Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Wir haben Glück gehabt“
Innenminister Horst Seehofer über die Pandemie, die Rückkehr in die Fußballstadien und das Hoch von Markus Söder
Der Minister empfängt im Besprechungssaal, nimmt mit doppeltem Sicherheitsabstand am Tisch Platz. Horst Seehofer trägt keine Maske, obwohl er seit einer Herzerkrankung als gefährdet gilt. Auf dem Tisch steht für jeden eine kleine Brotzeit. So viel bayerische Gastlichkeit muss trotz Abstandsregeln sein.
Herr Minister, die Grenzen sind geöffnet, die Reisewarnung wurde zum Teil aufgehoben. Machen Sie sich Sorgen, dass es zu einer zweiten Welle von Corona kommt? Horst Seehofer:
Ich bin zuversichtlich und hoffe, dass es keine zweite Welle geben wird. Die Zahl der Infizierten und der Todesfälle in Deutschland liegt im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Stand, weil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Vorsichtsmaßnahmen sehr diszipliniert beachtet hat. Wir haben Glück gehabt. Darüber können wir uns freuen, ich tue es auch.
Die Bundesliga hat die ersten Spiele ohne Publikum hinter sich. Wann können Zuschauer wieder ins Stadion gehen?
Jetzt lassen Sie die Fußballer mal die laufende Saison zu Ende spielen. Ich habe schon die Zuversicht im Herzen, dass wir in der neuen Saison nach und nach wieder Publikum zulassen können. Nicht sofort, nicht wie vor dem Corona-Ausbruch, aber mit reduzierten Zuschauerzahlen und so, dass die Abstände zwischen den Stadionbesuchern eingehalten werden. Wir werden hier –wie in anderen Bereichen auch – kluge Lösungen finden, bei denen wir Lebensfreude und Infektionsschutz miteinander vereinen.
Virologen wie Christian Drosten, aber auch Politiker bekommen Drohungen, Verschwörungstheoretiker gehen auf die Straße. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Extremisten den Protest kapern?
Sie versuchen es, das sehen wir. Aber weder Links- noch Rechtsextremisten prägen den Protest. Wir beobachten stattdessen, dass die Bevölkerung sich nicht instrumentalisieren lässt. Das ist ein sehr beruhigender Befund und zeugt von der Aufgeklärtheit der Menschen in unserem Land.
Die Pandemie wird uns das Jahr begleiten. Was sind die Mittel und Methoden, in die Sie Hoffnung setzen? Ist es die Corona-App?
Die Corona-App ist ein kleiner Beitrag auf freiwilliger Basis, um Kontakte zurückverfolgen zu können und damit die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Am wichtigsten ist ein Impfstoff. Es heißt, das könne bis Jahresende gelingen. Ich habe die Hoffnung, dass es vielleicht auch schneller geht. Und ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bürger geimpft werden möchte. Ich bin nicht dafür, eine Impfung vorzuschreiben.
Geht das Corona-Krisenmanagement auf Kosten Ihrer ureigenen Aufgabe – der inneren Sicherheit? Wieso kommt das neue Verfassungsschutzgesetz nicht voran?
Bei uns sind sämtliche Arbeiten weitergegangen, parallel zur Corona-Krise. Ich habe sehr schwierige
Verhandlungen mit der SPD hinter mir. Die SPD ist bereit, dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse zu geben, um eine laufende verschlüsselte Telekommunikation zu überwachen, die sogenannte Quellen-TKÜ. Aber die SPD will die OnlineDurchsuchung von Festplatten oder Computern nicht mittragen. Jetzt können Sie als Minister sagen: Ich mache nichts. Oder ich setze um, was politisch möglich ist. Wir haben uns in der Union entschieden, das neue Verfassungsschutzgesetz ins Kabinett einzubringen, mit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung, aber ohne OnlineDurchsuchung.
Der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke ist ein Jahr her. Inwieweit hat er ihren Blick auf den Rechtsextremismus verändert?
Seit ich in der Politik bin, bekämpfe ich den Rechtsextremismus. Dem Phänomen ist in der Vergangenheit oft nicht genug Beachtung geschenkt worden. Aber ich halte es für unsere momentan größte Bedrohung und habe dafür gesorgt, dass die Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse und Personal erhalten haben, 600 zusätzliche Stellen für den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt allein für die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Wir haben in Deutschland über 12.000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Das ist meine größte Sorge. Die Sicherheitsbehörden achten sehr aufmerksam auf diesen Bereich. Sie haben jetzt mehr Ressourcen und optimieren ihre Methoden. Auch damit erklärt sich, dass die Zahl der als rechtsextreme Gefährder eingestuften Personen deutlich gestiegen ist.
Der Staat gibt Milliarden für eine Mehrwertsteuersenkung aus, die den Leuten nur etwas bringt, wenn alle Preise gesenkt werden. Andernfalls wird das eine staatlich finanzierte Preiserhöhungsorgie.
Das Wirtschaftsförderprogramm ist ein großes Werk. Es zeigt, dass die Koalition, die viele schon abgeschrieben hatten, erst bei der Bewältigung der Corona-Krise auf dem Zenit ihres Schaffens ist. Ich habe in 50 Jahren in der Politik viele Förderprogramme erlebt: Das ist das bislang beste, weil es zum Beispiel mit dem Kinderbonus die Kaufkraft stärkt. Und ich vertraue darauf, dass alle sich wie der Verband der Automobilhersteller dazu verpflichten, die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weiterzugeben.
Sie kommen aus einem Autostandort, Ingolstadt. Wird es Jobs kosten, nichts für den Absatz von modernen Verbrennungsmotoren getan zu haben?
Wir haben mit dem Kurzarbeitergeld viele Jobs geschützt und schützen sie noch heute. Die Absenkung der Mehrwertsteuer kurbelt den Absatz bei allen Fahrzeugen an. Dass wir den Schwerpunkt der Förderung auf Elektro- und Hybridautos legen, hat damit zu tun, dass wir ein Klimaziel zu erfüllen haben. Das ist für künftige Generationen ebenso wichtig. Deshalb war es richtig, die Prämien für den Kauf von Elektround Hybridautos zu erhöhen.
Mehr Schubkraft gab es im Zuge der Corona-Krise jedenfalls für die Union, gerade für die CSU. Was fängt Ihre Partei damit an?
Die Umfragen zeigen, dass das Potenzial der Union um die 40 Prozent liegt. Darüber freue ich mich. Ich würde die Zahlen trotzdem nicht überhöhen. Sie sind das Produkt eines guten Krisenmanagements und können sich ändern, wenn die Krise wieder in den Hintergrund rückt.
Hätten Sie das gedacht – Markus Söder der beliebteste Politiker Deutschlands?
Wir alle in der CSU freuen uns über die aktuelle Zustimmung. Solche persönlichen Anerkennungswerte hängen aber immer auch ein Stück weit von einem Thema, einer spezifischen Situation ab. Das Krisenmanagement hat Markus Söder sehr gut gemacht. Aber es ist wichtig, dass wir auf diesem Niveau weitermachen. Dann können wir das stabilisieren.
„Am wichtigsten ist ein Impfstoff.“Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister