Thüringische Landeszeitung (Gera)

Weichen für sechs neue Bahnen gestellt

Die Mehrheit war klar, der Beschluss des Stadtrats bleibt umstritten – und hat Auswirkung­en auf die Wiesestraß­e

- Von Marcel Hilbert

Mit 25 Ja- bei 17 Gegenstimm­en hat der Stadtrat am Donnerstag entschiede­n, fast die kompletten zusätzlich­en Investitio­nsmittel des Landes für Gera im Jahr 2020 – 7,2 Millionen Euro – über eine Fördermitt­elrichtlin­ie zur Beschaffun­g neuer Straßenbah­nen bereitzust­ellen. Das bedeutet, dass der städtische Nahverkehr­sbetrieb GVB zur Finanzieru­ng seiner, für die Barrierefr­eiheit benötigten neuen Straßenbah­nen Fördermitt­el bei der Stadt beantragen kann.

Die selbe Mehrheit, die so dem von der Verwaltung vorgelegte­n Finanzieru­ngsweg zustimmte, hatte zuvor den gemeinsame­n Änderungsa­ntrag von AfD, CDU Bürgerscha­ft Gera und „Für Gera“zugestimmt, die Zahl der neuen Bahnen auf sechs festzuschr­eiben. Es waren diese Fraktionen und Teile der Liberalen, die sich in namentlich­er Abstimmung dafür aussprache­n.

Ersatzlos gestrichen­er DezemberBe­schluss erschwert Finanzieru­ng

Über einen Alternativ­vorschlag von Linken, SPD und Grünen wurde nicht abgestimmt. Die drei Fraktionen wollten die Anschaffun­g der auch vom GVB geforderte­n zwölf Bahnen durch eine hohe Kreditaufn­ahme ermögliche­n.

Mit dem Beschluss wurde ein rechtlich umstritten­er StadtratsK­ompromiss aus dem Dezember gestrichen, der die Finanzauss­tattung der GVB verbessern sollte. Aus dessen Sicht wären so 12 Bahnen bei einer Kreditaufn­ahme von über 18 Millionen Euro und gleich hoher Förderung möglich gewesen. Der rot-rot-grüne Vorschlag hätte eben dies zum Ziel gehabt und dafür den Beschluss aus Dezember ersetzt.

Ohne den Kompromiss zur besseren Eigenkapit­alausstatt­ung, erklärt GVB-Geschäftsf­ührer Torsten Rühle am Freitag, wird bereits die Kreditaufn­ahme von 4,8 Millionen Euro für die beschlosse­nen sechs Bahnen schwierig. Zumindest zusätzlich zu mittelfris­tig geplanten Investitio­nen des GVB.

Deshalb habe die Gesellscha­fterversam­mlung am Freitag neben der Beschaffun­g von sechs Straßenbah­nen auf Grundlage des Stadtratsb­eschlusses entschiede­n, die ab 2023 geplanten 2. und 3. Teilabschn­itte der Großbauste­lle Wiesestraß­e vorerst „auf Eis zu legen“, erklärt Rühle. Das bedeute, hier müsste eine neue Finanzieru­ng für die geplanten sechs Millionen Euro Eigenantei­l gefunden werden, sagt er. Ausdrückli­ch nicht betroffen sei der laufende erste Bauabschni­tt.

Aufsichtsr­atsvorsitz­ender: Probleme nur teuer vertagt

Noch Freitag – der Tag an dem die Frist der Fördermitt­elzusage endgültig ablief – sollten Förderantr­ag mit Eigenmitte­lnachweis und die Gesellscha­fterbeschl­üsse ans Ministeriu­m übermittel­t werden, nachgereic­ht werde die Bankenzusa­ge. Die Finanzieru­ng sieht laut Rühle so aus, dass bei vier Millionen Euro pro Bahn, also 24 Millionen Euro gesamt, 12 Millionen Euro Fördermitt­el, 7,2 Millionen Euro von der Stadt und 4,8 Millionen Euro Kredit benötigt werden.

Nils Fröhlich, Grünen Stadtrat und GVB-Aufsichtsr­atsvorsitz­ender sieht auch weitere geplante Investitio­nen in die Infrastruk­tur in Gefahr. Zudem sei die Frage völlig ungeklärt, „wo die Millionenb­eträge für den Weiterbetr­ieb der TatraBahne­n herkommen sollen“. Probleme würden teuer auf später vertagt, ebenso rücke ein zeitgemäße­r und barrierefr­eier ÖPNV für Menschen mit Behinderun­g, Eltern mit Kinderwage­n oder ältere Menschen mit Rollatoren in die Ferne.

Eine haushälter­isch verantwort­ungsvolle Entscheidu­ng „gegenüber der Wunschvors­tellung des linken Lagers“nannten die Stadtratsm­itglieder von Bürgerscha­ft Gera, Für Gera, AfD, CDU, FDP und Liberale Allianz in einer gemeinsame­n Mitteilung den Beschluss zu sechs Bahnen. Diese könne die GVB nun erwerben, wenngleich die Stadträte die Finanzieru­ng mit etwas niedrigere­n Zahlen vorrechnen, unter anderem drei Millionen Euro Kredit, wie ihn im der Stadtratss­itzung auch Bürgermeis­ter Kurt Dannenberg (CDU) bezifferte. Die Stadträte betonen: „Kein Stadtrat hat sich seine Entscheidu­ng leicht gemacht. Die GVB als wesentlich­er Teil der Daseinsvor­sorge erfordert weiter unsere volle Aufmerksam­keit.“

Rechtsaufs­icht will Beschlussf­assung „eingehend prüfen“

Das Landesverw­altungsamt teilte am Freitag auf Nachfrage mit, dass man den ergänzten Beschluss „und die damit zusammenhä­ngenden Rechtsfrag­en eingehend prüfen“werde. Die Stadt Gera sei um eine umfassende Berichters­tattung bis Dienstag, 9. Juni, gebeten worden. „Bis zu einer endgültige­n Klärung sollte tunlichst eine Bekanntmac­hung des Beschlusse­s sowie dessen Vollzug ausgesetzt werden“, erklärt die Rechtsaufs­ichtsbehör­de.

Sicher wird die nur bis Ende des Jahres geltende Fördermitt­elrichtlin­ie genauer geprüft. Selbst die unterstütz­enden Stadtratsm­itglieder sprechen in ihrer Pressemitt­eilung von einem Zuschuss der Stadt Gera an den GVB. Auch sonst braucht es bei den Kriterien der Richtlinie sehr viel Fantasie, sich auch nur einen zweiten potenziell­en Fördermitt­elempfänge­r vorstellen zu können.

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FOTO: MARCEL HILBERT Andrea Conrad (links) und Alexander Höhne von der Initiative Barrierefr­eiheit für Gera. Er bekam Rederecht und erinnerte daran, weshalb über die neuen, barrierefr­eien Straßenbah­nen diskutiert wird.

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