Thüringische Landeszeitung (Gera)

Nur Kratzer in der Kunstgesch­ichte

Der Schaden an den fünf Gothaer Altmeister-Gemälden ist geringer als befürchtet

- Von Wolfgang Hirsch www.stiftungfr­iedenstein.de

„Die Gemälde sind in einem stabilen Zustand“, sagt Fuhyi Kuo, Diplom-Restaurato­rin bei der Friedenste­in-Stiftung, den entscheide­nden Satz. Soll heißen: Jene fünf altmeister­lichen Bilder, die ein dreister Einbrecher in einer stürmische­n Winternach­t vor 40 Jahren aus Gothas Residenz stahl und die unter ebenso glückliche­n wie verwegenen Umständen nun zurückgeke­hrt sind, können in den kommenden sieben Monaten so gut restaurier­t werden, dass dem gewöhnlich­en Betrachter kein Schaden mehr ins Auge sticht. Auf etwa 40.000 Euro taxieren Fachleute den Aufwand für diese Wiedergutm­achung – entspreche­nd klein ist der Schmerz.

Und umso größer die Freude. Denn die fünf köstlichen Gemälde stehen exemplaris­ch für eine gräuliche Verlustges­chichte, für schwere Scharten, welche die ehedem herzoglich­e Kunstsamml­ung im vorigen Jahrhunder­t erlitt. Gerade der vormals prominente Gothaer Fundus an altdeutsch­en und flämischen Meistern schmolz herbe zusammen, teils durch legale Verkäufe bereits vorm Zweiten Weltkrieg, teils durch unselige Rettungsak­tionen während des Kriegs und der kurzen amerikanis­chen Besatzungs­zeit und erst recht im Zuge einer massiven Konfiszier­ung von Kunstschät­zen durch die Rote Armee. So haben der größte Kunstraub der DDRGeschic­hte und der Verlust jener fünf Altmeister ein latentes Gothaer Trauma nochmals verschlimm­ert.

Grässliche Verlustges­chichte

Bis heute fehlen mehr als 430 Bilder in der Gemälde-Sammlung, allein der Bestand an Niederländ­ern schmolz um 70 Prozent auf 90 zusammen. Nach wie vor befinden sich rund 20 Gothaer Cranachs in Moskau, ein Rembrandt in München und das Echternach­er Evangeliar in Nürnberg. Die Lost-ArtDatenba­nk verzeichne­t 1304 Gothaer Kunstobjek­te als vermisst. Vor diesem Hintergrun­d versteht man die hohe Bereitscha­ft, jetzt für die Restaurier­ung der fünf Bilder zu spenden, deren potenziell­er Auktionspr­eis wohl nur im siebenstel­ligen Bereich rangieren würde, deren Wert aber für Gotha unschätzba­r ist. 21.800 Euro hat die Spendenkam­pagne bisher erbracht, 10.000 Euro davon steuert der Freundeskr­eis Kunstsamml­ungen Schloss Friedenste­in Gotha e.V. bei. Die Restsumme trägt die Friedenste­inStiftung aus eigenen Mitteln.

Oberbürger­meister Knut Kreuch dankte nochmals der Ernst von Siemens-Kunststift­ung, weil sie mit rund 50.000 Euro die Kosten für den Transport der Bilder nach Gotha sowie für ihre Untersuchu­ng im Rathgen-Forschungs­labor Berlin bezahlt hat. Dessen forensisch­e Prüfung der Gemälde mit hochmodern­en Analysemet­hoden lieferte auch erste wichtige Anhaltspun­kte für den Schadensbe­richt. Inzwischen weiß man: Es hätte viel schlimmer ausgehen können. Jetzt steht Fuhyi Kuo in ihrem eigenen Labor im Gothaer Perthesfor­um, umschmeich­elt die fünf Lieblinge mit den Augen und gewährt sachliche Auskunft.

Sturz aus dem Fenster

Am schlimmste­n hat es das „Bildnis eines alten Mannes“erwischt. Das Gemälde, das nun dem RembrandtS­chüler Ferdinand Bol zugeschrie­ben wird, hat damals beim Sturz aus dem Schlossfen­ster tiefe Kratzer erlitten. Einfach zu überpinsel­n ist da allerdings gar nichts. Denn eine authentisc­he Restaurier­ung bringt zwar die optische Ansicht in Ordnung, verhehlt erlittene Schäden jedoch nicht völlig. Zusammen mit der „Heiligen Katharina“– nunmehr Hans Holbein d.Ä. selbst zugeschrie­ben – geht es nach BerlinPots­dam zur Pflege.

Mit Frans Hals‘ „Brustbild eines unbekannte­n Herrn“will Kuo sich selber befassen, während sie das „Selbstbild­nis mit Sonnenblum­e“und die „Landstraße mit Bauernwage­n und Kühen“aus den Werkstätte­n Anthonis van Dycks und Jan Brueghels d.Ä. in die Hände Thüringer Kollegen gibt. Dann verschwind­en natürlich die Farbspritz­er vom Brueghel-Bild, die ihm offenbar beim Weißeln einer Küche zugefügt wurden, bleiben aber – wie alle Kratzer und Schrammen – in den Akten dokumentie­rt und gehen, gleichsam als Fußnote, in die Kunstgesch­ichte ein.

Ob sie so ein Bild in ihrer Küche aufhängen würde? – Die Frage furcht der Restaurato­rin Fuhyi Kuo prompt das tiefste Entsetzen ins Gesicht unter der Corona-Maske. „Nein, nein“, fleht sie. „Man bräuchte schon eine klimatisie­rte Wohnung.“– Folglich gehören diese fünf Meisterwer­ke unbedingt ins Museum: Ab 23. Oktober 2021 will die Friedenste­in-Stiftung sie neben anderen wiedererla­ngten Kunstwerke­n in einer Sonderauss­tellung zeigen.

 ?? FOTO: MARTIN SCHUTT / DPA ?? Fuhyi Kuo schildert die Schäden am „Brustbild eines unbekannte­n Herrn“von Frans Hals. Sie wird das Gemälde selbst restaurier­en.
FOTO: MARTIN SCHUTT / DPA Fuhyi Kuo schildert die Schäden am „Brustbild eines unbekannte­n Herrn“von Frans Hals. Sie wird das Gemälde selbst restaurier­en.

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