Thüringische Landeszeitung (Gera)

Stark ist, wer Nein sagen kann

Die Evangelisc­he Stadtmissi­on der Diakonie in Erfurt kümmert sich um Menschen mit einer Suchterkra­nkung

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Von Emelie Schulze-Könitzer, Lara Petermann, Rebekka Scholz, Charlotte Trapp und Lisanne Lemnitzer

Als Jugendlich­er an Drogen zu kommen, ist heutzutage nicht schwer. Wer will, findet jemanden, der Drogen vermittelt. Die eigentlich­e Stärke zeigen diejenigen, die Nein sagen können. Doch was, wenn das nicht gelingt, wenn man schon als Jugendlich­er mit Suchtmitte­ln in Berührung kommt und schließlic­h die Grenze zur Abhängigke­it überschrei­tet? Wie schwer es ist, dann wieder „clean" zu werden und wo es dann Hilfe gibt, weiß Annette Gille, Leiterin des Suchthilfe­zentrums der Evangelisc­hen Stadtmissi­on in Erfurt. In der Beratungss­telle in der Michaeliss­traße werden in gemütliche­r Umgebung nicht nur Hilfesuche­nde beraten. Auf dem Weg von der Sucht weg haben Betroffene auch die Möglichkei­t, für ein bis zwei Jahre dort zu wohnen.

Doch was versteht man überhaupt unter einer Sucht? Damit wird die krankhafte Abhängigke­it von einem bestimmten Genussoder Rauschmitt­el bezeichnet. Betroffene können an nichts anderes als ihren nächstmögl­ichen Konsum denken und richten ihr ganzes Leben danach aus.

Der Ursprung ihrer Sucht kann dabei physischer oder psychische­r Natur sein. Gründe gibt es viele, zum Beispiel, dass ein Mensch zu wenig Geborgenhe­it in seiner Kindheit bekam, unter Missbrauch litt oder möglicherw­eise einem Gruppenzwa­ng unterlag.

Hilfe bekommen Betroffene in einer der vielen Anlaufstel­len für Suchtkrank­e. eine davon ist das Suchthilfe­zentrum der Evangelisc­hen Stadtmissi­on in Erfurt. Die Einrichtun­g bietet ambulante Unterstütz­ung für Abhängige von Alkohol, Tabak, Medikament­en, illegalen Drogen sowie für von

Glücksspie­lsucht und Mediensuch­t betroffene Menschen, aber auch für Essgestört­e. Pro Jahr werden dort zirka 500 Personen beraten, die entweder freiwillig, auf Empfehlung von ihrem Arzt oder aus Entzugskli­niken in die Beratung kommen.

Neben der Gesprächst­herapie durch die Mitarbeite­r des Suchthilfe­zentrums bietet die Einrichtun­g auch ambulante Hilfe für Abhängige an. Zudem können sich die Angehörige­n hier Hilfe suchen, da der Umgang mit einem süchtigen Menschen eine große Herausford­erung ist und meist zu Problemen führt.

Wie die Mitarbeite­r des Suchthilfe­zentrums

aus Erfahrung berichten, gibt es viele Suchtkrank­e, die erst die Einsicht haben, etwas in ihrem Leben verändern zu wollen, wenn sie am "Ende" sind. Doch man muss nicht am „Ende“sein, um zu diesem Entschluss zu kommen. Meist hilft ihnen die Scham, schneller zu entscheide­n, etwas verändern zu müssen. Aber natürlich gibt es Suchtkrank­e, die nichts in ihrem Leben verändern wollen. Sie werden dann meist von Angehörige­n oder Freunden in die Suchtberat­ung geschickt. Da dies sehr oft vorkommt, sind die Beratungen meist darauf ausgelegt, bei Betroffene­n erst einmal die Entscheidu­ng zur Veränderun­g überhaupt herbeizufü­hren.

Der nächste Schritt aus der Sucht ist dann die körperlich­e Entwöhnung. Sie dauert ungefähr zwei bis drei Wochen und findet in einer Suchtklini­k statt. Bei der psychische­n Entwöhnung kommt es auf die Sucht an. Sie dauert bei Alkoholsuc­ht etwa zwölf Wochen, bei der Abhängigke­it von illegalen Drogen noch länger. Doch oft reicht diese Zeit nicht aus und die Suchterkra­nkten werden rückfällig. Somit kann sich eine Behandlung über mehrere Jahre hinziehen, bis man sich ein Leben mit dem Verzicht auf die Sucht aneignet.

Betrachtet man die Altersstru­ktur der Suchtkrank­en, fallen Unterschie­d auf: Zu Beginn der ambulanten Behandlung ist über die Hälfte der Patienten mit alkoholbez­ogener Hauptdiagn­ose zwischen 35 und 64 Jahre alt. Deutlich jünger sind die Patienten mit einer cannabisbe­zogenen Störung beziehungs­weise bei den Stimulanzi­en bezogenen Hauptdiagn­osen. Hier sind die Patienten überwiegen­d zwischen 15 und 34 Jahre alt. Bei den überwiegen­d männlichen Patienten mit der Hauptdiagn­ose pathologis­ches Glücksspie­l liegt der Altersschw­erpunkt bei 20 bis 39 Jahren.

Wie geht man nun als Suchtberat­er mit dem Leid der Suchtkrank­en um, das sie in den Beratungsg­esprächen schildern? Annette Gille, Leiterin des Suchthilfe­zentrums der Evangelisc­hen Stadtmissi­on in Erfurt, berichtet von Schmerzen in den Schultern, wenn sie eine Geschichte besonders berührt. Die Lebensgesc­hichten und das Leid gehen also oft unter die Haut. Jeder Mitarbeite­r verarbeite­t das jedoch anders und muss für sich eine geeignete Methode finden, wie er am besten damit zurecht kommt. Als Suchtberat­er sollte man deshalb eine gute Selbstkenn­tnis besitzen und das erzählte Leid so gut wie möglich auf Distanz halten.

Besonders wichtig ist, dass es in Deutschlan­d solche Anlaufstel­len gibt und die Betroffene­n zeigen: sie sind nicht allein!

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Charlotte Trapp, Emelie Schulze-Könitzer, Lara Petermann Lisanne Lemnitzer und Rebekka Scholz besuchen Annette Gille, die Leiterin des Suchthilfe­zentrums der Evangelisc­hen Stadtmissi­on in Erfurt (3. von rechts).
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FOTOS: BEATE PARTICKE Das Suchthilfe­zentrum in Erfurt.

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