Thüringische Landeszeitung (Gera)
Große Fortschritte in der Covid-19-Therapie
In Deutschland gibt es schon die dritte Leitlinie zur Behandlung von Patienten. „Wir haben enorm viel gelernt“
„Wir wussten anfangs nur, dass das Virus Lungenerkrankungen mit dramatischen Verläufen verursachen kann“, sagt Uwe Janssens. Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hatte am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler Covid19-Patienten behandelt, die sich bei einer Karnevalsfeier im benachbarten Kreis Heinsberg angesteckt hatten. Fast 30 Wochen ist das her. „Seitdem haben wir enorm viel gelernt“, erklärt Janssens. Über Symptome, Krankheitsverläufe und Medikamente, die wirklich helfen.
Die ersten Covid-19-Patienten in Deutschland gibt es Ende Januar in Süddeutschland. Behandelt werden sie von einem Team um Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie in Schwabing. Anfang April veröffentlichen die Mediziner Daten zu diesen Patienten im Fachjournal „Nature“. Auffällig daran ist die Viruslast, die im Rachenabstrich auf fast zehn hoch neun Kopien pro Milliliter steigt – etwa
1000-mal mehr als bei einer Grippe. „Da kommt viel Unheilvolles zusammen“, sagt Wendtner.
Covid-19 verbreitet sich rasend schnell. Doch auf eine Infektion reagieren Menschen sehr unterschiedlich. „Bei 81 Prozent der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 Prozent schwer, und fünf Prozent der Patienten sind kritisch krank“, heißt es in der aktuell dritten Leitlinie für die Behandlung. Von den knapp 17.000 Kranken, die auf Intensivstationen liegen, stirbt bundesweit fast jeder Vierte (24 Prozent). Die Sterblichkeit liegt laut Robert-Koch-Institut derzeit bei 3,7 Prozent der diagnostizierten Infektionen, Tendenz sinkend.
Generell teilen Mediziner Covid19 in zwei Phasen ein: In die virale Phase, in der sich der Erreger in den Atemwegen vermehrt. Sie dauert bis zu zehn Tage nach Symptombeginn an. Und in die inflammatorische Phase, gekennzeichnet durch Entzündungsprozesse, die über die Atemwege hinausreichen und nahezu alle Organsysteme betreffen können: Nieren, Leber, Verdauungstrakt, Herz und Gehirn.
Gefährlich ist vor allem die inflammatorische Phase, die aber nicht bei jedem Erkrankten eintritt. „Man muss bei jedem Patienten wachsam sein. Im Einzelnen wissen wir nicht genau, wer einen schweren Verlauf haben wird“, sagt Julian Schulze zur Wiesch, Infektiologe am Universitätsklinikum HamburgEppendorf.
Faktoren, die auf einen schweren Verlauf hindeuten können, gibt es viele – eine geringe Sauerstoffsättigung im Blut, eine schnelle Atmung und hohe Entzündungswerte, etwa beim C-reaktiven Protein (CRP). Im schlimmsten Fall droht Patienten ein Zytokinsturm, eine ausufernde Reaktion des Immunsystems.
Doch auch ohne diesen Sturm können die Entzündungen Organe betreffen. Und mehr noch: Die Prozesse können das Endothel schädigen, jene Zellschicht, die die Innenseite der Blutgefäße auskleidet. In der Folge können sich Blutpfropfen bilden – Thromben –, die in verengten Gefäßen die Blutversorgung blockieren und so Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Lungenembolien verursachen können.
Welche Patienten bei Covid-19 besonders gefährdet sind, zeigt eine Studie von Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim und Kollegen, die im Fachblatt „Lancet Respiratory Medicine“veröffentlicht ist. Das Team wertete Daten von gut 10.000 Patienten aus, die in deutschen Kliniken behandelt wurden. Häufigste Begleiterkrankungen schwerer Verläufe waren Bluthochdruck, Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Nierenund Herzschwäche sowie chronische Lungenerkrankungen. Aber auch Leukämie-Patienten und Menschen, die kurz nach einer Organtransplantation oder Chemotherapie immungeschwächt sind, seien gefährdet, ergänzt Infektiologe Schulze zur Wiesch.
Die Suche nach Medikamenten läuft seit Beginn der Pandemie auf Hochtouren. „Bisher gab es mehr Enttäuschungen als Erfolge“, sagt Clemens Wendtner. Spektakulärstes Beispiel ist das von US-Präsident Donald Trump angepriesene Hydroxychloroquin. Auch andere Arzneien scheitern in Studien, darunter das HIV-Kombinationspräparat Kaletra (Lopinavir/Ritonavir) oder der Antikörper Tocilizumab.
Bewährt haben sich hingegen Blutverdünner wie Heparin. Laut einer im „Journal of the American College of Cardiology“veröffentlichten Studie mit knapp 4400 Teilnehmern senken sie nicht nur die Sterberate deutlich, sondern auch das Risiko für eine künstliche Beatmung. Die Leitlinie in Deutschland empfiehlt daher mittlerweile die prophylaktische Gabe dieser Medikamente.
Daneben haben sich weitere Präparate als wirksam erwiesen: Das gegen Ebola entwickelte Virostatikum Remdesivir soll die Vermehrung des Virus bremsen. Seine Gabe wird in der frühen, viralen Phase der Erkrankung empfohlen. Clemens Wendtner zufolge hilft das Präparat etwa der Hälfte der Patienten und verkürzt die Dauer der stationären Behandlung.
Spektakulärer sind für DIVI-Präsident Uwe Janssens die Daten zum Cortisonpräparat Dexamethason, das den Zytokinsturm bremsen soll. In der britischen Recovery-Studie, mit mehr als 11.800 Teilnehmern die weltweit größte kontrollierte Studie mit Covid-19-Patienten, erfassten Forscher die Todesfälle über einen Zeitraum von 28 Tagen nach Beginn der Dexamethason-Gabe. Demnach senkte die Therapie die Sterblichkeit bei Patienten mit künstlicher Beatmung um etwa 36 Prozent und bei Patienten, die zusätzlichen Sauerstoff benötigen, um fast 20 Prozent. Die im „New England Journal of Medicine“publizierten Ergebnisse waren so eindeutig, dass andere Studien mit dem Präparat abgebrochen wurden. Es war ethisch unvertretbar, den Teilnehmern in den Kontrollgruppen die Therapie vorzuenthalten.