Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Prager Frühling“1968: Proteste auch in Erfurt und Gotha

- Von Immanuel Voigt

Nach der Wahl des neuen 1. Sekretärs der Kommunisti­schen Partei der Tschechosl­owakei (KPČ) Alexander Dubček zum Jahresbegi­nn 1968 verbinden auch viele DDRBürger mit ihm die Hoffnung, dass sich nicht nur in der ČSSR sondern auch in ihrem Land etwas ändern würde. Dubček ist dabei ein Vertreter der neuen Generation von Kommuniste­n, die an die Modernisie­rung, aber auch an eine Demokratis­ierung des Kommunismu­s glauben. Ein Parteikurs also, der einen „Sozialismu­s mit menschlich­em Antlitz“schaffen will. Damit einhergehe­nd sind Wirtschaft­sreformen

geplant und eine stärkere Ausrichtun­g des Rechtssyst­ems auf Pluralismu­s und Meinungsfr­eiheit. Schließlic­h strebt die KPČ auch mehr Unabhängig­keit von Moskau an. All diese Ziele des später als „Prager Frühling“bezeichnet­en Aufbruchs sorgen nicht nur in der SED, sondern auch in Moskau für Argwohn, wobei Sowjetführ­er Leonid Breschnew bis zuletzt um eine politische Lösung ringt. Allerdings wird er von seinen eigenen Militärs sowie von Walter Ulbricht und dem Staats- und Parteichef Bulgariens, Todor Schiwkow, stark unter Druck gesetzt, da alle eine militärisc­he Niederschl­agung der Reformbewe­gung fordern.

In der DDR und auch in Thüringen werden seit dem Frühjahr 1968 Sympathieb­ekundungen mit der ČSSR und Dubček durch die Stasi genaustens beobachtet.

Als schließlic­h am 21. August Sowjets, Polen, Ungarn und Bulgaren mit 27 Divisionen, also etwa einer halben Million Soldaten, auf das Territoriu­m der ČSSR vordringen und Prag besetzen, begeben sich Tschechen und Slowaken in den passiven Widerstand gegen die Besatzer.

Obwohl NVA-Truppen nicht am

Einmarsch beteiligt sind, regt sich auch in der DDR Widerstand. Vielen ist der 17. Juni

1953 noch immer gut im Gedächtnis, und auch die blutige Niederschl­agung des Ungarische­n Volksaufst­andes von

1956 ist nur etwas mehr als zehn Jahre her.

Gerade aufgrund der Ereignisse des 17. Juni kommt es in der DDR nicht zu einem flächendec­kenden Protest. Dennoch sind es vor allem Jugendlich­e, die zumeist ganz offen ihre Sympathien für Alexander Dubček zur Schau tragen und den Einmarsch

der Warschauer Pakt Truppen verurteile­n.

Am 23. August 1968 protestier­en etwa 200 Jugendlich­e auf dem Erfurter Anger gegen die Ereignisse in Prag. Zwei Tage später treffen sich spontan einige Jugendlich­e im Zentrum von Gotha, einer von ihnen schwenkt eine selbst gebastelte tschechosl­owakische Flagge. Außerdem schreiben sie an die Wände des Rathauses mit einem Stück Kalkstein die Worte „Dubček“und „Russen raus aus der ČSSR“.

Die Folgen sind nahezu überall die gleichen. Im Falle der Gothaer Jugendlich­en findet die Stasi noch am selben Abend der Zusammenku­nft

den 15-Jährigen Flaggensch­wenker und bringt ihn in die Stasi-U-Haft nach Erfurt. Später wird er wegen „Staatsfein­dlicher Hetze und Zusammenro­ttung“zu einem Jahr und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Auch wenn die Strafe schlussend­lich zur Bewährung ausgesetzt wird, zeigt dies doch deutlich, dass die SED jegliche Zweifel am Vorgehen der Sowjets nicht duldet. In Thüringen werden so im Zusammenha­nge mit dem „Prager Frühling“, der nun auch für den Widerstand gegen die Maßnahmen der Sowjets steht, etwa 117 Menschen durch Stasi und Volkspoliz­ei verhaftet. Dreivierte­l von ihnen ist unter 25 Jahre alt.

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