Thüringische Landeszeitung (Gera)
Nur Kratzer in der Kunstgeschichte
Der Schaden an den fünf Gothaer Altmeister-Gemälden ist geringer als befürchtet
„Die Gemälde sind in einem stabilen Zustand“, sagt Fuhyi Kuo, Diplom-Restauratorin bei der Friedenstein-Stiftung, den entscheidenden Satz. Soll heißen: Jene fünf altmeisterlichen Bilder, die ein dreister Einbrecher in einer stürmischen Winternacht vor 40 Jahren aus Gothas Residenz stahl und die unter ebenso glücklichen wie verwegenen Umständen nun zurückgekehrt sind, können in den kommenden sieben Monaten so gut restauriert werden, dass dem gewöhnlichen Betrachter kein Schaden mehr ins Auge sticht. Auf etwa 40.000 Euro taxieren Fachleute den Aufwand für diese Wiedergutmachung – entsprechend klein ist der Schmerz.
Und umso größer die Freude. Denn die fünf köstlichen Gemälde stehen exemplarisch für eine gräuliche Verlustgeschichte, für schwere Scharten, welche die ehedem herzogliche Kunstsammlung im vorigen Jahrhundert erlitt. Gerade der vormals prominente Gothaer Fundus an altdeutschen und flämischen Meistern schmolz herbe zusammen, teils durch legale Verkäufe bereits vorm Zweiten Weltkrieg, teils durch unselige Rettungsaktionen während des Kriegs und der kurzen amerikanischen Besatzungszeit und erst recht im Zuge einer massiven Konfiszierung von Kunstschätzen durch die Rote Armee. So haben der größte Kunstraub der DDRGeschichte und der Verlust jener fünf Altmeister ein latentes Gothaer Trauma nochmals verschlimmert.
Grässliche Verlustgeschichte
Bis heute fehlen mehr als 430 Bilder in der Gemälde-Sammlung, allein der Bestand an Niederländern schmolz um 70 Prozent auf 90 zusammen. Nach wie vor befinden sich rund 20 Gothaer Cranachs in Moskau, ein Rembrandt in München und das Echternacher Evangeliar in Nürnberg. Die Lost-ArtDatenbank verzeichnet 1304 Gothaer Kunstobjekte als vermisst. Vor diesem Hintergrund versteht man die hohe Bereitschaft, jetzt für die Restaurierung der fünf Bilder zu spenden, deren potenzieller Auktionspreis wohl nur im siebenstelligen Bereich rangieren würde, deren Wert aber für Gotha unschätzbar ist. 21.800 Euro hat die Spendenkampagne bisher erbracht, 10.000 Euro davon steuert der Freundeskreis Kunstsammlungen Schloss Friedenstein Gotha e.V. bei. Die Restsumme trägt die FriedensteinStiftung aus eigenen Mitteln.
Oberbürgermeister Knut Kreuch dankte nochmals der Ernst von Siemens-Kunststiftung, weil sie mit rund 50.000 Euro die Kosten für den Transport der Bilder nach Gotha sowie für ihre Untersuchung im Rathgen-Forschungslabor Berlin bezahlt hat. Dessen forensische Prüfung der Gemälde mit hochmodernen Analysemethoden lieferte auch erste wichtige Anhaltspunkte für den Schadensbericht. Inzwischen weiß man: Es hätte viel schlimmer ausgehen können. Jetzt steht Fuhyi Kuo in ihrem eigenen Labor im Gothaer Perthesforum, umschmeichelt die fünf Lieblinge mit den Augen und gewährt sachliche Auskunft.
Sturz aus dem Fenster
Am schlimmsten hat es das „Bildnis eines alten Mannes“erwischt. Das Gemälde, das nun dem RembrandtSchüler Ferdinand Bol zugeschrieben wird, hat damals beim Sturz aus dem Schlossfenster tiefe Kratzer erlitten. Einfach zu überpinseln ist da allerdings gar nichts. Denn eine authentische Restaurierung bringt zwar die optische Ansicht in Ordnung, verhehlt erlittene Schäden jedoch nicht völlig. Zusammen mit der „Heiligen Katharina“– nunmehr Hans Holbein d.Ä. selbst zugeschrieben – geht es nach BerlinPotsdam zur Pflege.
Mit Frans Hals‘ „Brustbild eines unbekannten Herrn“will Kuo sich selber befassen, während sie das „Selbstbildnis mit Sonnenblume“und die „Landstraße mit Bauernwagen und Kühen“aus den Werkstätten Anthonis van Dycks und Jan Brueghels d.Ä. in die Hände Thüringer Kollegen gibt. Dann verschwinden natürlich die Farbspritzer vom Brueghel-Bild, die ihm offenbar beim Weißeln einer Küche zugefügt wurden, bleiben aber – wie alle Kratzer und Schrammen – in den Akten dokumentiert und gehen, gleichsam als Fußnote, in die Kunstgeschichte ein.
Ob sie so ein Bild in ihrer Küche aufhängen würde? – Die Frage furcht der Restauratorin Fuhyi Kuo prompt das tiefste Entsetzen ins Gesicht unter der Corona-Maske. „Nein, nein“, fleht sie. „Man bräuchte schon eine klimatisierte Wohnung.“– Folglich gehören diese fünf Meisterwerke unbedingt ins Museum: Ab 23. Oktober 2021 will die Friedenstein-Stiftung sie neben anderen wiedererlangten Kunstwerken in einer Sonderausstellung zeigen.