Thüringische Landeszeitung (Gera)
Mit dem Waschlappen um den Schuh
Unsere Olympioniken Für Margitta Pufe war die Welt eine Scheibe. Größte Erfolge holte die Geraerin mit der Kugel
Sie hat es ruhig, lebt zurückgezogen im Grünen, am Rande von Stadtroda. Das entspricht ihrem Naturell. „Ich bin schon immer eine Einzelkämpferin gewesen.“Das brachte auch der Sport mit sich. „Als Werfer stehst du allein im Ring, versuchst, deine Leistung zu bringen. Helfen kann dir da keiner“, sagt die 67-Jährige.
Zum Sport sei sie mehr oder weniger zufällig gekommen. In Gera tauchten die Talente-Späher in der Schule auf. Das habe damals „Übergroßen-Sichtung“geheißen. „Da ging es nicht um Talent oder Vorleistung, da ging es darum, zu schauen, aus wem man was machen könnte. Und ich war groß, einen Kopf größer als alle in meiner Klasse – Junge wie Mädel.“
Wenig später folgte eine Einladung an die Sportschule nach Bad Blankenburg. „Da hab‘ ich das erste Mal Hürden gesehen und musste da drüber“, sagt sie und lacht. Mehr als Schulsport hatte es für die Geraerin bis dahin nicht gegeben. „Was weghauen konnte ich“, sagt sie und das erkannten auch die Trainer und holten das Mädchen 1964 an die Kinderund Jugendsportschule.
Große Pläne habe sie nicht gehabt, an Olympia nicht gedacht. „Ich habe mich führen lassen“, sagt sie, die sportliche Ausbildung sei sehr vielfältig gewesen. „Wir haben Grundlagentraining gemacht, auf Athletik gesetzt. Das war das Beste, was mir passieren konnte – dadurch kamen auch viele Jahre keine Verletzungen auf.“In Bad Blankenburg habe sie sich wohl gefühlt, kam zu Trainerin Ingrid Kleppe – für die folgenden 20 Jahre. Dass Margitta Ludewig, so ihr Mädchenname, eine Werferin werden würde, stellte sich schnell heraus. Für sie sollte die Welt eine Scheibe sein, sie wollte den Diskus fliegen lassen.
„Das hat mir gefallen, die Bewegungen waren fließend, das sah elegant aus.“Ihre ersten und späteren internationalen Medaillen holte sie allerdings mit der Kugel, sie wurde
1970 bei der Junioren-EM in Paris Kugelstoß-Dritte und Sechste mit dem Diskus. Bei den Europameisterschaften 1978 in Prag trumpfte sie auf, wurde sie mit dem Diskus
(64,04 m) Vizeeuropameisterin und mit der Kugel (20,58 m) ging es bis auf den Bronzeplatz.
Konzentration auf die Kugel
„Das kann man schon gut miteinander verbinden: Diskus und Kugel“, sagt sie. Als die Diskus-Leistungen Anfang der 70er Jahre bei Weiten um die 60 Meter stagnierten, hieß es: „Margitta, du setzt jetzt voll auf die Kugel.“Widerrede gab es nicht, aber das hatte auch sein Gutes. „Ich hab‘ mich der Kugel gewidmet, sehr viel spezielle Kraft trainiert – und der Diskus flog von allein weiter.“Beim Ausscheidungswettkampf in
Berlin schaffte sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele, stieß erstmals über 21 Meter.
In Montreal wurde die 1,80 m große Athletin beim Sieg der Bulgarin Iwanka Christowa (21,16 m) hinter den Berlinerinnen Marianne Adam (20,55 m) und Ilona Slupianek (20,54 m) mit 19,79 m OlympiaSechste. „Wir Kugelstoßerinnen waren die Letzten, die in den Wettkampf gingen. Es war überwältigend, in das volle Stadion zu kommen, die Stimmung war toll. Nur den Kugelstoßring, den hatten sie mit Bassin-Farbe angestrichen.“
Und dann regnete es auch noch – Stoßen wie auf Schmierseife. Beim Einstoßen war der Ring noch trocken, doch dann gab es kein Halten mehr. „Ich hab mir den Waschlappen, den wir zum Abwischen der Kugel hatten, um den Standschuh gewickelt und mit dem Schnürsenkel festgebunden. Irgendetwas musste ich mir einfallen lassen, um wenigstens ein bisschen Halt zu haben.“Erst habe sie mit Platz sechs etwas gehadert, im Olympiajahr hatte die Sportlerin vom SC Motor Jena erstmals über 21 Meter gestoßen, „doch bei den Bedingungen im Ring, war das schon in Ordnung“.
Für Bronze Wolga-Don-Reise
Ihre Olympiamedaille holte sie vier Jahre später mit Bronze in Moskau mit 21,20 m im Kugelstoßen, freute sich sehr, dass sie auch im Diskus starten durfte, wurde mit 66,12 m Fünfte. Den Unterschied zwischen Bronze und Gold habe sie bald gespürt. Die Olympiasieger sind als Auszeichnung mit dem Schiff nach Kuba gefahren, „die Dritten haben eine Wolga-Don-Reise gemacht“.
Damit sei alles gesagt, als vergessene Heldin sieht sie sich aber nicht. „Sportler sind doch keine Helden.“Sie würden auf ein Ziel hin trainieren, das ist geplant, bringen ihre Leistung, da sei nichts Heldenhaftes. „Wer zum Beispiel zu einem Unfall kommt, spontan hilft, das Richtige macht und vielleicht Leben rettet, der ist für mich ein Held.“Für Margitta Pufe sind es aber nicht nur die Medaillen, die zählen. Es sind vielmehr die Begebenheiten, die den Sport ausmachen.
Nach der EM 1978 in Prag hat Helena Fibingerova, die als erste Frau mit der Kugel über 22 Meter stieß, eine tschechische Wettkampfreise organisiert. „Helena hat mich gefragt, was ich mir wünsche, wenn ich komme. Ich wusste nicht so recht, doch sie hat mich ermuntert – und ich habe mir Kristallgläser gewünscht. Die habe ich immer noch.“1982 musste sie sich einer Rücken-Operation unterziehen, das jahrelange Training forderte Tribut. „Ich bin gut davon gekommen“, sagt sie und stieg danach wieder ins Training ein. Mühsam, in kleinen Schritten. Zwei Jahre später nahm sie Abschied. „Ich wollte es nicht ausreizen, auf die Spitze treiben.“Und zum Abschied war sie zu einer Wettkampfreise in China unterwegs. „Dummerweise waren Kugel und Diskus parallel angesetzt gewesen und ich wollte in meinem letzten Wettkampf unbedingt noch einmal beides machen. Und da bin ich hin und her gerannt – diagonal über den ganzen Platz. Und unsere Leute auf der Tribüne haben schon gejohlt: Da kommt sie wieder angerannt, die Pufe.“
Ein schöner Abschied vom Sport, einer der bleibt – mehr noch als Olympiabronze in Moskau, „die Medaille war erwartet worden“. Und über den Sport hinaus hält sie auch Kontakt zu ihrer inzwischen 89 Jahre alten Trainerin Ingrid Kleppe, die sich den Arm gebrochen hat und Hilfe im Haushalt braucht. Über alte Zeiten wird nicht groß geredet – man hilft sich.