Thüringische Landeszeitung (Gera)
Über Hautfarbe
Hey?“fragt Jack, als wir uns am Abend zum Rauchen im Bibliothekszimmer der Ranch einfinden, „reiten wir Vier ein zur Demo am 28. August?“– „An Goethes Geburtstag?“frage ich. „Plant die Klassik-Stiftung ein Reenactment-Schauspiel, wie der Dichter das Licht der Welt erblickte, auf dem Theaterplatz?“– „Quatsch!“faucht der Alte. Dann nehmen seine Augen wässrigen Glanz an, er erhebt seine Stimme zu prophetischem Singsang: „Ei häff ä drihm!“
Er kniet andächtig und reckt die Faust zur Decke. Dann gibt er Zigarillos aus, nebst der Erklärung: „Am 28. August 1963 hielt Martin Luther King seine berühmte Rede vorm Lincoln Memoriäl in Washington Dissih. Und zum Jahrestag treffen wir schwarzen Panther uns dort, um George Lloyds zu gedenken!“– „Okay, ein Massenauflauf für ein Opfer des behördlichen Rassismus“, sage ich. „Muss man, um teilzunehmen, nicht von Kopf bis Fuß so schwarz sein wie du?“– „Quatsch!“faucht der Graukopf. „Hautfarbe spielt gar keine Rolle. Selbst Goethe würde da hingehen, wenn er noch könnte!“
Prompt hält Jack einen Vortrag über Rassismus. Dass wir allesamt – menschheitsgeschichtlich gesehen – einen afrikanischen Migrationshintergrund haben, dass die Wissenschaft genetische Merkmale für Rassen nicht zu identifizieren vermag und dass Hautfarbe bloß eine Klimaanpassung ist. „Ihr Bleichlinge kriegt in den gemäßigten Zonen sonst nicht genug Sonnenlicht für den Stoffwechsel ab.“
„Okay“, bestätigt Bill, „alle Menschen werden Brüder. Das ist wohl die Botschaft der Gene!“– „Ganz recht“, so Jack, „und die Diskriminierung von Minderheiten nur ein mathematisches Problem.“Wir jubeln: „Auf nach Washington!“Jack sagt: „Danke. Dafür habt ihr euch ‘nen Negerkuss redlich verdient.“Er spitzt die Lippen; wir gehen auf 1,5 Meter Abstand. Doch der Alte zieht lachend eine Schachtel Mohrenköpfe hervor. In der Matte liegen elf braune Schokoküsse und ein weißer. Den schnappt Jack sich persönlich – und verzehrt ihn mit großem Genuss.