Thüringische Landeszeitung (Gera)
Unterwegs zum Welterbe
Thüringen stellt für seine Schlösser und Residenzkultur nun einen Antrag
Mitten hinein in die harsche Debatte über die geplante „Kulturstiftung Mitteldeutschland Schlösser und Gärten“(KMSG) platzt die Nachricht, dass die Landesregierung einen UnescoWelterbeantrag für die Thüringer Residenzkultur stellen will. Die entsprechende Nachfrage unserer Zeitung bestätigte eine Sprecherin der Staatskanzlei am späten Donnerstagabend. Schon die Einleitung des komplizierten Verfahrens bedeutet einen Adelsschlag für die hiesige Schlösserwelt – und klar ist damit ebenfalls, dass sie in Zukunft keinesfalls vom sachsen-anhaltinischen Halle aus verwaltet, gestaltet und vermarktet werden kann.
Es scheint, als habe Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) endlich erkannt, welches Format diese vielfältige, in unvergleichlicher Dichte über fünf Jahrhunderte hinweg gewachsene Kulturlandschaft in Wahrheit besitzt. Sie hat nicht nur Kunstwerke von Weltrang in der Literatur, der Musik, im Theater sowie in der bildenden und der Baukunst hervorgebracht, sondern sie steht so ebenfalls mit enormem Symbolwert für die Leistungskraft des Föderalismus: für den unerbittlich freundschaftlichen Wettbewerb unter den Thüringer Kleinfürstentümern, welches von ihnen das kulturvollste weit und breit sei. Dieser Wettbewerb kennzeichnet letztlich auch die Erfolgsgeschichte der verspäteten deutschen Nation und kaum minder die des im Weltmaßstab ebenfalls politisch kleinteilig strukturierten europäischen Kontinents. Thüringen als Modell für ein zur Union gereiftes Europa? – Lässt man das leidige Kriegswesen weg, werden die Parallelen erkennbar.
Professor Helmut-Eberhard Paulus, der frühere Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, hat es vor Jahren mal im Hof von Schloss Wilhelmsthal beispielhaft erklärt: Hierher, in ihre romantisch gelegene Sommerresidenz vor den Toren Eisenachs, haben die Sachsen-Weimarer mitunter ihre Nachbarn, die Sachsen-Meininger, eingeladen. Deren Sommerfrische auf Schloss Altenstein lag bloß eine kurze Kutschfahrt entfernt. Und um zu imponieren, so erzählte es Paulus, „ließen sie zur Klavier-Soiree Herrn Liszt antanzen“. Indessen die Meininger sich beim Gegenbesuch auf Altenstein keine Blöße erlaubten und Herrn Brahms präsentierten. Jahrelang hat Paulus wie ein einsamer Rufer in der Wüste auf das Welterbe-Potenzial des hiesigen Residenzen-Ensembles in seiner Gesamtheit, als „Schatzkammer Thüringen“, hingewiesen. Inzwischen im Ruhestand, dürfte er nun späte Genugtuung genießen.
Aus Rudolstadt kommt die Grundlage für den Unesco-Antrag
Die Fäden zu spinnen, liegt vorerst in der Hand seiner Nachfolgerin. Doris Fischer bestätigte gestern auf Nachfrage, dass durch die Schlösserstiftung in Rudolstadt „eine erste Diskussionsgrundlage“für den
Welterbeantrag erarbeitet werde. Mehr nicht. Sie nimmt zweifellos die Chance wahr, konstruktiv um ihre Position und den Erhalt der gut funktionierenden, doch bislang schlecht finanzierten Stiftung zu kämpfen. Käme es zum KMSGStaatsvertrag in der heftig kritisierten, weil in der Staatskanzlei zu Magdeburg vorformulierten Façon, so würde die Stiftung in Rudolstadt mitsamt dem Gros der hiesigen Schlösser nach Halle wegfusioniert; es bliebe bloß ein Verwaltungssitz mit Baudirektion übrig.
Doch Fischer hält sich in dieser diplomatischen Zwickmühle verständlicherweise bedeckt. Dem Vernehmen nach ist man seit der Osterzeit mit Vorarbeiten am Unesco-Antrag zugange. Was anderswo Monate, mitunter Jahre dauert, muss hier binnen weniger Wochen geschehen. Der Landeskonservator und die Staatskanzlei müssen das Papier mittragen und vertreten; eine Schar unabhängiger Experten, darunter etwa die Historische Kommission Thüringens, wird konsultiert. Noch in diesem Sommer soll das geschehen sein, um das Papier fristgerecht zur Kultusministerkonferenz (KMK) im September vorzulegen.
Das Votum der Kultusminister stellt de facto die nationale Bedeutung fest
Dann kommt es zur ersten Nagelprobe: Empfiehlt die KMK die Thüringer Residenzkultur für die sogenannte Tentativliste der Deutschen Unesco-Kommission, so entspräche dies de facto einer Anerkennung als Kulturerbe von nationaler Bedeutung. Das würde auch den direkten Weg für eine Bundesförderung der hiesigen Schlösser frei machen. Jedes Bundesland kann für die Tentativliste zwei Vorschläge einreichen. Der zweite aus Thüringen betrifft die Alte Synagoge und Mikwe in Erfurt – und ist bereits einmal gescheitert. In Konkurrenz dazu stehen derzeit die „SchUM“Städte Speyer, Worms und Mainz mit ihrem jüdischen Erbe, die Schlösser König Ludwigs II. in Bayern und die Residenz in Schwerin.
Im positiven Fall greift danach der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) in das Spiel ein. Diese nichtstaatliche Organisation entsendet hochkarätige Gutachter, um Kandidaten auf Herz und Nieren im Auftrag des Unesco-Welterbekomitees zu prüfen. Und dieses höchste Gremium in Paris entscheidet im Herbst 2021, wer die zurzeit 1121 Stätten in 167 Ländern umfassende Liste bereichert. Zuletzt wurde die Montanregion Erzgebirge aufgenommen, Thüringen ist mit der Wartburg, der Weimarer Klassik und dem Bauhaus vertreten.
So bürokratisch es scheint, ist das Verfahren allerdings nicht. Sondern es verlangt den Akteuren vor Ort unentwegt Arbeit ab. Denn maßgeblich für den Erfolg ist ein Managementplan, wie die potenzielle Welterbestätte profiliert und internationalen Besuchern erschlossen werden soll. Das bedeutet für die Thüringer Residenzkultur, dass die Träger der Liegenschaften, deren denkmalfachliche Betreuer samt den musealen Nutzern koordiniert und mit aller Kraft am selben Strang ziehen müssen. Augenhöhe mit Versailles hat keiner von ihnen. Nur gemeinsam – so heißt jetzt das Signal – können sie’s schaffen.