Thüringische Landeszeitung (Gera)
Maddie – und die lange Suche nach dem Täter
Ermittlungen gegen 43-jährigen Deutschen. Staatsanwaltschaft geht von Tod des Kindes aus
Braunschweig. Es sollte ein Traumurlaub an der Algarve werden und wurde ein Albtraum: Maddie McCann, die vor 13 Jahren aus einer Ferienanlage in Portugal verschwand, ist laut deutschen Ermittlern nicht mehr am Leben. „Wir gehen davon aus, dass das Mädchen tot ist“, sagte der Braunschweiger Staatsanwalt Hans Christian Wolters. Gegen einen 43-jährigen Deutschen laufen Mordermittlungen. In der Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“sprach Christian Hoppe vom BKA Wiesbaden von einem dringenden Tatverdacht. Der Fall hatte die Menschen weltweit schockiert.
Was wissen wir über den Verdächtigen?
Der 43-jährige Verdächtige ist mehrfach wegen Sexualstraftaten auch an Kindern vorbestraft. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) lebte der Beschuldigte zwischen 1995 und 2007 regelmäßig an der Algarve, unter anderem einige Jahre in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. „Nach hier vorliegenden Erkenntnissen ging er in dieser Zeit im Raum Lagos mehreren Gelegenheitsjobs, unter anderem in der Gastronomie, nach“, teilte das BKA mit. Der 43-Jährige wurde Ende 2019 vom Landgericht Braunschweig wegen Vergewaltigung einer damals 72-jährigen Amerikanerin im Jahr 2005 in Praia da Luz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte werfe der Justiz Rechtsfehler im Auslieferungsverfahren vor. Derzeit sitzt der Mann in Kiel eine alte Haftstrafe ab, die das Amtsgericht Niebüll bereits 2011 gegen ihn verhängt hatte. Dabei war es um Handel mit Betäubungsmitteln gegangen.
Was damals geschah
Maddie verschwand kurz vor ihrem vierten Geburtstag am 3. Mai 2007 aus der Appartementanlage im portugiesischen Praia da Luz. Mutter und Vater, das britische Ärzteehepaar Kate und Gerry McCann, hatten im Restaurant, das 50 Meter von der Anlage entfernt war, mit Bekannten gegessen. Regelmäßig hatten sie nach Maddie und ihren beiden Geschwistern, den einjährigen Zwillingen, geschaut – bis die Mutter plötzlich entsetzt feststellte: Maddies Bett war leer. Vermutlich konnte der Täter durch die offene Terrassentür eindringen.
Die Spuren und die lange Suche Wochenlang drehten portugiesische Polizisten jeden Stein in dem Ferienort Praia da Luz an der Urlaubsküste Algarve um. Sie durchkämmten mit Spürhunden die Umgebung der Ferienanlage Ocean Club, aus der Madeleine verschwand. Taucher suchten den
Meeresboden vor der Küste ab. Doch Maddie blieb verschwunden. Auch die britische Polizeibehörde Scotland Yard wollte nicht aufgeben und suchte weiter. Die Polizisten durchwühlten die portugiesischen Ermittlungsakten, in der Hoffnung, doch noch eine brauchbare Spur zu finden. Sie gingen rund 9000 Hinweisen nach. Vernahmen mehr als 1000 Personen. Sie überprüften mithilfe von Interpol polizeibekannte Sexualstraftäter und Einbrecher, die sich im fraglichen Zeitraum in Portugal aufgehalten hatten. Dabei erhärtete sich die wichtigste Hypothese der britischen Fahnder: Demzufolge gilt es als wahrscheinlich, dass der oder die Täter in jenes Ferienappartement eindrangen. Die Eindringlinge verschleppten dann vermutlich Maddie.
