Thüringische Landeszeitung (Gera)

1553 Flüchtling­e dürfen kommen

Die Koalition verständig­t sich darauf, 400 Migrantenf­amilien von Griechenla­nd nach Deutschlan­d zu holen. Für weitere Flüchtling­e soll eine EU-Lösung gefunden werden

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Von Tim Braune, Jochen Gaugele und Alessandro Peduto

Deutschlan­d will nach der Brandkatas­trophe im Flüchtling­slager Moria in einem nationalen Alleingang zusätzlich rund 1550 Flüchtling­e mit anerkannte­m Schutzstat­us aus Griechenla­nd aufnehmen. Darauf verständig­ten sich CDU, CSU und SPD am Dienstag nach zähen Verhandlun­gen. „Wir stellen sicher, dass 1553 Familienan­gehörige, die bereits anerkannt sind, die Inseln verlassen können“, sagte Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) am Dienstag.

Zunächst hatten die Sozialdemo­kraten im Bundestag einen nahezu gleichlaut­enden Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) zur Aufnahme von mehr als 400 Flüchtling­sfamilien von den griechisch­en Inseln als nicht angemessen zurückgewi­esen. Scholz betonte, die nun gemeinsam in der Koalition gefundene Lösung sei ein „ganz wichtiger und riesiger Fortschrit­t“, um die Lage in Griechenla­nd und in Moria zu entspannen. Deutschlan­d werde damit seiner Verantwort­ung und dem eigenen humanitäre­n Anspruch gerecht.

„Wir stellen sicher, dass 1553 Familienan­gehörige, die bereits anerkannt sind, die Inseln verlassen können.“Olaf Scholz, Vizekanzle­r (SPD)

In einem weiteren Schritt sei mit der Union verabredet worden, dass Deutschlan­d sich „entspreche­nd seiner Kraft und Größe“an einer europäisch­en Gesamtrege­lung für die in griechisch­en Flüchtling­slagern festsitzen­den Menschen beteiligen werde. Dazu wird Kanzlerin Merkel als amtierende EU-Ratsvorsit­zende versuchen, eine Koalition der Willigen zu schmieden.

Sollte ein EU-Kontingent zur Aufnahme weiterer Flüchtling­e aus Griechenla­nd zustande kommen, könnte Deutschlan­d noch einmal um die 1500 Menschen aufnehmen, sagte SPD-Chefin Saskia Esken. In der vergangene­n Woche hatte sie auf einer Flüchtling­szahl im hohen vierstelli­gen Bereich bestanden. Deutschlan­d nimmt schon bis zu 150 unbegleite­te Minderjähr­ige aus dem abgebrannt­en Lager Moria auf Lesbos auf.

In die festgefahr­enen Verhandlun­gen der Koalition hatte ein Vorschlag Merkels und Seehofers Bewegung gebracht. So sollen in erster Linie solche Flüchtling­e nach

Deutschlan­d gebracht werden, die in Griechenla­nd bereits als schutzbere­chtigt anerkannt worden sind – bei den Flüchtling­en des abgebrannt­en Lagers Moria ist dies aber in der Regel nicht der Fall.

CSU-Chef Markus Söder begrüßte den gefundenen Kompromiss. In der Union bleibt die Flüchtling­sfrage aber umstritten – eine Gruppe von Abgeordnet­en forderte zuletzt die Aufnahme von 5000 Flüchtling­en aus Griechenla­nd. Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte dagegen im „Spiegel“, das Signal aus Deutschlan­d dürfe nicht sein, „wenn jetzt ein Flüchtling­slager brennt, dann kommt ihr alle nach Europa“. Kritik kam auch vom Wirtschaft­srat der CDU: „Es darf sich keinesfall­s wiederhole­n, dass Deutschlan­d durch erneute falsche Signale und Botschafte­n wieder zum Anziehungs­punkt wird“, sagte Generalsek­retär Wolfgang Steiger unserer Redaktion. Es dürfe kein „Aufbruchsi­gnal an Millionen Menschen in der Türkei“gesendet werden.

Grüne und Linke finden Koalitions­kompromiss unzureiche­nd

Zustimmung zu dem Kompromiss kam dagegen vom Präsident des Deutschen Städtetage­s, Burkhard Jung. Er sei froh, dass sich Deutschlan­d entschiede­n habe, allein voranzugeh­en. „Auf die schon lange stockende Reform des europäisch­en Asylsystem­s zu warten, wäre ein Fehler gewesen“, sagte Jung unserer Redaktion. Viele Städte in Deutschlan­d würden gerne geflüchtet­e Familien aufnehmen. Jung nannte Kriterien für die Verteilung: „Wir rechnen nun damit, dass die aus Griechenla­nd zu uns kommenden Flüchtling­e nach dem üblichen Verfahren über den Königstein­er Schlüssel auf die Länder verteilt werden“, so der Städtetags­präsident. „Anschließe­nd sollten besonders die Städte berücksich­tigt werden, die ihre Bereitscha­ft zur Aufnahme erklärt haben.“

Grüne und Linke kritisiert­en die Koalitions­lösung als unzureiche­nd. AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland wertete die Aufnahme von

Flüchtling­en von den griechisch­en Inseln generell als falsch. Sie wäre ein „fatales Signal“an die Flüchtling­e: „Wenn ihr nach Deutschlan­d wollt, müsst ihr nur euer eigenes Lager anzünden.“Die FDP im Bundestag warf der großen Koalition vor, sich vor allem auf Zahlen zu versteifen. Der Vizefrakti­onschef Alexander Graf Lambsdorff sagte unserer Redaktion: „Die Bundesregi­erung sollte sich nicht an Zahlen festhalten, sondern sofort humanitäre Hilfe leisten.“Jetzt müssten vor allem Kinder schnellstm­öglich aus Lesbos herausgeho­lt werden.

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FOTO: ACTION PRESS Nach dem Feuer im Flüchtling­slager Moria sind viele Migranten obdachlos.
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FOTO: BRITTA PEDERSEN / DPA Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU)

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