Thüringische Landeszeitung (Gera)

Unter uns gesagt Die liebe Verwandtsc­haft

- G.sommer@tlz.de

Liebe Leserinnen, liebe Leser! Eine langjährig­e Freundin hat mir deswegen jüngst ihr Leid geklagt, wohl wissend, dass guter Rat schwer ist. Sie hat einen – nun sagen wir – schrägen Vogel im näheren Umfeld. Früher fand sie den lieben Onkel wegen seiner Verhaltens­originalit­ät ganz lustig. Er mischte früher jede Familienfe­ier auf durch seine derben Einwürfe.

Es hieß immer – und da war er längst 40: Er ist halt noch in der Spätpubert­ät. Das wächst sich aus. Aber, sagt seine Nichte, das war ein Irrtum. Was früher noch als kleine Provokatio­n durchging, ist mittlerwei­le verschwöru­ngsgläubig, böse und lästig. Der gute Mann habe es sich inzwischen selbst mit den

Wohlmeinen­den verscherzt. Weil er nicht mehr so viel Gehör findet in seinem realen Umfeld, habe er seine Aktivitäte­n ins Netz verlegt und dort wohl einen freudig aufputsche­nde Gemeinde gefunden.

Na gut, denke ich, so ist das heutzutage. Was früher am realen Stammtisch noch auf Gegenrede stieß, ist inzwischen in die Untiefen abgetaucht und erhält viel Beifall. Von „na gut“könne keine Rede sein, sagt die Freundin, weil der Mann realen Personen in kaum sozial erträglich­er Form gegenübert­rete. Sie werde darauf angesproch­en, weil mancher hoffe, dass sie noch direkten Zugang zu ihm habe. Das aber sei – leider – nicht der Fall.

Die Nichte des Mannes ist unglücklic­h über diese Entwicklun­g. Und sie ist hilflos. Was tun? Sie schreibt ihm immer mal Postkarten mit einem lieben Gruß, um die Verbindung nicht ganz abreißen zu lassen. Sie schickt ihm Blumen zum Geburtstag. Vielleicht, sagt sie, braucht er irgendwann Hilfe. Dann soll er wissen, dass sie weiterhin für ihn da ist. Schließlic­h ist er Verwandtsc­haft.

 ?? ?? Gerlinde Sommer zur Frage, wer für wen verantwort­lich ist
Gerlinde Sommer zur Frage, wer für wen verantwort­lich ist

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