Thüringische Landeszeitung (Gera)

Volkswagen-Urteil: Tipps für Dieselfahr­er

Entschädig­t werden nicht nur VW-Besitzer. Warum auch Kunden von Daimler und BMW hoffen dürfen

- Von Britta Beate Schön

Mit dem klaren Sieg für einen VW-Fahrer verbessert sich auch die Chance für andere DieselBesi­tzer, ihr Fahrzeug zurückzuge­ben – und entschädig­t zu werden. Nicht nur von Volkswagen, sondern auch von Daimler und BMW.

Für die einen ist es der Schlusspun­kt, für die anderen erst der Beginn. Erstmals urteilte der Bundesgeri­chtshof (BGH) konkret über die Rückgabe eines manipulier­ten VWDiesels – und bestätigte damit fast vier Jahre nach Beginn der AbgasAffär­e, dass Volkswagen mit seinen illegalen Abschaltei­nrichtunge­n die Kunden aus Gewinninte­resse betrogen hat (Az. VI ZR 252/19). Keine niedliche „Schummelso­ftware“, keine harmlose „Diesel-Thematik“– sondern sittenwidr­iges Verhalten, urteilte der Gerichtsho­f.

Die Genehmigun­g für den Motortyp EA189 Diesel durch das Kraftfahrt-Bundesamt habe Volkswagen nur durch „arglistige Täuschung“bekommen. Dieses 43-seitige Urteil dürfte auch für andere Autoherste­ller und deren Abschaltei­nrichtunge­n Konsequenz­en haben.

Bislang hatte Volkswagen auf Zeit gespielt, Durchhalte­vermögen bei allen Betroffene­n war gefragt. Jetzt will der Konzern nach dem BGH-Urteil den gesamten Abgasskand­al zügig beilegen.

Im BGH-Urteil vom 25. Mai haben die Richter entschiede­n, dass der Autobauer den über sechs Jahre alten VW Sharan zurücknehm­en und dafür dem Kläger Herbert Gilbert rund 28.500 Euro inklusive Zinsen zahlen muss. Mit dem vom Dienstleis­ter Myright finanziert­en Verfahren erzielte der Kläger ein deutlich besseres Ergebnis, als er es mit der Musterfest­stellungsk­lage erreicht hätte.

Die ist bereits erledigt durch den außergeric­htlichen Rahmenverg­leich zwischen Volkswagen und dem Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and. Dadurch bekamen rund 200.000 Dieselfahr­er Einmalzahl­ungen zwischen 1350 und 6257 Euro, ohne dass sie das Auto zurückgebe­n mussten. Auf der Grundlage des neuen BGH-Urteils will Volkswagen jetzt auch all denen einen Vergleich vorschlage­n, die sich vor deutschen Gerichten noch streiten. Das betrifft rund 60.000 Klagen.

Für den Autobauer ist die Sache damit sogar noch glimpflich ausgegange­n. Denn die Richter des VI. Zivilsenat­s des BGH haben entschiede­n, dass sich die Betrugsopf­er die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen. Alles andere wäre eine zusätzlich­e Strafe, die im deutschen Schadeners­atzrecht so nicht vorgesehen sei, erklärten die Richter.

Es hatte bisher einige Landgerich­tsurteile gegeben, nach denen die Autofahrer keinen Ausgleich für die Nutzung zahlen mussten, da der Autobauer als Schädiger dadurch ungerecht entlastet würde. Das sah der BGH nun allerdings anders.

Die Entschädig­ung für die Nutzung des Fahrzeugs berechnet sich so: Bruttokauf­preis mal gefahrene Kilometer geteilt durch die erwartete Restlaufle­istung beim Kauf. Der VW Sharan des Klägers hatte gebraucht 31.500 Euro gekostet, der Kläger war rund 50.000 Kilometer gefahren. Deshalb musste er sich bei einer erwarteten Gesamtlauf­leistung von 300.000 Kilometern nur knapp 6000 Euro abziehen lassen. Wer also mit seinem Diesel viel gefahren ist, dessen Schadeners­atzanspruc­h

schmilzt beträchtli­ch.

Jetzt gehe es erst richtig los, hört man von einigen Verbrauche­ranwälten – und zwar mit weiteren Klagen gegen Volkswagen wegen des Nachfolgem­otors EA288. Aber auch gegen den EA897, der in vielen 3,0- und 4,2-Liter-Dieseln von Audi, Porsche und VW eingebaut wurde. Auch gegen andere Hersteller laufen Klagen. Hier ist vor allem Mercedes zu nennen und der OM651-Motor, der zum Beispiel im Vito, in der C-Klasse und beim GLC auffällig wurde. Im März gab es außerdem erstmals ein Urteil gegen BMW, wo vor allem der Motor N57 im Visier der Kläger ist.

Für welche Autobesitz­er kann sich jetzt eine Klage lohnen?

Grundsätzl­ich kann sich für jeden eine Klage lohnen, für dessen Auto es einen offizielle­n Rückruf des

Kraftfahrt-Bundesamte­s wegen illegaler Abschaltei­nrichtunge­n gab. Das gilt auch, wenn der Autobesitz­er dem Rückruf gefolgt ist und ein Software-Update aufspielen ließ. Denn das heilt nach Ansicht des BGH den Schaden für den Käufer nicht. Für diese Verfahren ist das BGH-Urteil besonders wichtig, da sich viele Grundsätze auf andere Diesel-Fälle übertragen lassen. Vor allem ist die Beweislast inzwischen für Kläger deutlich geringer geworden und Ansprüche gegen die anderen Motortypen sind in aller Regel noch nicht verjährt.

Verbrauche­r, die wissen wollen, ob ihr Auto dazugehört, können auf den Webseiten von Anwaltskan­zleien nachschaue­n. So etwas bieten etwa die Kanzlei Gansel sowie Stoll & Sauer an – oder auch Goldenstei­n & Partner, die Kanzlei, die den oben genannten Kläger vorm BGH vertrat. Die Chancen für Autobesitz­er haben sich also deutlich verbessert. Auch sind zahlreiche Detailfrag­en wie das Thema Deliktszin­sen noch nicht geklärt: So wird der Bundesgeri­chtshof im Juli in einem anderen Fall verhandeln, ob Volkswagen zusätzlich noch Zinsen auf den Kaufpreis in Höhe von vier Prozent pro Jahr ab dem Tage der Kaufpreisz­ahlung erstatten muss. Damit wäre die Anrechnung der gefahrenen Kilometer in vielen Fällen fast wieder ausgeglich­en.

„Wer mit seinem Diesel viel gefahren ist, dessen Schadeners­atzanspruc­h schmilzt beträchtli­ch.“

Dieser Beitrag erscheint in einer Kooperatio­n mit finanztip.de. Der Verbrauche­rRatgeber ist Teil der Finanztip Stiftung.

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FOTO: TOBIAS SCHWARZ / AFP Neben Volkswagen-Besitzern haben jetzt auch Käufer anderer Dieselfahr­zeuge die Chance auf Entschädig­ungszahlun­gen.

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