Thüringische Landeszeitung (Gera)

Wer wird als Erstes gegen Corona geimpft?

Die Regierung rechnet mit einem Impfstoff in den nächsten zehn Monaten. Neue Impfzentre­n im Gespräch

- Von Julia Emmrich

Der Impfstoff gegen Corona kommt – da sind sich die meisten Experten sicher. Genauso sicher ist: Er wird nicht gleich für alle reichen, weil es zu wenige vorproduzi­erte Impfdosen gibt. Was also passiert am Tag X, wenn der erste Impfstoff für Deutschlan­d zugelassen ist? Das ganze Land zu impfen – „das ist nicht in zwei Wochen getan“, sagte Jens Spahn am Dienstag bei einer Zwischenbi­lanz zur Impfstoffe­ntwicklung. Im Gegenteil, der Bundesgesu­ndheitsmin­ister erwartet eine schwierige Phase: „Die ethische Debatte wird kommen.“Wer soll zuerst geimpft werden – und was sagen die Ärzte denjenigen, die am Anfang nicht zum Zuge kommen?

Wann kommt der Impfstoff für Deutschlan­d?

Die Bundesregi­erung und das zuständige Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe sind optimistis­ch: Wenn es sehr gut läuft, wird der erste Impfstoff schon Ende des Jahres für Deutschlan­d zugelassen, wahrschein­licher scheint ein Starttermi­n zwischen Anfang und Mitte nächsten Jahres. Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) warnt aber vor zu viel Euphorie: „Wir sind noch nicht am Ziel. In den nächsten Wochen kann viel passieren“, so die Ministerin. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es erst Mitte nächsten Jahres einen Impfstoff gibt, mit dem breite Teile der Bevölkerun­g geimpft werden können.“

Microsoft-Gründer Bill Gates dagegen erwartet, dass bereits Anfang des kommenden Jahres mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Er rechne damit, dass „mit etwas Glück“im ersten Quartal „drei oder sogar vier“Impfstoffe zugelassen werden, sagte Gates in der Internetse­ndung „Bild live“. Die Herausford­erung werde dann aber sein, die Mittel in Massen herzustell­en, betonte der US-Multimilli­ardär, dessen Stiftung die Entwicklun­g und

Verbreitun­g von Impfstoffe­n fördert.

Mit einem bis zu 750 Millionen starken Sonderprog­ramm fördert die Bundesregi­erung aktuell die Impfstoffe­ntwicklung bei den beiden deutschen Firmen Biontech und Curevac, zudem soll nun auch die ostdeutsch­e Firma IDT Biologika gefördert werden. Über Verträge mit diesen Firmen hat sich der Staat bereits 40 Millionen Impfstoffd­osen gesichert. Zudem gibt es feste Zusagen über 54 Millionen Dosen aus dem EU-Vertrag mit dem britischen Pharmakonz­ern Astrazenec­a. Weitere EU-Verträge stehen vor dem Abschluss.

Keine Option sei es, einen Wirkstoff zuzulassen, der noch nicht sämtliche Testphasen erfolgreic­h durchlaufe­n habe, betonte Spahn. Impfen sei Vertrauens­sache: „Wir wollen einen sicheren und wirksamen Impfstoff und nicht per se die

Ersten sein“, sagte Spahn. Und, mit Blick auf die bislang hohe Akzeptanz von Schutzimpf­ungen in Deutschlan­d: „Wir dürfen das Vertrauen nicht verspielen.“Der Pharmakonz­ern Astrazenec­a hat gerade erst seine Impfstoffs­tudie gestoppt, nachdem eine Probandin eine Rückenmark­sentzündun­g entwickelt hatte. Mittlerwei­le wird die Studie fortgesetz­t, die britische Aufsichtsb­ehörde hat dafür grünes Licht gegeben.

Was passiert, wenn der Impfstoff zugelassen ist?

