Thüringische Landeszeitung (Gera)
Die Querdenker-Kolonie am Plattensee
In Ungarn sammeln sich deutsche Auswanderer. Manche träumen von der „Rückeroberung“Deutschlands
Ignaz Bearth hat Glück an diesem Tag. Die Küche des Restaurants braucht etwas länger, bis die Kellner das üppige Mittagsmenü für die knapp 100 Gäste auffahren. Also bleibt noch mehr Zeit für Bearth, die Leute anzustacheln und aufzuwiegeln. Journalisten nennt er „Huren des Großkapitals“, die „weggefegt“gehörten. Er sieht einen „tiefen Staat“in Deutschland am Werk und „Geisteskranke an der Macht“. Hier und da garniert er seine Ideologie von der angeblichen „Umvolkung“mit geschmeidigen Formeln, spricht von „Freiheit“als dem „größten Gut“.
Die Mai-Sonne brennt an diesem Tag über dem kleinen Ort Zalakaros am Balaton, dem großen See im Westen von Ungarn. Unter den Sonnenschirmen und an den Holztischen sitzen vor allem Rentnerinnen und Rentner, einige kommen aus Bayern, andere aus Thüringen und aus Sachsen. Vor ihnen redet sich jetzt der Schweizer Rechtsradikale Ignaz Bearth in Rage. Neben ihm sein Gast: der Brandenburger Andreas Kalbitz, Ex-AfD, Rechtsaußen.
Der Balaton ist seit vielen Jahrzehnten Urlaubsziel der Deutschen. Und Ziel deutscher Auswanderung. Die Menschen kommen hierher, weil „das Klima besser ist“und die Preise günstig. Doch immer mehr kommen auch „aus politischen Gründen“.
Über die neurechten Auswanderer berichten uns mehrere Deutsche während der Tage am Balaton. Sie kommen, weil sie sich „verraten von Deutschland“fühlen. „Ich bin geflüchtet aus der Schweiz“, sagt Einpeitscher Bearth. Am Balaton gehe es nicht nur um „Geld, Geld, Geld“. Er finde hier seine „Volksgemeinschaft“. Es ist diese Rhetorik, mit der Radikale andocken wollen an die deutsche Community vor Ort. Und ihr Netzwerk aufbauen wollen.
Im Restaurant in Zalakaros läuft Bearth um die Tische, begrüßt die älteren Menschen, auch die Hippies, verteilt Visitenkarten der „Deutschsprachigen Gemeinschaft am Balaton“. Die Rentnerrunden, so wünscht es sich Bearth, sollen Teil seiner Bewegung werden. „Schland ist aktuell abgebrannt. Aber wir werden es zurückerobern.“
Das Publikum applaudiert eher nett als euphorisch. Lauter wird es vor allem dann, wenn Bearth gegen „Volksverräter“und „Lügenpresse“wettert. Viele nicken energisch, wenden den Blick zu den Reportern vor Ort, zischeln – um kurz danach wieder freundlich zu lächeln. Eine Frau unter dem Sonnenschirm murmelt: „An die Wand gehören sie.“
2021 sollen laut Statistik rund 1500 Deutsche nach Ungarn ausgewandert sein. Innerhalb von zehn Jahren sogar gut 10.000. Ein Teil ging wieder zurück, viele blieben. Nicht trotz, sondern wegen Orban.
Premier Viktor Orban hat Ungarn an den rechten Rand Europas geführt. Er stattet sich selbst mit üppigen Sonderrechten aus, schränkt die Meinungsfreiheit ein, isoliert Budapest von der EU. Und immer wieder wetterte er in der Vergangenheit gegen Geflüchtete und Migranten aus Nahost. Radikale wie Bearth zieht das offenbar an.
Ortswechsel am Balaton. Eine schmale Straße führt hinab zu einem kleinen See, einige Kilometer entfernt vom großen Balaton. Gerade
spülte ein Gewitter Schlamm auf die Wege, die Luft ist kühl. In einer Taverne sitzt rund ein Dutzend Deutsche an einem Tisch. Es gibt Aperol und Bier. Adria-Feeling.
„Kommen Sie, setzen Sie sich. Trinken Sie Bier?“Eine Frau, Ballettpädagogin und Ex-SPD-Mitglied, erzählt, man habe wie jede Woche heute schon eine Stunde gemeinsam Ungarisch gelernt. Man organisiere bald eine Weinprobe. Am Wochenende sei Bauernmarkt im Ort. Und eigentlich spreche man gar nicht oft über Politik.
