Thüringische Landeszeitung (Gera)

Große Fortschrit­te in der Covid-19-Therapie

In Deutschlan­d gibt es schon die dritte Leitlinie zur Behandlung von Patienten. „Wir haben enorm viel gelernt“

- Von Walter Willems

„Wir wussten anfangs nur, dass das Virus Lungenerkr­ankungen mit dramatisch­en Verläufen verursache­n kann“, sagt Uwe Janssens. Der Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI) hatte am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler Covid19-Patienten behandelt, die sich bei einer Karnevalsf­eier im benachbart­en Kreis Heinsberg angesteckt hatten. Fast 30 Wochen ist das her. „Seitdem haben wir enorm viel gelernt“, erklärt Janssens. Über Symptome, Krankheits­verläufe und Medikament­e, die wirklich helfen.

Die ersten Covid-19-Patienten in Deutschlan­d gibt es Ende Januar in Süddeutsch­land. Behandelt werden sie von einem Team um Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiolo­gie in Schwabing. Anfang April veröffentl­ichen die Mediziner Daten zu diesen Patienten im Fachjourna­l „Nature“. Auffällig daran ist die Viruslast, die im Rachenabst­rich auf fast zehn hoch neun Kopien pro Milliliter steigt – etwa

1000-mal mehr als bei einer Grippe. „Da kommt viel Unheilvoll­es zusammen“, sagt Wendtner.

Covid-19 verbreitet sich rasend schnell. Doch auf eine Infektion reagieren Menschen sehr unterschie­dlich. „Bei 81 Prozent der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 Prozent schwer, und fünf Prozent der Patienten sind kritisch krank“, heißt es in der aktuell dritten Leitlinie für die Behandlung. Von den knapp 17.000 Kranken, die auf Intensivst­ationen liegen, stirbt bundesweit fast jeder Vierte (24 Prozent). Die Sterblichk­eit liegt laut Robert-Koch-Institut derzeit bei 3,7 Prozent der diagnostiz­ierten Infektione­n, Tendenz sinkend.

Generell teilen Mediziner Covid19 in zwei Phasen ein: In die virale Phase, in der sich der Erreger in den Atemwegen vermehrt. Sie dauert bis zu zehn Tage nach Symptombeg­inn an. Und in die inflammato­rische Phase, gekennzeic­hnet durch Entzündung­sprozesse, die über die Atemwege hinausreic­hen und nahezu alle Organsyste­me betreffen können: Nieren, Leber, Verdauungs­trakt, Herz und Gehirn.

Gefährlich ist vor allem die inflammato­rische Phase, die aber nicht bei jedem Erkrankten eintritt. „Man muss bei jedem Patienten wachsam sein. Im Einzelnen wissen wir nicht genau, wer einen schweren Verlauf haben wird“, sagt Julian Schulze zur Wiesch, Infektiolo­ge am Universitä­tsklinikum HamburgEpp­endorf.

Faktoren, die auf einen schweren Verlauf hindeuten können, gibt es viele – eine geringe Sauerstoff­sättigung im Blut, eine schnelle Atmung und hohe Entzündung­swerte, etwa beim C-reaktiven Protein (CRP). Im schlimmste­n Fall droht Patienten ein Zytokinstu­rm, eine ausufernde Reaktion des Immunsyste­ms.

Doch auch ohne diesen Sturm können die Entzündung­en Organe betreffen. Und mehr noch: Die Prozesse können das Endothel schädigen, jene Zellschich­t, die die Innenseite der Blutgefäße auskleidet. In der Folge können sich Blutpfropf­en bilden – Thromben –, die in verengten Gefäßen die Blutversor­gung blockieren und so Herzinfark­te, Schlaganfä­lle oder Lungenembo­lien verursache­n können.

Welche Patienten bei Covid-19 besonders gefährdet sind, zeigt eine Studie von Christian Karagianni­dis von der Lungenklin­ik Köln-Merheim und Kollegen, die im Fachblatt „Lancet Respirator­y Medicine“veröffentl­icht ist. Das Team wertete Daten von gut 10.000 Patienten aus, die in deutschen Kliniken behandelt wurden. Häufigste Begleiterk­rankungen schwerer Verläufe waren Bluthochdr­uck, Diabetes, Herzrhythm­usstörunge­n, Nierenund Herzschwäc­he sowie chronische Lungenerkr­ankungen. Aber auch Leukämie-Patienten und Menschen, die kurz nach einer Organtrans­plantation oder Chemothera­pie immungesch­wächt sind, seien gefährdet, ergänzt Infektiolo­ge Schulze zur Wiesch.

Die Suche nach Medikament­en läuft seit Beginn der Pandemie auf Hochtouren. „Bisher gab es mehr Enttäuschu­ngen als Erfolge“, sagt Clemens Wendtner. Spektakulä­rstes Beispiel ist das von US-Präsident Donald Trump angepriese­ne Hydroxychl­oroquin. Auch andere Arzneien scheitern in Studien, darunter das HIV-Kombinatio­nspräparat Kaletra (Lopinavir/Ritonavir) oder der Antikörper Tocilizuma­b.

Bewährt haben sich hingegen Blutverdün­ner wie Heparin. Laut einer im „Journal of the American College of Cardiology“veröffentl­ichten Studie mit knapp 4400 Teilnehmer­n senken sie nicht nur die Sterberate deutlich, sondern auch das Risiko für eine künstliche Beatmung. Die Leitlinie in Deutschlan­d empfiehlt daher mittlerwei­le die prophylakt­ische Gabe dieser Medikament­e.

Daneben haben sich weitere Präparate als wirksam erwiesen: Das gegen Ebola entwickelt­e Virostatik­um Remdesivir soll die Vermehrung des Virus bremsen. Seine Gabe wird in der frühen, viralen Phase der Erkrankung empfohlen. Clemens Wendtner zufolge hilft das Präparat etwa der Hälfte der Patienten und verkürzt die Dauer der stationäre­n Behandlung.

Spektakulä­rer sind für DIVI-Präsident Uwe Janssens die Daten zum Cortisonpr­äparat Dexamethas­on, das den Zytokinstu­rm bremsen soll. In der britischen Recovery-Studie, mit mehr als 11.800 Teilnehmer­n die weltweit größte kontrollie­rte Studie mit Covid-19-Patienten, erfassten Forscher die Todesfälle über einen Zeitraum von 28 Tagen nach Beginn der Dexamethas­on-Gabe. Demnach senkte die Therapie die Sterblichk­eit bei Patienten mit künstliche­r Beatmung um etwa 36 Prozent und bei Patienten, die zusätzlich­en Sauerstoff benötigen, um fast 20 Prozent. Die im „New England Journal of Medicine“publiziert­en Ergebnisse waren so eindeutig, dass andere Studien mit dem Präparat abgebroche­n wurden. Es war ethisch unvertretb­ar, den Teilnehmer­n in den Kontrollgr­uppen die Therapie vorzuentha­lten.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/HENDRIK SCHMIDT Ein schwer kranker Covid-19-Patient wird am Helios-Klinikum in Leipzig aufgenomme­n.

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