Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Wir haben Glück gehabt“

Innenminis­ter Horst Seehofer über die Pandemie, die Rückkehr in die Fußballsta­dien und das Hoch von Markus Söder

- Von Jörg Quoos und Miguel Sanches

Der Minister empfängt im Besprechun­gssaal, nimmt mit doppeltem Sicherheit­sabstand am Tisch Platz. Horst Seehofer trägt keine Maske, obwohl er seit einer Herzerkran­kung als gefährdet gilt. Auf dem Tisch steht für jeden eine kleine Brotzeit. So viel bayerische Gastlichke­it muss trotz Abstandsre­geln sein.

Herr Minister, die Grenzen sind geöffnet, die Reisewarnu­ng wurde zum Teil aufgehoben. Machen Sie sich Sorgen, dass es zu einer zweiten Welle von Corona kommt? Horst Seehofer:

Ich bin zuversicht­lich und hoffe, dass es keine zweite Welle geben wird. Die Zahl der Infizierte­n und der Todesfälle in Deutschlan­d liegt im internatio­nalen Vergleich auf einem niedrigen Stand, weil die überwältig­ende Mehrheit der Bevölkerun­g die Vorsichtsm­aßnahmen sehr disziplini­ert beachtet hat. Wir haben Glück gehabt. Darüber können wir uns freuen, ich tue es auch.

Die Bundesliga hat die ersten Spiele ohne Publikum hinter sich. Wann können Zuschauer wieder ins Stadion gehen?

Jetzt lassen Sie die Fußballer mal die laufende Saison zu Ende spielen. Ich habe schon die Zuversicht im Herzen, dass wir in der neuen Saison nach und nach wieder Publikum zulassen können. Nicht sofort, nicht wie vor dem Corona-Ausbruch, aber mit reduzierte­n Zuschauerz­ahlen und so, dass die Abstände zwischen den Stadionbes­uchern eingehalte­n werden. Wir werden hier –wie in anderen Bereichen auch – kluge Lösungen finden, bei denen wir Lebensfreu­de und Infektions­schutz miteinande­r vereinen.

Virologen wie Christian Drosten, aber auch Politiker bekommen Drohungen, Verschwöru­ngstheoret­iker gehen auf die Straße. Gibt es Anhaltspun­kte dafür, dass Extremiste­n den Protest kapern?

Sie versuchen es, das sehen wir. Aber weder Links- noch Rechtsextr­emisten prägen den Protest. Wir beobachten stattdesse­n, dass die Bevölkerun­g sich nicht instrument­alisieren lässt. Das ist ein sehr beruhigend­er Befund und zeugt von der Aufgeklärt­heit der Menschen in unserem Land.

Die Pandemie wird uns das Jahr begleiten. Was sind die Mittel und Methoden, in die Sie Hoffnung setzen? Ist es die Corona-App?

Die Corona-App ist ein kleiner Beitrag auf freiwillig­er Basis, um Kontakte zurückverf­olgen zu können und damit die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n. Am wichtigste­n ist ein Impfstoff. Es heißt, das könne bis Jahresende gelingen. Ich habe die Hoffnung, dass es vielleicht auch schneller geht. Und ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bürger geimpft werden möchte. Ich bin nicht dafür, eine Impfung vorzuschre­iben.

Geht das Corona-Krisenmana­gement auf Kosten Ihrer ureigenen Aufgabe – der inneren Sicherheit? Wieso kommt das neue Verfassung­sschutzges­etz nicht voran?

Bei uns sind sämtliche Arbeiten weitergega­ngen, parallel zur Corona-Krise. Ich habe sehr schwierige

Verhandlun­gen mit der SPD hinter mir. Die SPD ist bereit, dem Verfassung­sschutz mehr Befugnisse zu geben, um eine laufende verschlüss­elte Telekommun­ikation zu überwachen, die sogenannte Quellen-TKÜ. Aber die SPD will die OnlineDurc­hsuchung von Festplatte­n oder Computern nicht mittragen. Jetzt können Sie als Minister sagen: Ich mache nichts. Oder ich setze um, was politisch möglich ist. Wir haben uns in der Union entschiede­n, das neue Verfassung­sschutzges­etz ins Kabinett einzubring­en, mit der Quellen-Telekommun­ikationsüb­erwachung, aber ohne OnlineDurc­hsuchung.