Immer wieder tauchen neue Spuren auf. Mehrfach sind seither die Untersuchungen wieder aufgenommen worden. Durch Portugiesen, auch durch Scotland Yard, das zeitweise 30 Beamte im Einsatz hatte. Ein schottischer Geschäftsmann setzt 1,5 Millionen Euro für Hinweise aus. David Cameron, der britische Premierminister, stellt den Regierungsbeamten Clarence Mitchell zur Verfügung. Britische Polizisten nehmen immer wieder die Feriensiedlung in den Fokus. Sie untersuchen Hinweise, wonach „englisch aussehende“Männer in der Nähe waren – oder auch mal zwei Männer und eine Frau, „deutsch oder holländisch sprechende“, blonde Ausländer. Es kommt zu mehreren vorläufigen Festnahmen, denen genauso schnelle Freilassungen folgen.
Wie kam die Polizei auf die Spur
Der entscheidende Beweis fehlt den Ermittlern zwar noch, aber laut BKA handelt es sich bei der Mischung aus passenden Vorstrafen, passender Neigung und dass er sich in der Nähe aufgehalten habe, um äußerst gute Indizien. Dass der Mann vor Ort war, belege ein Telefongespräch: An dem Abend, als Maddie verschwand, soll der Verdächtige einen Anruf erhalten haben unter der Nummer +351912730680 mit portugiesischer Ländervorwahl.
Der Anruf wurde in der Region um Praia da Luz entgegengenommen. „Ermittler glauben, dass die Person, die diesen Anruf getätigt hat, ein höchst wichtiger Zeuge ist, und rufen Sie dazu auf, in Kontakt zu treten“, hieß es in der Scotland-YardMitteilung. Die Nummer des Anrufers laute + 351 916 510 683.
Welche Rolle spielten die Eltern? Einen Tag nach dem Verschwinden der Kleinen gibt es im britischen Fernsehen einen herzzerreißenden Auftritt der Eltern. An die Täter appellieren Gerry und Kate McCann: „Geben Sie uns Madeleine zurück!“Die Bevölkerung bitten sie: „Unterstützt uns bei der Suche!“Es ist der Auslöser für eine Welle der Hilfsbereitschaft. Doch schon bald gerieten die Eltern in den Fokus. Die These der Polizei lautete: Madeleine sei bei einem Unfall oder durch ein Versehen der Eltern ums Leben gekommen. Gerry und Kate McCann wollten das vertuschen und hätten das tote Mädchen nach einigen Stunden weggeschafft. Die ganze weltweite Aufmerksamkeit?
Eine einzige große Ablenkung. „Alles, was wir je wollten, ist, sie zu finden, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, erklärten Kate und Gerry McCann über ihren Sprecher.
Welche Rolle spielen die Autos?
Das BKA veröffentlichte Fotos von zwei Autos, die der Tatverdächtige an dem Abend im Mai 2007 genutzt haben könnte: einen Jaguar XJR 6, der zweite Wagen ist nach BKA-Angaben ein weiß-gelber VW T3 Westfalia mit portugiesischer Zulassung. Der VW-Bus war demnach nicht auf den Verdächtigen zugelassen. Es liegen allerdings Hinweise vor, wonach er eines dieser Fahrzeuge genutzt haben könnte, um die Tat zu begehen.
Reaktion aus der Nachbarschaft
„Er war immer ein bisschen wütend, ist die Straße schnell hoch und runter gefahren, und eines Tages, so um 2006, verschwand er ohne ein Wort“, berichtete eine Ex-Nachbarin aus Portugal dem britischen Sender Sky News. Sie half demnach beim Aufräumen der verlassenen Unterkunft. „Es war eklig“, sagte die Frau. Überall hätten kaputte Sachen wie Computer herumgelegen. In einem Müllbeutel seien Perücken und seltsame Kleidungsstücke – vielleicht für Kostümierungen – gewesen.
Aktenzeichen XY
Bereits nach einer Sendung von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“aus dem Jahr 2013 seien Hinweise auf den Deutschen eingegangen, sagte Christian Hoppe vom BKA am Mittwochabend in der ZDF-Sendung. Auch nach einem Bericht zehn Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens habe es Hinweise gegeben. Damals reichten die Informationen aber nicht für Ermittlungen oder eine Festnahme aus, wie Hoppe berichtete.