Auch Österreichs früherer Vizekanzler Strache war schon da
An dem Abend aber entsteht ein anderer Eindruck. Schon nach wenigen Augenblicken schwenkt das Gespräch auf „die Medien“in Deutschland, das Coronavirus. Ein älterer Mann nennt die Pandemie eine „Plandemie“, als wäre sie von einer Elite und „Big Pharma“gezielt auf die Welt losgelassen worden. Er sagt, es gebe gar keine Viren. Dann
Putin. Die Menschen in der Ostukraine hätten Russland um Hilfe gerufen. Und die Grünen seien „eine Kriegspartei“.
Wortführer ist ein Mann mit Vollbart und Brille, den alle nur „Schnippi“nennen. Für ihn ist Deutschland eine „GmbH“und auch die Polizei eine „Firma“. Nicht alle am Tisch denken radikal. Aber sie eint ein Gefühl. Ein Misstrauen gegen den deutschen Staat.
Zu Bearths Treffen am Balaton reiste schon der Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, an, aber auch der frühere österreichische Vizekanzler HeinzChristian Strache. Wegen der „Ibiza-Affäre“musste er zurücktreten, beschuldigt wegen Bestechlichkeit im Amt.
Und auch für Bearths Gast an diesem Tag lief es schon einmal besser. Andreas Kalbitz steht jetzt vor den Holztischen und Sonnenschirmen im Restaurant in Zalakaros. Er trägt ein blau-weißes Hemd, Jeans. Kalbitz war lange AfD-Flügel-Wortführer. Dem Verfassungsschutz gilt er als „zentraler Akteur des neurech- ten Netzwerks“. Kalbitz schlägt vor den Deutschen am Balaton mildere Töne an als der Schweizer Bearth, er grüßt die Reporter freundlich, stimmt einem Gespräch zu. Und doch ist seine Inszenierung ähn- lich. Kalbitz sehe eine „Narrativie- rungsorgie“in Deutschland. Be- stimmte Meinungen seien sofort als „rechts“abgestempelt. Er sei kein „Apologet der Lügenpresse“, aber ein „Apologet der Lückenpresse“. In Deutschland, so Kalbitz, herr- sche eine „Angstmaschinerie“, aber die Menschen würden „anfangen nachzudenken“.
Doch nicht alle Deutschen am Balaton schenken der Angstrhetorik der Rechten Glauben. Nicht alle „denken quer“, fühlen sich als „Aufgeweckte“. Jedenfalls nicht so, wie sich das Ignaz Bearth wünscht. In einem kleinen Haus in einem Städtchen am Plattensee, das einst ein Lebensmittelladen war, sitzt ein Dutzend älterer Menschen um einen Tisch mit Kaffee und Kuchen herum. Es ist Himmelfahrt und hier feiert die „Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Balaton-Hévíz“gerade einen Gottesdienst.
Ein älterer Mann, der einst aus Hamburg kam, erzählt von den An- fängen der Auswanderung, in denen man für 15.000 D-Mark ein Grundstück kaufen konnte. Wie bei vielen fing es auch bei ihm mit einem Urlaub an. Die Sonne, der See, das gute Essen – es wurde seine neue Heimat.
Heute seien die Preise massiv an- gestiegen, wenn überhaupt noch Häuser zum Verkauf stünden. „Das ist alles die deutsche Nachfrage“, sagt eine Frau. Und immer mehr von ihnen würden auffallen. Vor einem Jahr noch mit Anti-Merkel- Parolen, heute mit Anti-Baerbock- Sprüchen.
Pfarrerin Rita Mick-Solle beob- achtet den Zuzug mit Sorge. Es kä- men nicht nur Rentner, sondern im- mer mehr auch jüngere Leute. „Vie- le gehen gezielt ins Hinterland.“Und viele wandern nicht nur aus Deutschland ab, sondern auch digi- tal: von Facebook zu Telegram – in den wenig kontrollierten Raum, wo sich Hetze unwidersprochen und ungelöscht verbreitet. Pfarrerin Mick-Solle sagt, sie habe sich das mal angeschaut, sich durch die Fo- ren geklickt. „Nach einer halben Stunde habe ich mein Konto bei Te- legram gelöscht.“