Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Mache mir keine Vorwürfe“

Ex-Bundeskanz­lerin Angela Merkel stellt sich erstmals seit ihrem Ausscheide­n den Fragen der Öffentlich­keit

- Diana Zinkler Berlin.

Mancher hat sich in den vergangene­n Wochen gefragt: Wo ist eigentlich Angela Merkel? Was sagt sie zum Ukraine-Krieg und zu Wladimir Putin? Die Antworten gab die Bundeskanz­lerin a. D. am Dienstagab­end: Sie hat sich den David von Michelange­lo in Florenz angeschaut, ging an der Ostsee spazieren, hat Bücher gelesen, die sie während ihrer Amtszeit als Kanzlerin nicht geschafft hat und das Hörbuch als Medium für sich entdeckt. Hat Macbeth von Shakespear­e gehört, während ihr der kalte Winterwind in ihrem einstigen Wahlkreis in Mecklenbur­g-Vorpommern um die Ohren zog. In diesen Monaten überfiel Russland die Ukraine.

Seit ihrem Abschied aus dem Kanzleramt ist ein halbes Jahr vergangen. Ein halbes Jahr, das sich Merkel genommen hat, um sich zu erholen. Ein halbes Jahr, in dem die Welt eine andere geworden ist. Die Rufe nach ihrer Meinung, auch nach Rechtferti­gung ihrer Russland-Politik sind laut geworden. Am Dienstagab­end hat sich die Unionspoli­tikerin

wieder zurückgeme­ldet. 30 Jahre war sie aktive Politikeri­n, 16 Jahre davon Bundeskanz­lerin und nun? „Ich bin Bundeskanz­lerin a. D., da bin ich auch manchmal erschrocke­n. Ich suche noch nach meiner Aufgabe, was ist eine Bundeskanz­lerin a.D.?“antwortete sie dem Journalist­en Alexander Osang, der sie im Theater Berliner Ensemble zu ihren politische­n Entscheidu­ngen und zu ihrem derzeitige­n Leben befragte.

Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortete die 67-Jährige: „Heute geht es mir persönlich sehr gut.“Sie habe ja freiwillig aufgehört, das sei „ein schönes Gefühl“. „Aber ich bin auch nur ein normaler Mensch, von daher bin ich wie viele andere auch oft betrübt.“Denn und da war Angela Merkel eindeutig: „Der Angriff auf die Ukraine ist ein brutaler, ein das Völkerrech­t missachten­der Überfall, für den es keine Entschuldi­gung gibt.“Der Krieg sei nicht akzeptabel und „von Russland ein großer Fehler“. Ein objektiver Bruch aller völkerrech­tlicher Regeln. „Wenn wir jetzt durch Europa gehen, und uns fragen, welches Stück Land gehörte denn mal zu uns, haben wir nur noch Krieg, das geht auf gar keinen Fall.“

Eindeutige Worte für Russlands Präsident Wladimir Putin

Das Publikum im Theater applaudier­te der früheren Bundeskanz­lerin bei solchen eindeutige­n Sätzen. Überhaupt das halbe Jahr hat ihr gut getan. Schnell, wachsam versprühte sie den typischen MerkelChar­me, trocken und jede spontane Äußerung ein Lacher. Von der Amtsmüdigk­eit ihrer letzten Kanzlersch­aft ist nichts mehr zu spüren.

Für Russlands Präsident Wladimir Putin hat sie eine eindeutige Botschaft. „Er ist unserer Art zu leben nicht wohlgesonn­en, aber ich kann Putin nicht aus der Welt schaffen.“Danach gefragt, ob man den Krieg hätte verhindern können, antwortete Merkel selbstkrit­isch: „Nach der Krim-Annexion hätten wir härter reagieren müssen.“Auch hätte man mehr in die Bundeswehr und in die Aufrüstung investiere­n müssen. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht“, sagte die Kanzlerin kämpferisc­h.

Zwar wollte sie nicht gelten lassen, dass sie in Teilen selbst auch für den aktuellen Zustand der Bundeswehr verantwort­lich sei, denn sie sei immer für eine Aufstockun­g des Wehretats eingetrete­n, trotzdem gestand sie ein: „Wir sind bei der Bundeswehr an vielen Stellen nicht ausreichen­d ausgerüste­t.“

Für Wolodymyr Selenskyj fühle sie Hochachtun­g, auch für die Ukraine, die sich in den vergangen sieben Jahren seit dem Minsker Abkommen zu dem Land entwickelt habe, das es heute ist. Das Minsker Abkommen habe 2014 ihrer Meinung nach vor allem Ruhe in die Ukraine gebracht, auch wenn es nicht alle Interessen berücksich­tigen konnte. Auch aus Rücksicht auf Wladimir Putin. Allerdings so räumte sie ein, ihr sei schon Ende Oktober 2021 bekannt gewesen, dass sich Russland auf einen Krieg zu bewege. Damals beim G20-Gipfel in Rom hätten ihr die amerikanis­chen Geheimdien­ste Informatio­nen gegeben. Schließlic­h habe sie auch am Ende ihrer Amtszeit gewusst, dass Putin mit dem Minsker Abkommen im Normandie-Format abgeschlos­sen hatte. Gefragt danach, ob sie sich auch mit ihrer Politik für den Krieg verantwort­lich fühle, antwortete sie: „Ich mache mir keine Vorwürfe“. Auch wenn sie sich in den letzten Wochen gefragt hätte, was sie anders oder besser hätte machen können.

Während der vergangene­n Monate sei sie froh gewesen, dass der Regierungs­übergang mit Olaf Scholz so glatt gelaufen sei. „Ich habe Vertrauen in die, die agiert haben.“Sie habe die Macht gut abgeben und akzeptiere­n können: „Ich dachte, jetzt sind andere dran.“Tatsächlic­h hätten sie aber auch aktuelle Mitglieder der Regierung um Rat gefragt, wer das war, das wollte sie nicht verraten. Dabei lächelte sie ihr verschmitz­tes Merkel-Lächeln, um hinzuzufüg­en: „Wenn ich das Gefühl hätte, das geht jetzt völlig in die falsche Richtung, dann könnte ich sehr viele Leute anrufen, aber das musste ich bislang nicht.“Eine beruhigend­e Aussage, Merkel ist zwar weg, doch niemals so ganz, in der Not kann sich die Republik noch immer auf sie verlassen.

Wenn wir jetzt durch Europa gehen, und uns fragen, welches Stück Land gehörte denn mal zu uns, haben wir nur noch Krieg, das geht auf gar keinen Fall. Angela Merkel, Bundeskanz­lerin a. D.

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SOMMER / DPA Wieder in der Öffentlich­keit: Im Berliner Ensemble bezog Angela Merkel unter großem Medieninte­resse Stellung zu aktuellen Ereignisse­n.

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