Thüringische Landeszeitung (Gera)

Harte Brüche, sanfte Übergänge

Das deutsch-georgische Projekt „Samaia“spielte das Prologkonz­ert der Jazzmeile Thüringen

- Von Michael Helbing

Zaza Miminoshvi­li zählt vor: „Eins, zwei, drei – eins, zwei drei – eins, zwei – eins, zwei – eins, zwei, drei – eins, zwei, drei – eins, zwei…“So geht‘s zu im Zwiefachen, jenem schnellen süddeutsch­en Volkstanz, den der georgische Gitarrist und Komponist „völlig verrückt“, aber fasziniere­nd findet. Ständig wechselt der Takt, mal regelmäßig, mal unregelmäß­ig.

Miminoshvi­li lebt seit Jahrzehnte­n in Stuttgart. Den Bassisten und Weimarer Jazzprofes­sor Manfred Bründl traf er aber in Tiflis. Dort ersannen sie ein Projekt, das die viele Jahrhunder­te alte georgische Volksmusik, die ja im Kern Vokalmusik ist, im instrument­alen Jazz aufschlage­n lässt. Miminoshvi­li bestand auf dem Zwiefachen als zusätzlich­em Schwierigk­eitsgrad.

Der Tanz könnte inzwischen sinnbildli­ch stehen für das deutschgeo­rgische Musikproje­kt „Samaia“. Es erlebte jetzt seine Premiere: Auf zwei Kunstfest-Konzerte in Weimars Alter Feuerwache am Sonntag folgte am Montag in der Erfurter Thomaskirc­he derart zugleich das Prologkonz­ert der Jazzmeile. Die findet diesmal als Corona-Ausgabe „Limited Edition“statt und wird offiziell am 2. und 3. Oktober im Volkshaus Jena eröffnet, wo erneut Sarah Buechi auf die Philharmon­ie trifft.

„Samaia“sollte ursprüngli­ch im Landtag spielen, bei den AchavaFest­spielen, die das Konzert nebst Organisati­on unter Pandemiebe­dingungen aber an die Jazzmeile und den Erfurter Jazzclub abtraten. Die Thomaskirc­he bot Misho Machavaria­nis sakral eingefärbt­em Gesang adäquaten Raum und war darüber hinaus, freundlich gesagt, eine akustische Herausford­erung.

Sie verlieh dem Konzert auch jene Form von Nachhall, auf die man gerne verzichtet hätte.

So musste man sich sozusagen zwiefach einhören. Es wurde dann aber ein Abend der harten Brüche und sanften Übergänge: voller unberechen­barer Tempi- und Taktwechse­l und originelle­r Phrasierun­gen. Kaum hatte man sich mal eingegroov­t, kam das Sextett schon mit einer neuen Wendung um die Ecke. Das gefiel dem Publikum, ließe sich sagen, gerade in der ungefällig­en Experiment­ierlust.

Derart pfiff Zaza Miminoshvi­li auch auf den Massengesc­hmack, als er 2014 mit seiner Band „The Shin“und von Volksmusik durchsetzt­em psychedeli­schem Jazzpop Georgien beim „Eurovision Song Contest“vertrat. Man landete im Halbfinale auf dem letzten Platz, was fast ein Gütesiegel bedeutete.

Aus Georgien konnten nun, coronabedi­ngt gleichsam in letzter Minute, neben Sänger Machavaria­nis der Schlagzeug­er und Oboist Niko Charkviani sowie Lexo Chumburidz­e anreisen, der unter anderem georgische Volkstänze ins Kirchensch­iff wirbelte und die Doli schlug, eine traditione­lle Röhrentrom­mel. Mit Frederik Köster vervollstä­ndigte der aktuell aufregends­te deutsche Jazztrompe­ter das Ensemble. Dieses behauptet eindrucksv­oll den Jazz als kulturelle­n Grenzgänge­r genau dort, wo man sich hütet, einen musikalisc­hen Einheitsbr­ei anzurühren. Die Jazzmeile Thüringen wird 2020 derweil ein Work-in-progress-Unternehme­n, mit noch übersichtl­ichem Programm vor allem in Jena, Weimar und Erfurt. Das Nordhäuser Jazzfest beginnt am 25. September mit „Friend n Fellow“. Der Eisenacher Jazzclub hat alle Konzerte bis Jahresende und Sonneberg das komplette Jazzfest abgesagt.

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FOTO: MARCO SCHMIDT Lexo Chumburidz­e wirbelt georgische Volkstänze in die Thomaskirc­he Erfurt.

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