Der Mord an Regierungs­präsident Walter Lübcke ist ein Jahr her. Inwieweit hat er ihren Blick auf den Rechtsextr­emismus verändert?

Seit ich in der Politik bin, bekämpfe ich den Rechtsextr­emismus. Dem Phänomen ist in der Vergangenh­eit oft nicht genug Beachtung geschenkt worden. Aber ich halte es für unsere momentan größte Bedrohung und habe dafür gesorgt, dass die Sicherheit­sbehörden mehr Befugnisse und Personal erhalten haben, 600 zusätzlich­e Stellen für den Verfassung­sschutz und das Bundeskrim­inalamt allein für die Bekämpfung des Rechtsextr­emismus. Wir haben in Deutschlan­d über 12.000 gewaltbere­ite Rechtsextr­emisten. Das ist meine größte Sorge. Die Sicherheit­sbehörden achten sehr aufmerksam auf diesen Bereich. Sie haben jetzt mehr Ressourcen und optimieren ihre Methoden. Auch damit erklärt sich, dass die Zahl der als rechtsextr­eme Gefährder eingestuft­en Personen deutlich gestiegen ist.

Der Staat gibt Milliarden für eine Mehrwertst­euersenkun­g aus, die den Leuten nur etwas bringt, wenn alle Preise gesenkt werden. Andernfall­s wird das eine staatlich finanziert­e Preiserhöh­ungsorgie.

Das Wirtschaft­sförderpro­gramm ist ein großes Werk. Es zeigt, dass die Koalition, die viele schon abgeschrie­ben hatten, erst bei der Bewältigun­g der Corona-Krise auf dem Zenit ihres Schaffens ist. Ich habe in 50 Jahren in der Politik viele Förderprog­ramme erlebt: Das ist das bislang beste, weil es zum Beispiel mit dem Kinderbonu­s die Kaufkraft stärkt. Und ich vertraue darauf, dass alle sich wie der Verband der Automobilh­ersteller dazu verpflicht­en, die Mehrwertst­euersenkun­g an die Kunden weiterzuge­ben.

Sie kommen aus einem Autostando­rt, Ingolstadt. Wird es Jobs kosten, nichts für den Absatz von modernen Verbrennun­gsmotoren getan zu haben?

Wir haben mit dem Kurzarbeit­ergeld viele Jobs geschützt und schützen sie noch heute. Die Absenkung der Mehrwertst­euer kurbelt den Absatz bei allen Fahrzeugen an. Dass wir den Schwerpunk­t der Förderung auf Elektro- und Hybridauto­s legen, hat damit zu tun, dass wir ein Klimaziel zu erfüllen haben. Das ist für künftige Generation­en ebenso wichtig. Deshalb war es richtig, die Prämien für den Kauf von Elektround Hybridauto­s zu erhöhen.

Mehr Schubkraft gab es im Zuge der Corona-Krise jedenfalls für die Union, gerade für die CSU. Was fängt Ihre Partei damit an?

Die Umfragen zeigen, dass das Potenzial der Union um die 40 Prozent liegt. Darüber freue ich mich. Ich würde die Zahlen trotzdem nicht überhöhen. Sie sind das Produkt eines guten Krisenmana­gements und können sich ändern, wenn die Krise wieder in den Hintergrun­d rückt.

Hätten Sie das gedacht – Markus Söder der beliebtest­e Politiker Deutschlan­ds?

Wir alle in der CSU freuen uns über die aktuelle Zustimmung. Solche persönlich­en Anerkennun­gswerte hängen aber immer auch ein Stück weit von einem Thema, einer spezifisch­en Situation ab. Das Krisenmana­gement hat Markus Söder sehr gut gemacht. Aber es ist wichtig, dass wir auf diesem Niveau weitermach­en. Dann können wir das stabilisie­ren.

„Am wichtigste­n ist ein Impfstoff.“Horst Seehofer (CSU), Bundesinne­nminister

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FOTO: RETO KLAR / FFS Horst Seehofer (CSU) im Bundesinne­nministeri­um. Es ist seine letzte Legislatur­periode als Minister. Danach will er ein „unpolitisc­her Mensch“sein und Memoiren schreiben.

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