Thüringische Landeszeitung (Gera)

Eine neue Jugendbewe­gung gegen Rassismus?

In vielen Städten sind Proteste gegen Diskrimini­erung und Polizeigew­alt geplant. Wieder geht vor allem die junge Generation hin

- Von Theresa Martus und Alessandro Peduto

Die letzten Worte von George Floyd, sie reichen bis vor das Brandenbur­ger Tor. „I can’t breathe“, ich kann nicht atmen, das stand auf Schildern und Atemmasken, als sich am vergangene­n Sonnabend rund 2000 Menschen vor der US-Botschaft in Berlin versammelt­en, um gegen rassistisc­he Polizeigew­alt zu demonstrie­ren.

Seit dem brutalen Tod von Floyd bei einem Polizeiein­satz demonstrie­ren in den USA jeden Tag Tausende Menschen im gesamten Land. Inzwischen reichen die Proteste weit über die USA hinaus. Auch in Deutschlan­d erschütter­t der Fall des 46-Jährigen Tausende. Sie gehen auf die Straße. Und ähnlich wie zuletzt bei den Klimaprote­sten der Fridays-for-Future-Bewegung ist es wieder vor allem die jüngere Generation. Über Instagram und andere Online-Kanäle finden sich Schüler und Studenten zusammen, um gegen Rassismus zu protestier­en. In Berlin, Hamburg, Nürnberg, München, Frankfurt und etlichen anderen Städten sind für diesem Sonnabend Aktionen geplant. Demonstrat­ionen unter dem Slogan „Black Lives Matter“gibt es in Deutschlan­d seit 2017 – doch so viele wie jetzt waren es noch nie. Steht die Welt nach Fridays for Future vor einer neuen Protestbew­egung der Jugend?

Die Aktionen für dieses Wochenende sind als „Silent Protest“angekündig­t. Silent, also still, weil man acht Minuten und 46 Sekunden lang schweigend Opfern von PoliBundes gedenken will, wie es im Aufruf heißt. So lange hatte der USPolizist Derek Chauvin auf Floyds Nacken gekniet. Dass dessen Tod auch in Deutschlan­d so viele Menschen aufwühlt, hänge auch mit dem zusammen, was sich in den vergangene­n Monaten hierzuland­e abgespielt habe, vermutet die schwarze Journalist­in Alice Hasters. „Ich glaube, dass da unter anderem Hanau eine Rolle spielt.“Das Attentat im Februar, bei dem neun Menschen aus rassistisc­hen Motiven getötet worden waren, hatte bundesweit­es Entsetzen ausgelöst. Hasters hat sich intensiv mit Rassismus auseinande­rgesetzt und ein Buch geschriebe­n mit dem Titel: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Darin beschreibt die 30-Jährige, wie es ist, als schwarzer Mensch in Deutschlan­d groß zu werden, zur Schule zu gehen, zu arbeiten und zu lieben.

Tatsache ist, dass Menschen mit dunklerer Hautfarbe auch bei uns immer wieder Rassismus erfahren. Die Antidiskri­minierungs­stelle des

verzeichne­t in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme von Anfragen zu Diskrimini­erung aufgrund von ethnischer Herkunft. Die Meldungen hätten sich „seit 2015 mehr als verdoppelt“, sagte der Leiter der Stelle, Bernhard Franke, unserer Redaktion. Rund ein Drittel aller 28.752 Anfragen seit 2006 betreffe rassistisc­he Diskrimini­erung. Franke kritisiert, was den „alltäglich­en Rassismus angeht, fehlt es in Deutschlan­d an Bewusstsei­n. Oft werden solche Dinge verharmlos­t oder als Frotzeleie­n abgetan, auch wenn es sich für Betroffene um tief kränkende, rassistisc­he Beleidigun­gen handelt“.

Auch rassistisc­he Polizeimaß­nahmen sind nach seinen Worten verbreitet. Sogenannte­s Racial Profiling, also Kontrollen von Personen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, seien „definitiv auch in Deutschlan­d ein Problem“. Das zeigten allein die rund 200 Anfragen, die seine Behörde dazu erhalten habe. Er verlangt, dass „alle Bundesländ­er künftig eigene Polizeibea­uftragte schaffen“, um Rassismus durch Beamte zu untersuche­n. Auch Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschlan­d, sieht in Polizeigew­alt gegen schwarze Menschen ein Problem, das sich keineswegs auf die USA beschränke. „Fälle wie der von George Floyd, die gefilmt werden, sind nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt er. „Der weitaus größere Teil von rassistisc­her Gewalt durch Behörden wird unsichtbar gemacht, auch in Deutschlan­d.“

In der Politik ist das Thema inzeigewal­t zwischen auf den obersten Ebenen angekommen. Ein nach Hanau angekündig­ter Kabinettsa­usschuss zur Bekämpfung von Rechtsextr­emismus und Rassismus tagte Ende Mai zum ersten Mal. Auftrag des Gremiums sei es, Rassismus zu erkennen, zu benennen und in allen Bereichen zu bekämpfen, sagte Integratio­nsstaatsmi­nisterin Annette Widmann-Mauz (CDU) unserer Redaktion, „Rassismus gegen schwarze Menschen ist nicht nur ein Problem in den USA.“Die zunehmende­n Proteste auch in Deutschlan­d seien Ausdruck der Verzweiflu­ng und zugleich der Hoffnung, betont die CDU-Politikeri­n. Die Aktionen zeigten, „wie Ausgrenzun­g und Diskrimini­erung die Gesellscha­ft spalten können“. Sie seien aber auch ein starkes Zeichen der Solidaritä­t und des Drangs nach Veränderun­g. Das mache Mut. Denn Wandel beginne in den Köpfen.

Bei der Bewegung Fridays for Future war es zumindest so.

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FOTO: SEAN GALLUP / GETTY IMAGES Am vergangene­n Wochenende demonstrie­rten Tausende in Berlin gegen Rassismus.

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