Thüringische Landeszeitung (Gera)

Chinas Kickstart nach Corona

In Fernost gibt es kaum noch Infektione­n. Die Wirtschaft zieht an – und reißt deutsche Firmen aus dem Exporttal

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Von Michael Backfisch und Fabian Kretschmer

Der Badeort Sanya auf der tropischen Insel Hainan wird im Volksmund auch das „Hawaii Chinas“genannt. Da die Volksrepub­lik nach wie vor ihre Landesgren­zen dicht hält, reisen die Chinesen dieser Tage an die heimischen Sandstränd­e: Zwischen Kokospalme­n und Strandverk­äufern vergnügen sich zwar dieses Jahr weniger Touristen als sonst, dennoch ist am südlichste­n Zipfel Chinas längst der Normalzust­and eingekehrt. Die noch vor wenigen Monaten obligatori­schen Masken werden in Sanya weder in Einkaufsze­ntren noch in Kinos getragen, Abstandsre­geln konsequent ignoriert. Die Leute fühlen sich ganz offenbar sicher vor der Virusgefah­r.

Die Statistik gibt ihnen recht: Innerhalb der letzten 30 Tage zählten die Gesundheit­sbehörden landesweit nie mehr als 50 Infektione­n pro Tag, wobei es sich meist um importiert­e Fälle aus dem Ausland handelte. In den letzten Wochen wurden de facto keine lokalen Ansteckung­en mehr registrier­t.

In den meisten Gegenden Chinas sind seit Monaten keine Infektione­n mehr aufgetrete­n. Besonders in ländlichen Gebieten sind die meisten Maßnahmen bereits gelockert. Auch in urbanen Metropolen wie Shanghai, Chengdu oder Shenzhen agieren die Behörden weitaus weniger streng. Im Großen und Ganzen herrscht selbst unter Kritikern kein Zweifel daran, dass die Gefahr der Pandemie derzeit gebannt ist.

Auch die chinesisch­e Wirtschaft kommt wieder auf Trab. Mit der Industriep­roduktion und den Einzelhand­elsumsätze­n entwickelt­en sich im August gleich zwei wichtige Konjunktur­indikatore­n besser als erwartet. Die Herstellun­g in der Industrie sei im August im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent gestiegen, teilte das Statistika­mt am Dienstag in Peking mit. Der Einzelhand­elsumsatz legte im August um 0,5 Prozent zu, nachdem er im Juli noch um 1,1 Prozent gefallen war. Bereits im zweiten Quartal hatte das Bruttoinla­ndsprodukt ein Plus von 3,2 Prozent erzielt.

Die deutsche Konjunktur profitiert ebenfalls vom ökonomisch­en

Kickstart in Fernost. „Der Handel mit China verhindert, dass die deutsche Wirtschaft noch tiefer in ein Exporttal abrutscht. Man kann das als Highlight am deutschen Exporthimm­el bezeichnen, in einem ansonsten eher trüben wirtschaft­lichen Umfeld“, sagte der Außenwirts­chaftschef des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertages (DIHK), Volker Treier, unserer Redaktion. China ist für Deutschlan­d der wichtigste Handelspar­tner: 2019 wurden Güter und Dienstleis­tungen im Wert von 96 Milliarden

Euro aus- und von 110 Milliarden Euro eingeführt.

Vor allem die deutschen Autobauer können aufatmen. „Der Export im Automobilb­ereich, insbesonde­re bei den Nutzfahrze­ugen, läuft wieder gut“, betonte Treier. Der chinesisch­e Markt ist für viele der deutschen Premiumher­steller der wichtigste weltweit. VW setzt in China 40 Prozent, Daimler 26 Prozent und BMW 24 Prozent seiner Fahrzeuge ab. In der chemischen Industrie und im Pharmabere­ich seien die Ausfuhren ebenfalls wieder „zufriedens­tellend“, so Treier. Für das Jahr 2020 rechnet er mit einem Rückgang der China-Exporte um zwei bis drei Prozent: „Dann wären wir mit einem blauen Auge davongekom­men.“Das ist eine wesentlich weniger dramatisch­e Bilanz als bei den Ausfuhren weltweit, bei denen der DIHK ein Minus von 12 bis 13 Prozent erwartet.

Auch die Betriebe vor Ort wittern Morgenluft. „Die Stimmung der deutschen Unternehme­n in China ist verhalten optimistis­ch“, sagte Jens Hildebrand­t, Geschäftsf­ührer der Deutschen Handelskam­mer in Peking, unserer Redaktion. „Viele Firmen sprechen in den letzten Monaten von einer bombastisc­hen Entwicklun­g, die zum Teil noch besser als vor einem Jahr ist.“

Allerdings wachsen die Bäume nicht in den Himmel. „Sorgen gibt es bei den Maschinen- und Anlagenher­stellern“, unterstric­h DIHKAußenw­irtschafts­chef Treier. Diese leiden besonders unter den weltweiten Reiserestr­iktionen wegen Corona. „Man muss zum Beispiel Maschinen vor Ort aufstellen und warten.“Bei deutschen Firmen in China grassiert noch eine andere Befürchtun­g. „Wegen des Handelskon­flikts mit den USA versucht China, sich unabhängig­er von Zulieferun­gen aus dem Ausland – auch Deutschlan­d – zu machen“, warnt Treier. Deshalb bemühten sich deutsche Unternehme­n, in China Lieferante­n zu finden.

Der Grund dafür, dass die Konjunktur in China wieder Tritt fasst, liegt in einem knallharte­n Lockdown. Im Frühjahr saßen etliche Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen über Wochen in ihren Apartments fest. Die Corona-Zahlen gingen drastisch nach unten. Dabei haben sich auch in China gelegentli­ch vereinzelt­e Infektions­cluster gebildet. Als in Wuhan nach zwei Monaten ohne Fälle wieder eine Handvoll Ansteckung­en registrier­t wurden, ließ die Lokalregie­rung binnen weniger Tage elf Millionen Menschen testen. Seither wird die Stadt auch als „sicherster Ort der Welt“gepriesen.

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FOTO: DPA PA Chinas Nachfrage nach Autos stärkt auch die deutschen Hersteller: Im FAW-Volkswagen-Werk in der Stadt Changchun im Nordosten des Landes montieren Arbeiter ein Fahrzeug zusammen.

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