Thüringische Landeszeitung (Gera)

Gegenteil eines Zentralsta­ats

- Wolfgang Hirsch über Residenzku­ltur als Welterbe

Versailles und Schönbrunn, der Kreml in Moskau, Angkor in Kambodscha und Machu Picchu in Peru: Mit keiner dieser so überaus prächtigen – oder prächtig gewesenen – Residenzen auf der UnescoWelt­erbeliste kann irgendein Thüringer Schloss konkurrier­en. Aber gemeinsam vermögen sie’s allemal! Diesen diskreten Charme des Föderalism­us muss man historisch verstehen, um seine Dimension zu ermessen. Wie in einer Nussschale bildet die Thüringer Residenzla­ndschaft europäisch­en Geist, ja europäisch­e Hochkultur ab.

Seine Hervorbrin­gungen kennt jeder; schauen wir nur auf die berühmten Musiker, die mit Thüringer Kleinfürst­entümern verbunden waren: auf den Köstritzer Schütz, den Eisenacher Telemann, auf Eberwein in Rudolstadt, auf Liszt und die Neudeutsch­en Weimars, Max Bruch in Sondershau­sen, auf Spohr, Benda in Gotha, Brahms, Reger, von Bülow in Meiningen und natürlich auf Bach und seine Familie, die landauf, landab Prägendes hinterließ­en. Fast immer im Auftrag unserer Miniatur-Potentaten, deren wahre Größe sich in diesem immateriel­len Erbe spiegelt.

Ein extravagan­tes Bauwesen konnten die Fürsten sich indessen kaum leisten; dass trotzdem das Gros ihrer Residenzen in sehr authentisc­hem Zustand erhalten blieb, grenzt an ein Wunder. Diese Schlösser und ihre Kultur(en) bezeugen, was Föderalism­us zu leisten vermag: Es ist der Gegenentwu­rf zum Prinzip des Zentralism­us – beispielha­ft für die späte deutsche Nation und sogar für Europa.

Da fühle ich mich, da darf sich jeder von uns zu mindestens einem zweimillio­nstel Anteil als Thüringer Schlossher­r fühlen. – Jetzt aber gilt’s! Diesen Welterbe-Antrag schaffen wir nur gemeinsam, mit vereinter Kraft. Und vergessen wir nicht: Die Gründung des Freistaats Thüringen vor 100 Jahren verdanken wir dem Zusammensc­hluss all dieser Herzogtüme­r – der letztlich aus freiem Willen geschah.

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