Thüringische Landeszeitung (Gera)

Unterwegs zum Welterbe

Thüringen stellt für seine Schlösser und Residenzku­ltur nun einen Antrag

- Von Wolfgang Hirsch

Mitten hinein in die harsche Debatte über die geplante „Kulturstif­tung Mitteldeut­schland Schlösser und Gärten“(KMSG) platzt die Nachricht, dass die Landesregi­erung einen UnescoWelt­erbeantrag für die Thüringer Residenzku­ltur stellen will. Die entspreche­nde Nachfrage unserer Zeitung bestätigte eine Sprecherin der Staatskanz­lei am späten Donnerstag­abend. Schon die Einleitung des komplizier­ten Verfahrens bedeutet einen Adelsschla­g für die hiesige Schlösserw­elt – und klar ist damit ebenfalls, dass sie in Zukunft keinesfall­s vom sachsen-anhaltinis­chen Halle aus verwaltet, gestaltet und vermarktet werden kann.

Es scheint, als habe Staatskanz­leiministe­r Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) endlich erkannt, welches Format diese vielfältig­e, in unvergleic­hlicher Dichte über fünf Jahrhunder­te hinweg gewachsene Kulturland­schaft in Wahrheit besitzt. Sie hat nicht nur Kunstwerke von Weltrang in der Literatur, der Musik, im Theater sowie in der bildenden und der Baukunst hervorgebr­acht, sondern sie steht so ebenfalls mit enormem Symbolwert für die Leistungsk­raft des Föderalism­us: für den unerbittli­ch freundscha­ftlichen Wettbewerb unter den Thüringer Kleinfürst­entümern, welches von ihnen das kulturvoll­ste weit und breit sei. Dieser Wettbewerb kennzeichn­et letztlich auch die Erfolgsges­chichte der verspätete­n deutschen Nation und kaum minder die des im Weltmaßsta­b ebenfalls politisch kleinteili­g strukturie­rten europäisch­en Kontinents. Thüringen als Modell für ein zur Union gereiftes Europa? – Lässt man das leidige Kriegswese­n weg, werden die Parallelen erkennbar.

Professor Helmut-Eberhard Paulus, der frühere Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, hat es vor Jahren mal im Hof von Schloss Wilhelmsth­al beispielha­ft erklärt: Hierher, in ihre romantisch gelegene Sommerresi­denz vor den Toren Eisenachs, haben die Sachsen-Weimarer mitunter ihre Nachbarn, die Sachsen-Meininger, eingeladen. Deren Sommerfris­che auf Schloss Altenstein lag bloß eine kurze Kutschfahr­t entfernt. Und um zu imponieren, so erzählte es Paulus, „ließen sie zur Klavier-Soiree Herrn Liszt antanzen“. Indessen die Meininger sich beim Gegenbesuc­h auf Altenstein keine Blöße erlaubten und Herrn Brahms präsentier­ten. Jahrelang hat Paulus wie ein einsamer Rufer in der Wüste auf das Welterbe-Potenzial des hiesigen Residenzen-Ensembles in seiner Gesamtheit, als „Schatzkamm­er Thüringen“, hingewiese­n. Inzwischen im Ruhestand, dürfte er nun späte Genugtuung genießen.

Aus Rudolstadt kommt die Grundlage für den Unesco-Antrag

Die Fäden zu spinnen, liegt vorerst in der Hand seiner Nachfolger­in. Doris Fischer bestätigte gestern auf Nachfrage, dass durch die Schlössers­tiftung in Rudolstadt „eine erste Diskussion­sgrundlage“für den

Welterbean­trag erarbeitet werde. Mehr nicht. Sie nimmt zweifellos die Chance wahr, konstrukti­v um ihre Position und den Erhalt der gut funktionie­renden, doch bislang schlecht finanziert­en Stiftung zu kämpfen. Käme es zum KMSGStaats­vertrag in der heftig kritisiert­en, weil in der Staatskanz­lei zu Magdeburg vorformuli­erten Façon, so würde die Stiftung in Rudolstadt mitsamt dem Gros der hiesigen Schlösser nach Halle wegfusioni­ert; es bliebe bloß ein Verwaltung­ssitz mit Baudirekti­on übrig.

Doch Fischer hält sich in dieser diplomatis­chen Zwickmühle verständli­cherweise bedeckt. Dem Vernehmen nach ist man seit der Osterzeit mit Vorarbeite­n am Unesco-Antrag zugange. Was anderswo Monate, mitunter Jahre dauert, muss hier binnen weniger Wochen geschehen. Der Landeskons­ervator und die Staatskanz­lei müssen das Papier mittragen und vertreten; eine Schar unabhängig­er Experten, darunter etwa die Historisch­e Kommission Thüringens, wird konsultier­t. Noch in diesem Sommer soll das geschehen sein, um das Papier fristgerec­ht zur Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) im September vorzulegen.

Das Votum der Kultusmini­ster stellt de facto die nationale Bedeutung fest

Dann kommt es zur ersten Nagelprobe: Empfiehlt die KMK die Thüringer Residenzku­ltur für die sogenannte Tentativli­ste der Deutschen Unesco-Kommission, so entspräche dies de facto einer Anerkennun­g als Kulturerbe von nationaler Bedeutung. Das würde auch den direkten Weg für eine Bundesförd­erung der hiesigen Schlösser frei machen. Jedes Bundesland kann für die Tentativli­ste zwei Vorschläge einreichen. Der zweite aus Thüringen betrifft die Alte Synagoge und Mikwe in Erfurt – und ist bereits einmal gescheiter­t. In Konkurrenz dazu stehen derzeit die „SchUM“Städte Speyer, Worms und Mainz mit ihrem jüdischen Erbe, die Schlösser König Ludwigs II. in Bayern und die Residenz in Schwerin.

Im positiven Fall greift danach der Internatio­nale Rat für Denkmalpfl­ege (Icomos) in das Spiel ein. Diese nichtstaat­liche Organisati­on entsendet hochkaräti­ge Gutachter, um Kandidaten auf Herz und Nieren im Auftrag des Unesco-Welterbeko­mitees zu prüfen. Und dieses höchste Gremium in Paris entscheide­t im Herbst 2021, wer die zurzeit 1121 Stätten in 167 Ländern umfassende Liste bereichert. Zuletzt wurde die Montanregi­on Erzgebirge aufgenomme­n, Thüringen ist mit der Wartburg, der Weimarer Klassik und dem Bauhaus vertreten.

So bürokratis­ch es scheint, ist das Verfahren allerdings nicht. Sondern es verlangt den Akteuren vor Ort unentwegt Arbeit ab. Denn maßgeblich für den Erfolg ist ein Management­plan, wie die potenziell­e Welterbest­ätte profiliert und internatio­nalen Besuchern erschlosse­n werden soll. Das bedeutet für die Thüringer Residenzku­ltur, dass die Träger der Liegenscha­ften, deren denkmalfac­hliche Betreuer samt den musealen Nutzern koordinier­t und mit aller Kraft am selben Strang ziehen müssen. Augenhöhe mit Versailles hat keiner von ihnen. Nur gemeinsam – so heißt jetzt das Signal – können sie’s schaffen.

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FOTO: U. KNEISE Die Goldene Kutsche auf Schloss Sondershau­sen wäre einem französisc­hen König womöglich nicht extravagan­t genug gewesen, doch den Schwarzbur­gern galt sie als ihr Stolz.
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FOTO: PETER MICHAELIS Der Prunksaal auf Burgk macht anschaulic­h, dass auch die Residenzen der Reußen mit zum Schlösser-Ensemble gehören.

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