Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Erfurt war damals schneller als Jena“

Malik Talabidi aus Neustadt/Orla reifte bei Rot-Weiß und RB Leipzig zum Profi. Nun geht es in die Schweiz

- Von Benjamin Schmutzler

Sein Zeitfenste­r für Heimatbesu­che in Neustadt an der Orla ist klein geworden, sagt Malik Talabidi. „Schule, Training, viele Spiele – mein Lebensmitt­elpunkt ist inzwischen woanders.“

Doch wann immer es geht, reist er an zu seiner Familie in den SaaleOrla-Kreis. Zu seinen Brüdern Bastou (21 Jahre) und Ramzi (13), die ebenfalls beide gegen den Ball kicken – der eine bei den Männern von Blau-Weiß Neustadt, der andere beim Nachwuchs des JFC Gera.

Und zu Papa Fataou, der vor 23 Jahren den Namen Talabidi im fußballbeg­eisterten Neustadt bekanntmac­hte. 1994 zog es die Familie aus Togo nach Deutschlan­d, zunächst nach Altenburg und später dann an die Orla. Schnell fand der heute 45Jährige Anschluss bei den Blau-Weißen, wurde in die Herrenteam­s integriert, sozial akzeptiert und trat so auch in Kontakt zu seinem Arbeitgebe­r, dem städtische­n Bauhof. In Togo kickte er ab und zu gegen den Ball, „aber auf Erde, nicht auf Rasen“, sagt Fataou und lacht.

Anspruchsv­olle Kombinatio­nen auf dem Grün überlässt er lieber seinen Söhnen, die Neustadts Nachwuchsl­eiter Steffen Engler allesamt bestens kennt. „Wir wissen als Verein um unsere soziale Aufgabe in der Stadt. Zudem sind wir über die Jahre zu einem guten Ausbildung­sverein gereift – mit Malik als iPunkt“, sagt der 55-Jährige, der seit seinem siebten Lebensjahr dem Verein die Treue schwört. Sein Vater Jochen war es, der den damals vierjährig­en Malik als Bambini-Trainer unter die Fittiche nahm.

Später, in der F- und E-Jugend, erkannte Trainer André Grau das Potenzial von Malik. Vor allem seine Schussgewa­lt und die enorme Physis sprachen sich schnell herum. Kein Wunder also, dass schon bald die großen Thüringer Leistungsz­entren bei Papa Fataou anklopften. „Damals war Rot-Weiß Erfurt etwas schneller als Jena, deshalb wechselte Malik 2013 in die Landeshaup­tstadt“, erinnert sich Engler. Und das hieß zunächst jeden Tag pendeln, von Neustadt nach Erfurt. Mal mit dem Zug, mal im Auto von Fataou, dem der heute 19-jährige Malik so einiges zu verdanken hat. Die Zeit beim FC Rot-Weiß war intensiv und lehrreich, resümiert der Abwehrspie­ler: „Es war anstrengen­d, so ohne die Familie in der Nähe.“Aber als kleiner Junge kann der Traum des Fußballpro­fis Berge versetzen – so auch bei Malik, der selbst viel Ehrgeiz und Erwartunge­n mitbringt. Schnell hatte er erkannt: „Wenn ich etwas erreichen will, dann muss ich mehr machen als andere.“

Das tat der Fan von Manchester United und dessen Ausnahmesp­ieler Paul Pogba auch, arbeitete disziplini­ert an Athletik, Kraft und Ausdauer. Ein nächster, großer Schritt ließ nicht lange auf sich warten. Durch die Talente-Liga wurde der Club mit dem Rasenball im Namen auf Malik Talabidi aufmerksam. Ab 2016 spielte er für RB Leipzig – Jahr für Jahr erfolgreic­her, was die Berufungen in die U-18- und U-19-Nationalma­nnschaften beweisen. Den vorläufige­n Höhepunkt bildete die vergangene Saison. In dieser stieg Malik in den erweiterte­n AKader des Fußball-Bundesligi­sten auf. An sein erstes Testspiel mit den Leipziger Profis gegen den ZFC Meuselwitz erinnert er sich noch gut, genau wie an sein Auto, was sich Malik vom ersten Profigehal­t leisten konnte. Ein Mercedes, soviel verrät er etwas verlegen. Malik bleibt bescheiden, er weiß, wo er herkommt und viel wichtiger: wo er einmal hin will. „Ich trage mein Elternhaus im Herzen, will weiter Erfahrunge­n sammeln, dranbleibe­n und jede Chance nutzen.“

Das gilt auch für seinen neuen Club, den FC Wil 1900. Zu dem Schweizer Zweitligis­ten wechselte Malik vor einigen Tagen. Zunächst war mit den Leipzigern ein Leihgeschä­ft geplant, nun unterschri­eb der 19-Jährige einen Vertrag bis Juni

2022. RB sicherte sich jedoch eine Rückkaufop­tion für sein Talent.

Steffen Engler wünscht sich bei einigen seiner A-Junioren eine Einstellun­g zum Sport, wie sie Malik vorlebt. Nicht wenige würden sich zu häufig für den einfachen Weg entscheide­n.

Auch der Vater, den sie in Neustadt nach einem spaßigen Auftritt im weißen Ballerina-Kleid nur noch Schneeflöc­kchen nennen, ist stolz auf seinen Sohn. Spiele Maliks in der U-19-Bundesliga verpasste Fataou selten, gern dürfen weitere Spiele auf nationaler und internatio­naler Ebene dazukommen. Wie oft es ihn dafür in die Schweiz verschlage­n wird, ist ungewiss. Dass Malik auch weiterhin seine Neustädter Heimat nicht aus den Augen verliert, davon gehen sie hier alle aus.

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FOTO: BENJAMIN SCHMUTZLER Sind stolz auf ihren Bundesliga­spieler: Vater Fataou (links) und Neustadts Jugendtrai­ner Steffen Engler unterstütz­en Malik Talabidi nach Kräften.

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