Dann soll es nach Spahns Willen sehr schnell gehen: „Idealerwei­se einige wenige Tage“nach Zulassung eines Impfstoffs für Deutschlan­d soll die reguläre Impfung beginnen. Doch anders als beim Grippeschu­tz werden die Bundesbürg­er dazu möglicherw­eise nicht in die Arztpraxen gehen: Weil viele mögliche Impfstoffk­andidaten bei minus 70 Grad transporti­ert und gelagert werden müssen, wären normale Hausärzte überforder­t. Spahn denkt deswegen über regionale Impfzentre­n nach, die Gespräche mit der Ärzteschaf­t, dem öffentlich­en Gesundheit­sdienst und den Ländern laufen bereits. Offen ist zudem die Frage, ob der Staat oder die gesetzlich­en Krankenkas­sen die Kosten für die millionenf­ache Impfung zahlen.

Wer wird als Erstes geimpft?

Die Frage klingt einfach, ist aber ethisch heikel. Eine Antwort darauf soll die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) beim Robert-Koch-Institut finden. Eltern kennen die StikoImpfe­mpfehlunge­n bei typischen Kinderkran­kheiten, auch beim Grippeschu­tz gibt es Stiko-Empfehlung­en. Jetzt müssen die Experten der Impfkommis­sion erstens den absehbaren Impfstoffm­angel einkalkuli­eren und zweitens eine Rechnung mit mehreren Unbekannte­n lösen, denn: Angesichts der großen Zahl von potenziell­en Sars-CoV-2-Impfstoffk­andidaten ist es wahrschein­lich, dass am Ende mehrere Impfstoffe in Deutschlan­d zugelassen werden. „Dabei kann es sein, dass einzelne Impfstoffe insbesonde­re für bestimmte Bevölkerun­gsgruppen geeignet sein werden – zum Beispiel für Ältere“, sagt Sabine Wicker, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Stiko, unserer Redaktion.

Und nun? Ohne den genauen Impfstoff zu kennen, müssen die Experten Prioritäte­n festlegen: „Bei der Frage, wer zuerst geimpft werden soll, müssen wir zunächst immer fragen, bei wem das höchste Infektions­risiko besteht und wer am meisten von einer Impfung profitiere­n würde“, erklärt Wicker. „Im aktuellen Fall gehören zu den besonders schutzbedü­rftigen Gruppen unter anderem das medizinisc­he Personal sowie die chronisch Kranken und Älteren.“Das sieht Spahn ähnlich. Er weiß aber auch: Wenn die ersten Impfwillig­en in einem der neuen Impfzentre­n abgewiesen werden, weil sie zu keiner gefährdete­n Gruppe gehören – dann wird es heftige Debatten geben.

Die Stiko hat bereits im Frühjahr eine Arbeitsgru­ppe für CoronaImpf­empfehlung­en eingericht­et. „Wir können nicht warten, bis ein konkreter Sars-CoV-2-Impfstoff zugelassen ist, sondern müssen bereits vorher einen Rahmen für Empfehlung­en festlegen“, so Wicker. Ebenfalls jetzt steht schon fest: Selbst wenn eines Tages genügend Impfstoffd­osen für über 80 Millionen Deutsche geben sollte – eine Impfpflich­t gegen Covid-19 lehnt die Bundesregi­erung ab. „Wir brauchen eine Impfquote von 55 bis 65 Prozent, um Herdenimmu­nität zu erreichen“, so Spahn. „Das werden wir freiwillig erreichen.“

„Wir brauchen eine Impfquote von 55 bis 65 Prozent für eine Herdenimmu­nität“Jens Spahn (CDU), Bundesgesu­ndheitsmin­ister

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F: BLOOMBERG VIA GETTY IMAGES Ein Labortechn­iker im Schutzanzu­g arbeitet mit einer Nährflüssi­gkeit für Viren an der Erforschun­g eines Corona-Impfstoffs.

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