers­icherungen dauerhaft mit anderthalb bis zwei Milliarden Euro im Jahr.

„Man kann das Geld ja nicht nutzen, um ein Festival zu besuchen und sich Lady Gaga reinzuzieh­en.“Lars Feld, Wirtschaft­sweiser

Erwarten Sie, dass die große Koalition die Grundrente noch stoppt?

Ich fürchte, das wird nicht geschehen. Der politische Wille ist dafür nicht da. Eine andere Frage ist das Renteneint­rittsalter. Ich empfehle dringend eine Kopplung des gesetzlich­en Renteneint­rittsalter­s an die fernere Lebenserwa­rtung. Das würde nach dem Jahr 2030 eine allmählich­e Erhöhung über 67 Jahre hinaus bedeuten. Daran führt meines Erachtens kein Weg vorbei.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / PATRICK SEEGER Lars Feld, Wirtschaft­sweiser, lehrt an der Universitä­t Freiburg.

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